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# taz.de -- Antiziganismusbeauftragte Thüringen: „Niemand nimmt uns ernst“
> Hass auf Sinti und Roma ist weit verbreitet. Trotzdem streicht Thüringen
> die Landesbeauftragte dagegen. Bundesweit kritisieren Verbände diesen
> Schritt.
Bild: Die Diskriminierung von Sinti und Roma nimmt zu – berichtete MIA, die D…
Erfurt taz | Fast zwei Jahre gab es eine Antiziganismus-Beauftragte in
Thüringen. Sie setzte sich gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma im
Freistaat ein – bis zum Regierungswechsel. Nun ist klar, die neue Koalition
aus CDU, BSW und SPD in Erfurt hat die Stelle gestrichen. Der Grund? Aus
der Landesregierung heißt es, Antiziganismus gebe es zwar weiterhin, aber
die „breit angelegte Strategie“ der „Integrationspolitik für alle Mensch…
komme ohne spezielle Beauftragte für Sinti und Roma aus. Dieser
Strategiewechsel kommt allerdings nicht überall gut an: Landes- und
Bundesverbände von Betroffenen kritisieren, er sei ein Rückschritt.
Schon 2021 forderte die [1][Unabhängige Kommission Antiziganismus am
Deutschen Institut für Menschenrechte] in ihrem Abschlussbericht unter
anderem, die Bundesländer sollten Beauftragte gegen Antiziganismus
einsetzen. Deren Aufgabe sei, die Überwindung von Antiziganismus zu
koordinieren.
In Thüringen übernahm das bis zum Dezember die Justizministerin und
[2][Antiziganismus-Beauftragte Doreen Denstädt (Grüne)]. Die neue
Landesregierung in Thüringen plant hingegen, dass sich jedes Ressort
„fachspezifisch“ der Bekämpfung von Antiziganismus widmet, heißt es auf
taz-Anfrage aus dem Justizministerium, das mittlerweile Beate Meißner (CDU)
leitet. Das Thema sei eine „Querschnittsaufgabe“, statt einer seien mehrere
Stellen verantwortlich.
Guillermo Ruiz sieht das anders. Der Geschäftsführer der bundesweiten
Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (Mia) warnt: „Wer glaubt,
Antiziganismus ließe sich ohne klare Zuständigkeiten und politische
Verantwortung bekämpfen, verkennt die [3][Tiefe und Tragweite des
Problems].“
## Angst vor zunehmendem Rechtsextremismus
Laut Mia gab es [4][vergangenes Jahr bundesweit 1.678 antiziganistische]
Vorfälle. Ob in der Schule, am Arbeitsplatz, im Krankenhaus oder bei den
Behörden, immer wieder wurden Sinti und Roma demnach ausgegrenzt, beleidigt
oder benachteiligt. In Thüringen äußerte sich unter anderem der
Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Gera rassistisch über Sinti und Roma
– bislang ohne Folgen.
Seit Jahrhunderten leben Sinti und Roma auf dem Gebiet, das heute
Deutschland heißt. Immer wieder wurden sie vertrieben, verfolgt,
angefeindet. Während der deutschen NS-Diktatur gipfelte das in einem
Völkermord, der auf Romanes „Porajmos“ genannt wird. Erst vor etwa 30
Jahren erkannte die Bundesrepublik Sinti und Roma als eine von vier
nationalen Minderheiten an. Der Staat ist seitdem verpflichtet, ihre Kultur
zu fördern und sie vor Diskriminierung zu schützen. Die Entscheidung gegen
eine Beauftragte in Thüringen sende „ein fatales Signal“ an die
Betroffenen, findet Ruiz.
Kelly Laubinger, bundesweit bekannte Aktivistin und Geschäftsführerin der
Sinti Union Schleswig-Holstein, ärgert sich zudem über die Äußerung des
Thüringer Justizministeriums, es gehe bei der Beauftragten um die
„Integration“ von Sinti und Roma. „Wir sind nicht das Problem, sondern der
Rassismus der Mehrheitsgesellschaft, der uns bis heute strukturell Zugänge
verwehrt“, sagt Laubinger. Ziel solle daher der Abbau von Rassismus sein.
