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# taz.de -- Künstlerin über Terror-Mahnmal in Kassel: „Die Farben feiern da…
> Ein Kunstwerk erinnert jetzt an die Opfer rechten Terrors, Halit Yozgat
> und Walter Lübcke. Ein Gespräch mit Künstlerin Natascha Sadr Haghighian.
Bild: Die Lichtskulptur „86° WALTER HALİT“ von Natascha Sadr Haghighian a…
taz: Frau Sadr Haghighian, was war Ihr erster Gedanke, als Sie angefragt
wurden, ein Kunstwerk in Gedenken an den ermordeten Kasseler
Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu entwickeln?
Natascha Sadr Haghighian: Als Erstes fiel mir positiv auf, dass das
Kunstprojekt auf eine Initiative von Mitarbeitenden des
Regierungspräsidiums zurückgeht. Mein Impuls war aber: ‚Wo ist Halit
Yozgat?‘ Schon Jahre davor hatte ich mit anderen das ‚Tribunal NSU Komplex
auflösen‘ initiiert. Wir hatten auch Forensic Architecture mit [1][einer
Untersuchung über den Mord an Halit Yozgat] beauftragt und über die
Anwesenheit des Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme in dem
Internetcafé, in dem Yozgat erschossen wurde. Ich konnte nicht an Walter
Lübcke denken, ohne auch an Halit Yozgat zu denken.
taz: Sind Sie auf Widerstände gestoßen, das Kunstwerk auch dem NSU-Opfer
Halit Yozgat zu widmen?
Sadr Haghighian: Es gab wohl Leute, die das unangemessen fanden. Aber
gerade, weil die beiden Personen sich in vieler Hinsicht unterscheiden und
doch beide in Kassel von Nazis ermordet wurden, fand ich es wichtig, sie
zusammen zu denken und zusammen zu erinnern. Das Regierungspräsidium hat
aber sehr offen auf meinen Entwurf reagiert und sich die Geste auch zu
eigen gemacht. Das fand ich gut.
taz: Die Lichtskulptur auf dem Dach des Kasseler Regierungspräsidiums wurde
durch Spenden finanziert. Warum nicht von öffentlichen Geldern?
Sadr Haghighian: Die Art der Finanzierung zeigt, dass das Kunstwerk auf
eine Initiative von unten zurückgeht. Es gab ein gemeinschaftliches
Interesse an seiner Umsetzung. Die [2][umfassende Webseite des Projekts]
ist hingegen aus öffentlichen Mitteln finanziert. Beim Öffnen der Seite
findet sich nun ein Disclaimer, dass die dargestellten Inhalte der
künstlerischen Freiheit entsprechen und nicht den Ansichten des Landes
Hessen oder der Stadt Kassel.
Ich fand das eine sehr begrüßenswerte Distanzierung. Sie stellt das
[3][Verhältnis zwischen Künstlerin und Staat] ziemlich akkurat dar. Für das
Regierungspräsidium war es auch alleine deshalb notwendig, da Andreas Temme
ja weiterhin dort arbeitet. Er wurde vom Landesamt für Verfassungsschutz
dorthin versetzt, schon unter Lübcke.
Der Regierungspräsident hat demnach eine Fürsorgepflicht für seine
Angestellten und dies steht im Widerspruch zu den Pflichten und
Motivationen des Kunstwerks. Temmes Anwesenheit im Internetcafé wird auf
der Website ausführlich besprochen. Und das muss auch so sein.
taz: Wie lässt sich das Ansinnen, über rechtsterroristische Mordtaten
aufzuklären, in ein ästhetisches Objekt überführen?
Sadr Haghighian: Ich hatte vor der Anfrage schon zehn Jahre
antirassistische Arbeit gemacht, mich mit den Kämpfen der Migration
beschäftigt, bin mit vielen Menschen im engsten Austausch gewesen. Das war
eigentlich die Grundlage für alle ästhetischen Entscheidungen.
taz: Warum haben Sie entschieden, nur die Namen „WALTER“ und „HALİT“ a…
Ihrer Lichtskulptur stehen zu haben?
