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# taz.de -- Umgang mit NS-Forschung: „Rasse-Akten“ sind nichts für Rassist…
> Bis in die 60er-Jahre griffen Forscher bei Sinti und Roma auf
> NS-Dokumente zurück. Ein neues Abkommen will vor weiterem Missbrauch
> schützen.
Bild: Setzt sich seit Jahrzehnten für die Rechte von Minderheiten ein: Romani …
Berlin taz | Als Romani Rose am 1. September 1981 zusammen mit gut drei
Handvoll Mitstreitern das Archiv der Universität Tübingen besetzte, war er
ein noch recht junger Mann, gerade 35 Jahre alt geworden. Heute, mit 79,
kehrt [1][der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma] zurück
zu den Anfängen seines Engagements für die Rechte der Minderheit.
An diesem Montag werden Rose und der Präsident des Bundesarchivs Michael
Hollmann in Heidelberg einen Kooperationsvertrag unterzeichnen – exakt 44
Jahre nach der Besetzung. Es geht um dieselben Akten, deren Herausgabe an
das Bundesarchiv Rose 1981 in Tübingen erzwang: die Dokumente der
„Rassehygienischen Forschungsstelle“ aus der NS-Zeit.
Die 1935 eingerichtete Institution nahm die „Zigeunerfrage“ in den
Mittelpunkt ihrer pseudowissenschaftlichen Forschungen. Ihr Leiter Robert
Ritter glaubte mithilfe der Untersuchung von Sinti und Roma deren
angebliche Neigung zu Kriminalität und Nichtsesshaftigkeit erklären zu
können. So entstand mithilfe von erzwungenen Verhören, ausgefüllten
Fragebögen, Haarproben und Fotografien eine umfangreiche Kartei, die der
Frage nachging, ob es sich bei den Betroffenen etwa um „Störenfriede“,
„Schmarotzer“, „Unstete“ oder „Gewaltverbrecher“ handelte.
Den Untersuchungen folgte schon bald eine rassistisch begründete
Kriminalisierung. Angeblich „arbeitsscheue“ Sinti und Roma gerieten ab 1938
in KZ-Haft, zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ wurden Angehörige der
Minderheit kategorisiert – entscheidend war dabei der „deutsche
Blutanteil“. Bis 1939 hatte die „Reichszentrale zur Bekämpfung des
Zigeunerunwesens“ 30.000 Menschen erfasst. 1942 begann der Massenmord an
Sinti und Roma in Europa.
## Schutz vor Missbrauch
Vor 44 Jahren ging es den Besetzern um Rose darum, dass diese Papiere
endlich aus der Hand vorgeblicher Wissenschaftler, die das Material auch
nach dem Krieg nutzten, ins Bundesarchiv gelangen sollte. Die Aktion damals
hatte Erfolg. Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt, wie die illegal gelagerten Akten
in einen Kleintransporter verladen wurden, der sie ins Bundesarchiv
brachte.
Die an diesem Montag zu treffende Vereinbarung soll dafür sorgen, dass die
Papiere nicht erneut von Rassisten genutzt werden. Die wissenschaftliche
Forschung bleibe frei, soll sogar gefördert werden, betont Thomas Tews vom
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gegenüber der taz. Verhindern möchte
man, dass die unter der Signatur R 165 archivierten Unterlagen in die
falschen Hände geraten, etwa von Rechtsradikalen. „Die Weiterverwendung von
Reproduktionen ist grundsätzlich untersagt“, heißt es in der Vereinbarung.
So soll verhindert werden, dass etwa Bilder oder plastische Abbildungen von
Verfolgten veröffentlicht werden.
In vielen Fällen, so Tews, handele es sich um die letzten Erinnerungen an
Menschen, die von den Nazis später ermordet worden sind. Ein „Meilenstein
in der Aufarbeitung der Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma in
Deutschland“ sei die Übereinkunft, schreibt der Zentralrat. „Diese NS-Akten
sind die Planungsunterlagen für den systematischen Völkermord an den Sinti
und Roma im NS-besetzten Europa. Sie dokumentieren, dass Holocaust auch die
Ermordung von 500.000 Sinti und Roma bedeutet“, erklärte dazu Rose
gegenüber der taz.
## NS-Forschung in BRD genutzt
Gegen den „tief [2][verwurzelten Antiziganismus]“, der „in letzter Zeit
wieder offener und lauter zutage“ trete, wolle man gemeinsam nach Methoden
und Präsentationsformen suchen, „um Wissenschaft und Öffentlichkeit besser
über das Archivgut zu informieren“, heißt es in der Vereinbarung.
Das erscheint angesichts der Nachkriegsgeschichte des Aktenbestands mehr
als geboten. Die Beschäftigung von Anthropologen mit dem erstellten
Material endete nämlich keineswegs mit dem Ende des NS-Regimes. So nutzte
die frühere Mitarbeiterin der „Rassehygienischen Forschungsstelle“ Sophie
Ehrhardt (1902-1990) an der Uni Tübingen jahrzehntelang die NS-Akten weiter
für ihre „antiziganistischen Forschungen“, wie der Zentralrat beklagt.
Noch 1969 veröffentlichte Ehrhardt einen Aufsatz über „Zigeunerschädel“.
Sie hatte vor ihrer Beschäftigung an der „Rassehygienischen
Forschungsstelle“ „rassenkundliche Untersuchungen“ an Juden in
Konzentrationslagern und im Ghetto Lodz durchgeführt. Bis heute
verschwunden sind die „Rassegutachten“ aus Ritters Behörde. Vermutlich
haben Mitarbeiter des Instituts die Dokumente gefleddert.
Mit der Vereinbarung solle „einem erneuten Missbrauch der NS-Dokumente wie
in der Tübinger Zeit entgegengewirkt und die Wahrung der Würde der
erfassten und ermordeten Personen sichergestellt werden“, schreibt das
Bundesarchiv. Es gehe dabei auch um schutzwürdige Interessen Betroffener
oder ihrer Angehörigen.
1 Sep 2025
## LINKS
[1] /Biografie-von-Romani-Rose/!5425093
[2] /Antiziganismus/!t5011482
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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