| # taz.de -- Herbst in Hamburg: Zeit der Hoffnung | |
| > Im Herbst 2015 habe ich zum ersten Mal Bäume mit bunten Blättern gesehen. | |
| > Seither verbinde ich mit dem Herbst Neuanfang, Dankbarkeit und Hoffnung. | |
| Bild: Für Menschen aus Syrien ein erstmal märchenhafter Anblick: herbstlich b… | |
| Der September ist für mich ein besonderer Monat, weil ich im [1][Herbst | |
| 2015] nach Hamburg kam und zum ersten Mal dieses Spiel von Farben, Blättern | |
| und Licht erlebt habe. Ich bin in der Nähe von Damaskus aufgewachsen, | |
| zwischen Vororten und Stadt. Dort gibt es kaum Bäume, jedenfalls nicht so, | |
| dass man einen „Herbst“ erkennen könnte. Herbst bedeutete für mich eher | |
| zwei extra Sommermonate. Der Herbst ist etwas, das ich erst hier in Hamburg | |
| entdeckt habe. | |
| Als ich damals in der Schnackenburgallee ankam, eine der größten | |
| Unterkünfte für Geflüchtete, war alles fremd und bedrückend. Ich erinnere | |
| mich an meine erste Nacht: Es war laut, eng, voller Menschen mit derselben | |
| Angst und Hoffnung im Gepäck. Ich war wütend auf meinen Bruder, weil er | |
| mich überredet hatte, nach Deutschland zu kommen. Ich wollte damals in der | |
| Türkei bleiben und 15 Stunden täglich in einer Fabrik arbeiten. Und doch – | |
| schon nach wenigen Tagen spürte ich etwas anderes: Sicherheit. | |
| Drei Wochen später wagten wir uns hinaus nach Altona. Ohne Deutsch und ohne | |
| Englisch, nur mit dem Mut, etwas Neues zu sehen. Wir stießen auf einen | |
| Flohmarkt, liefen weiter durch den Volkspark und plötzlich war da dieser | |
| Moment, den ich nie vergessen werde: ein Teppich aus goldenen Blättern, | |
| Sonnenstrahlen zwischen den Bäumen, eine fast märchenhafte Szenerie. | |
| Mein Bruder fotografierte mich vor diesem goldenen Hintergrund. Zum ersten | |
| Mal seit langer Zeit fühlte ich Glück. Seitdem ist der Herbst für mich ein | |
| Symbol für Ankunft, für Neuanfang, für Dankbarkeit. | |
| ## Die Netzwerke sind nicht verschwunden | |
| Heute, zehn Jahre später, denke ich auch an die Menschen, die den Sommer | |
| und Herbst 2015 geprägt haben: die Ehrenamtlichen, die Netzwerke, [2][die | |
| offenen Türen.] Sie haben Millionen von Geflüchteten geholfen – auch mir. | |
| Hamburg hat sich durch diese Zeit verändert und trägt die Spuren bis heute. | |
| Diese Netzwerke [3][sind nicht verschwunden.] Sie streiten, sie haben | |
| unterschiedliche Meinungen über fast alle Themen, aber sie sind da und | |
| bereit zu helfen, wenn Hamburg sie braucht. Sie waren da in der Coronazeit, | |
| mit kreativen Ideen, wie man anderen helfen kann. Sie waren da, als viele | |
| Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland flüchteten. Sie haben auch | |
| ihnen geholfen. | |
| Und doch frage ich mich: Wo stehen diese Netzwerke heute? Viele sind leiser | |
| geworden, manche müde. Auch wegen der Bürokratie, mit der sie und | |
| geflüchtete Menschen kämpfen. Die Gesellschaft ist teilweise | |
| [4][gespaltener], die Zeiten schwieriger. Aber wenn Hamburg damals zeigen | |
| konnte, was Offenheit bedeutet – warum nicht auch jetzt? Gerade jetzt, wo | |
| rechte Stimmen lauter werden, brauchen wir die Gegenstimmen, das | |
| Engagement, die Energie dieser Zivilgesellschaft. Wir brauchen Hoffnung für | |
| die Mitte der Gesellschaft. Wir brauchen eine Vision. | |
| Hamburg bleibt für mich eine Stadt, die im goldenen Herbst nicht nur schön, | |
| sondern auch menschlich stark sein kann. Diese Jahreszeit erinnert mich | |
| immer wieder daran, dass Veränderung möglich ist – wenn wir uns aufeinander | |
| einlassen. | |
| 19 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /10-Jahre-Fluchtsommer/!6108521 | |
| [2] /Ankommen-in-Deutschland/!6114160 | |
| [3] /Willkommenskultur-in-Deutschland/!6110482 | |
| [4] /10-Jahre-Fluchtsommer/!6108521 | |
| ## AUTOREN | |
| Hussam Al Zaher | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Hamburger, aber halal | |
| Herbst | |
| Flüchtlingssommer | |
| Migration | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Hamburg | |
| Geflüchtete | |
| Flüchtlingssommer | |
| Flüchtlingssommer | |
| Kolumne „Ankommen“ | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hass gegen Geflüchtete auf Social Media: Erst ist es nur ein Sound, dann ein T… | |
| Der Diskurs über Flucht und Zugehörigkeit änderte sich zuerst in den | |
| sozialen Medien. Doch was im Internet passiert, macht sich in der Realität | |
| breit. | |
| Unbegleitete minderjährige Geflüchtete: „Wettlauf gegen die Zeit“ | |
| Wie ist es, 2025 als Kind oder Jugendlicher ohne Eltern nach Deutschland zu | |
| kommen? Die Willkommenskultur ist brüchig geworden, sagt Mohammed Jouni. | |
| Zehn Jahre Welcome Dinner in Hamburg: Zusammen isst man weniger allein | |
| Seit 2015 bringt der Verein Welcome Dinner Menschen mit und ohne | |
| Fluchterfahrung an Esstischen zusammen – trotz der ablehnenden | |
| Migrationsdebatte. | |
| Willkommenskultur und wahre Integration: Ein Ja von beiden Seiten | |
| Selma Kral floh 2015 aus Syrien und landete – gezwungenermaßen – in Berlin. | |
| Willkommenskultur heißt für sie, sich gegenseitig als Mensch anzuerkennen. |