| # taz.de -- Roman „Hundesohn“: Sie scharren an ihren Körpern | |
| > Zwischen den Sprachen und anderen Männern: Ozan Zakariya Keskinkılıç’ | |
| > Roman „Hundesohn“. | |
| Bild: Der Autor Ozan Zakariya Keskinkılıç | |
| „Dies ist eine Liebesgeschichte.“ So steht es groß auf dem Umschlag. Es ist | |
| die Geschichte von Zeko, dem Hund. Als Hund sieht, imaginiert metaphorisch, | |
| aber nicht nur metaphorisch, dieser Ich-Erzähler, eigentlich: Zakariya, | |
| sich selbst. Er ist Mitte zwanzig, er ist schwul, er ist muslimisch, er ist | |
| Deutscher, er ist Student, er ist der Sohn von Türken, er ist der Enkel von | |
| Arabern, er zählt die Tage herunter bis zum Wiedersehen mit Hassan. | |
| Hassan, der Nachbarsjunge in Adana, in den sich Zeko bei den Sommerbesuchen | |
| verliebt hat, Hassan, der nach Orangen und Salz riecht. Adana, das ist die | |
| Großstadt im Süden der [1][Türkei], in der Zekos Dede gelebt hat, der | |
| Großvater, Friseur, der jetzt tot ist, der aber dem Enkel im Traum | |
| erscheint. Er schüttelt sich die Erde aus den Kleidern, die Würmer aus den | |
| Haaren, setzt sich unter einen Granatapfelbaum und singt El Bent El | |
| Shalabiya. | |
| „In neun Tagen werde ich Hassan wiedersehen.“ In acht Tagen. In sieben | |
| Tagen. So geht der Refrain dieser Liebesgeschichte, als Countdown. Sie | |
| spielt in Berlin, vor allem in Kreuzberg: „Der Uringestank am Kotti, das | |
| Plätschern am Kanal, die gebratenen Udonnudeln am Hermannplatz liegen in | |
| meinen schwarzen Haaren vergraben.“ | |
| ## Die ganze Welt hat Platz | |
| In einem sehr konkreten Hier und Jetzt ist das verortet, aber dank der | |
| Erinnerungen, der Fantasien und Wörter dieses Erzählers (und also des | |
| Autors Ozan Zakariya Keskinkılıç) hat die ganze Welt in diesem Roman Platz. | |
| Zeko lebt mit den Sprachen und zwischen den Sprachen und in der | |
| Überschneidung der Sprachen, Deutsch, Türkisch, Arabisch, er lernt | |
| Chinesisch, er lernt Hebräisch, er kann auch Französisch und Englisch, mit | |
| seiner besten Freundin, der iranischstämmigen Pari, spricht er auch schon | |
| mal Tolkien-Elbisch. Per Grindr holt er sich Männer so ziemlich aller | |
| Nationen ins Haus. Gerne wüsste Zeko, von welchem von ihnen er die | |
| Filzläuse hat. | |
| Reich an Sprachen und ihren Registern ist dieser Roman, in Klängen, | |
| Zitaten, Worten, Sprüchen und Liedern, nicht immer sofort übersetzt, er ist | |
| von großer innerer Vielsprachigkeit. Reich an Sex ist er auch, die Männer | |
| von Grindr, in schneller Folge, die Männer von überallher, eine Vielzahl | |
| der Körper, Haut, Haare, Leberflecke, Muttermale, Muttersprachen, Top oder | |
| Bottom, das Begehren, die Schwänze, und auch die Ärsche, die Socken, für | |
| Zeko eine Art Fetisch. | |
| ## Queere, Non-binäre und Transfrauen | |
| „Menu“ ist eines der Kapitel überschrieben, da zählt Zeko auf, was seine | |
| Erfahrungen, was seine Vorlieben sind: „Ich habe schwule Männer gelutscht. | |
| Queere, Non-binäre und Transfrauen, ich habe he/him gelutscht und they/them | |
