| # taz.de -- Kinotipp der Woche: Im Zeichen der Koexistenz | |
| > Das 15. Kurdische Filmfestival Berlin zeigt Dokus, Spielfilme, Videokunst | |
| > und Shorts. Binevşa Berivans „The Virgin and Child“ eröffnet das | |
| > Festival. | |
| Bild: Szene aus Binevşa Berivans „The Virgin and Child“ | |
| Schon allein aufgrund mancher Titel von Filmen, die bei der neuen Ausgabe | |
| des Kurdischen Filmfestivals Berlin gezeigt werden, wird klar, dass man bei | |
| dieser einwöchigen Veranstaltung im Kino [1][Babylon Mitte] so einige | |
| emotional bedrückende Momente präsentiert bekommt. Bei Dokumentarfilmen | |
| beispielsweise, die übersetzt „Liebe im Angesicht von Genozid“ oder „Ich | |
| war eine jesidische Sklavin“ heißen, kann man sich ja ungefähr vorstellen, | |
| dass es hier nicht viel zu lachen gibt. | |
| Seit einer Ewigkeit kämpfen die Kurden um Selbstbestimmung und bekommen es | |
| dabei mit Mächten zu tun, die diesem Streben nur eine Verachtung | |
| entgegenbringen, die oft genug mörderisch sein kann. Das reicht dann bis | |
| hin zum genozidalen Vorgehen des sogenannten Islamischen Staats gegen die | |
| Jesiden, als der in den zehner Jahren vor allem in Syrien und im Irak sein | |
| grausames Unwesen trieb. | |
| Der Eröffnungsfilm des Festivals, der Spielfilm „The Virgin and Child“ | |
| (2024) von Binevşa Berivan, setzt voraus, dass man ungefähr weiß, wie die | |
| Islamisten gegen die Jesiden, von denen sich viele ethnisch den Kurden | |
| zugehörig fühlen, vorgegangen sind. Die Männer, die man zu fassen bekam, | |
| wurden getötet, die Frauen versklavt und vergewaltigt. Und die Kinder? An | |
| einer Stelle dieses Films bekommt man es so geschildert: Sie wurden auch | |
| mal aus Lust und Laune einfach aus dem Fenster geworfen. | |
| In Berivans Film spielt Hêvîn Tekin eine junge kurdisch-jesidische Frau, | |
| die den IS überlebt hat. Avesta landet traumatisiert und hochschwanger in | |
| einer belgischen Unterkunft für Geflüchtete. Was man in Avestas Gesicht zu | |
| erkennen meint, ist weniger Schmerz und Trauer, als vielmehr unbändiger | |
| Hass auf ihren Peiniger. Und so schnappt sie sich nach ihrer Ankunft in | |
| Belgien als erstes ein Messer und macht sich auf zur Familie des | |
| Dschihadisten, der sie gefangen hielt, um dessen Bruder zu verletzen. Ihr | |
| Plan: So will sie bewirken, dass der Mann, der sie vergewaltigt hat und | |
| zudem zig ihrer Familienmitglieder ermordet, zurück nach Belgien kommt. Um | |
| dann ihre Rache zu vollenden. | |
| Es geht so viel um Brutalität und Unmenschlichkeit in diesem Film, und | |
| trotzdem verzichtet er vollständig auf das Zeigen von körperlicher Gewalt, | |
| selbst bei Avestas Messerattacke. Aber wenn man Avesta sieht, die wie ein | |
| Zombie umherläuft, gesteuert von ihrem Racheplan und mit einem Kind im | |
| Bauch, das sie nur auszutragen gedenkt, um damit ihre Vergewaltigung | |
| belegen zu können, bekommt man auch so zumindest eine ungefähre Vorstellung | |
| davon, was diese junge Frau durchgemacht haben muss. | |
| Und immer noch durchmacht. Jetzt ist sie in Belgien, nun werde alles gut, | |
| versucht ihr ihr besorgtes Umfeld, eine Sozialarbeiterin und eine | |
| Psychologin, einzureden. Aber für sie ist nichts gut, derart schwanger | |
| könnte sie nicht einmal einfach zurückkehren in ihre alte Heimat. Sie gälte | |
| dort als unehrenhafte Frau, glaubt sie, als eine, die das Kind von einem | |
| Feind der Jesiden austrägt. | |
| Es gibt keinen einfach Weg heraus aus dem Dilemma, in dem Avesta steckt, | |
| als ihrer Heimat entrissene Frau, die sich irgendwann die Frage stellen | |
| muss, wie es nun weitergehen soll mit ihr und dem Kind, das sie im Laufe | |
| des Films irgendwann zur Welt bringt. Am Ende entscheidet sie sich dafür, | |
| ihre Traumata bewusst und durch Willensstärke hinter sich zu lassen und | |
| dafür, einfach nur mit Würde Jesidin in ihrer Heimat sein zu wollen. Das | |
| ist dann vielleicht ein wenig pathetisch, aber darum geht es ja letztlich, | |
| bei diesem Film und dem ganzen Festival: darum, dass Jesiden und Kurden | |
| auch in Syrien, im Irak oder der Türkei in Ruhe leben können. | |
| 24 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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