Sadr Haghighian: Eine Hauptforderung der Familie Yozgat war, die
Holländische Straße in Kassel, wo Halit Yozgat wohnte und ermordet wurde,
in Halit-Straße umzubenennen. Ismail Yozgat hat immer gesagt: ‚Ich möchte
die Halit-Straße oder ich möchte meinen Sohn zurück.‘ Das hat sich für mi…
verbunden mit der Tradition von ‚[4][Say Their Names]‘.
Was passiert, wenn die beiden Vornamen zusammenstehen? Die ganzen
Unterschiede dieser beiden Menschen werden gelevelt und nur die Namen
gesagt. Dann habe ich auf einem Stadtplan von Kassel die Wohnorte von
Walter Lübcke und Halit Yozgat verbunden. Lässt man beide im
Regierungspräsidium zusammenlaufen, entsteht dieser eigenartige Winkel von
86 Grad. Das scheint zunächst wie ein technisches Verhältnis, aber es ist
auch ein räumliches.
taz: Farbe, Schriftzug und Winkel Ihrer Lichtskulptur irritieren die
strenge Architektur des Regierungsgebäudes, warum?
Sadr Haghighian: Es ist ein [5][50er-Jahre-Bau, der in seiner Zurückhaltung
Neutralität ausdrücken will]. Aber Neutralität geht jetzt nicht mehr. Da
ist ein Schnitt passiert und dieser Schnitt muss sichtbar, das Gebäude neu
ausgerichtet werden. Der 86-Grad-Winkel ist fast ein Gebäudewinkel, aber
nicht ganz. Die Namen setzte ich wie ein zusätzliches Stockwerk aufs Dach.
Das orientiert sich in den Maßen am Bau und lässt die Namen da hinschauen,
wo diese beiden Menschen gewohnt haben und auch ermordet wurden: nach
Wolfhagen-Istha und in die Holländische Straße.
Ein anderer Bruch mit der Neutralität des Baus geschieht durch die Farben.
Weißes Licht gilt als neutral. Wird es gebrochen, entstehen Spektralfarben.
Aus dem Farbkreis habe ich einen 86-Grad-Winkel rausgenommen. Es entsteht
ein Farbverlauf, zum Beispiel von Orange bis Magenta.
taz: Sind die Farben nicht gefällig, wie bei einer Werbetafel?
Sadr Haghighian: Das Feature der Sichtbarkeit von weit her war wichtig.
Aber es ging mir nicht um Gefälligkeit. Es sind emotionale Farben, die man
erst mal nicht mit Trauer verbindet. Sie feiern das Leben und zeigen
Präsenz. Das Objekt leuchtet von allen Seiten, auch tagsüber. Es wird auch
von Google Maps aus sichtbar sein und darin eine Art Kompassnadel erzeugen.
Wir wollten zeigen: Was die Nazis versuchen auszulöschen, lässt sich nicht
wegkriegen.
taz: Bei Kunst im öffentlichen Raum können schnell Vorwürfe aufkommen,
Lichtverschmutzung zum Beispiel. Das kann politischen Gegnern gute
Argumente liefern.
Sadr Haghighian: Das Kunstwerk kam mit einem sehr erfahrenen Team zustande,
das teilweise pro bono gearbeitet hat. Wir haben uns genau erkundigt und
bemüht, es umweltverträglich umzusetzen. Das ausgewählte Farbspektrum
beeinträchtigt laut Umweltamt auch nachts Tiere nicht. Es wird aber sicher
Leute geben, die das Kunstwerk trotzdem angreifen wollen. Auch ein Grund,
warum das Objekt auf dem Dach steht.
taz: Wohin zeigen die Namen auf der Lichtskulptur symbolisch, zu den
Tatorten oder zum Zuhause der Ermordeten?
Sadr Haghighian: Zum Zuhause, das angegriffen wurde. Der Ort, an dem man am
verletzlichsten, am wehrlosesten ist. Das ist auch das Niederträchtige an
den Taten. Halit Yozgat war in Kassel zu Hause. Genauso wie Walter Lübcke.
Es ist ganz simpel.
20 Sep 2025
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## AUTOREN
Sophie Jung
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Kassel
Schwerpunkt Rechter Terror
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