| und cis-Männer, manche waren bicurious, andere biflexible, homoflexible, | |
| heteroflexible auch, aber seltener.“ | |
| Im Regal steht der Koran. Daneben gleich Kafka. Eines der beiden Motti zum | |
| Buch ist aus Kafkas Schloss, es beginnt so: „Wie Hunde verzweifelt im Boden | |
| scharren, so scharrten sie an ihren Körpern.“ Auch der Roman, „Hundesohn�… | |
| ist ein Scharren an Körpern, nicht immer, aber manchmal schon auch | |
| verzweifelt: den Körpern der Männer, Zekos eigenem Körper, aber auch ein | |
| Scharren an den Körpern der Erinnerung und der Herkunft. | |
| Kafka, der Landvermesser K. aus dem Schloss, die Kafka-Welten mit ihren | |
| Abgründen aus Sprache, ihrer so abstrakten wie konkreten Gewalt, aber auch | |
| Kafka selbst als Person, der die Nahrung zerfletschtert, der die Frauen | |
| zermürbt, der kein Maß hat für Nähe und für Distanz: All das spielt eine | |
| Rolle für Zeko, für seine Projektionen, seine Identifikationen, als Mensch | |
| und als Hund. | |
| ## Das Buch vibriert, schwebt, schwingt | |
| Reich an Schönheiten der Sprache ist dieser schlanke Roman. Reich an | |
| Bildern, die handfest sind und/oder lyrisch. (Keskinkılıç hat einen Band | |
| mit Gedichten veröffentlicht. Das kann – um einen der wiederkehrenden Sätze | |
| des Buchs zu zitieren – kein Zufall sein.) „Hundesohn“ ist ein Buch, das | |
| vibriert, schwebt, schwingt, wunderbar musikalisch durch Wiederholungen | |
| rhythmisiert, ein Langgedicht, wenn man so will, das seinen eigenen | |
| Gesetzen folgt und sich von aller gebundenen Form lässig befreit hat. | |
| Keineswegs privatistisch, die Schrecken der Gegenwart, der Krieg in der | |
| Ukraine und in Gaza und der Rassismus, der überall ist, sind sehr wohl | |
| präsent. Wirklich politisch ist der Roman aber in einem anderen, präziseren | |
| Sinn: Er nimmt seinen Erzähler als irreduzibel vergesellschaftetes Ich, als | |
| Wesen aus Körper und Sprache, Denken und Empfinden, auf der Suche nach | |
| Glaube, Liebe, Lust, Hoffnung. Und verschweigt nicht: die Gewalt. | |
| 25 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Sasha-Marianna-Salzmann-ueber-ihr-Debuet/!5451612 | |
| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
| ## TAGS | |
| wochentaz | |
| deutsche Literatur | |
| Queer | |
| Türkisch | |
| sexuelle Selbstbestimmung | |
| Homosexuelle | |
| Social-Auswahl | |
| Brasilien | |
| Theater | |
| Debütroman | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Roman über homosexuelle Liebe: Alligatoren nach dem Essen | |
| Unter der brasilianischen Sonne: Victor Heringer beschäftigt sich in „Die | |
| Liebe vereinzelter Männer“ intensiv mit dem Verlust der ersten (queeren) | |
| Liebe. | |
| Kim de l'Horizons „Blutbuch“: Das leibliche Ding feiern | |
| Premiere in Potsdam: Kieran Joel bringt nach Kim de l’Horizons Roman | |
| „Blutbuch“ eine Landschaft aus Großmutterfleisch überzeugend auf die Büh… | |
| Roman „Muskeln aus Plastik“: Hot und behindert | |
| Chronisch erschöpft sein und trotzdem horny. Selma Kay Matter verhandelt im | |
| Roman „Muskeln aus Plastik“ Transness, Non-Binarität und Post-Covid. |