„Die Verlagerung der Verantwortung auf verschiedene Ministerien, in denen
sich am Ende des Tages niemand richtig verantwortlich fühlt, ist keine
geeignete Maßnahme.“
Während die Landesregierung in Rheinland-Pfalz im Juni ihren ersten
Antiziganismusbeauftragten berufen hat, schien der Posten nicht nur in
Thüringen in Gefahr. Bei der neuen Bundesregierung von Friedrich Merz (CDU)
tat sich einige Zeit nichts bei der Neubesetzung, bis das [5][Kabinett im
Juni Michael Brand (CDU)] zum Beauftragten berief. Nun ist Thüringen das
einzige Bundesland, dass die Stelle wieder abgeschafft hat.
Auch vom Zentralrat der Sinti und Roma kommen deshalb warnende Worte. Der
langjährige Vorsitzende Romani Rose beobachtet mit großer Besorgnis den
bedrohlich zunehmenden Nationalismus, Rechtsextremismus und Antiziganismus
in Deutschland. In dem Kontext zeigt er sich besorgt, dass es keine
Beauftragte mehr gibt. Rose hat den Thüringer Ministerpräsidenten Mario
Voigt (CDU) deshalb um ein Gespräch gebeten und einen Termin im September
vereinbart.
Als eines von wenigen Bundesländern [6][erklärte Thüringen 2017 die
Zusammenarbeit der Landesregierung] mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und
Roma. Man wolle der Ausgrenzung von Angehörigen der nationalen Minderheit
entgegenwirken und Antiziganismus ächten, unterschrieb der damalige
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Es dauerte allerdings noch gut
sechs Jahre, bis der Freistaat eine Beauftragte gegen Antiziganismus
benannte. Am 7. März 2023 trat die [7][damalige Justizministerin Denstädt]
als erste die Stelle an.
Denstädt telefonierte regelmäßig mit Romnokher, dem Thüringer Landesverband
der Sinti und Roma, und setzte sich in der Regierung für die Perspektive
der Minderheit ein. Wer heute mit den Vertreter:innen spricht, hört vor
allem Lob über ihre Arbeit. Der einzige Minuspunkt: Ihre Amtszeit sei zu
kurz gewesen.
Eine, die so lobt, ist Renata Conkova vom Vorstand des Verbands Romnokher.
„Die Arbeit der damaligen Antiziganismusbeauftragten hat sich sehr
gelohnt.“ Conkova berät von ihrem Büro in Eisenberg aus Sinti und Roma in
Thüringen. Dafür springt sie immer wieder ins Auto, ist von Nordhausen bis
Sonneberg im ganzen Freistaat unterwegs.
## Reduzierte Unterstützung der Landesregierung
Nach Russlands Überfall auf die [8][Ukraine seien von dort auch einige
Roma] nach Thüringen geflohen, berichtet Conkova. Sie übersetzt,
organisiert Termine bei Ärzt:innen, hilft beim Ausfüllen von Formularen
oder unterstützt, wenn Angehörige der Minderheit diskriminiert werden. In
manchen Fällen erhoffe sie sich dabei Unterstützung von der
Landesregierung. Mit Denstädt habe das funktioniert.
Schnelle Unterstützung bei akuten Problemen, Kontakt in die Politik, Rücken
stärken. Durch die Beauftragte sei es für den Thüringer Landesverband der
Sinti und Roma leichter gewesen, ins Gespräch zu kommen. Eine ansprechbare
Person, die sie nicht von Tür zu Tür schicke, sondern direkt handle. „Wir
brauchen das“, betont Conkova. Ohne Beauftragte sei das anders. „Niemand
nimmt uns ernst.“
Allerdings haben sich Romnokher und das Justizministerium in diesem Jahr im
Mai bereits getroffen. Im Mittelpunkt des Gesprächs mit Ministerin Meißner
und ihrem Staatssekretär Christian Klein habe laut Justizministerium der
Austausch zu Integrationsprojekten von Kindern und zur Frauenförderung
gestanden. Beide Seiten hätten Interesse an einer kontinuierlichen
Zusammenarbeit, auch bei gemeinsamen Projekten, geäußert.
Conkova bestätigt das Treffen, weist aber darauf hin, dass sie schon im
Januar um einen Termin gebeten habe. Zudem gebe es ihres Wissens keine
Projekte. Das bestätigt das Justizministerium: Derzeit seien keine Projekte
geplant, aber das Ministerium fördere Romnokher weiterhin. 2024 waren es
130.000 Euro, dieses und nächstes Jahr sind es nur noch 106.000 Euro.
Doch trotz des Gesprächs und des Geldes: Conkova habe nicht das Gefühl,
sich mit kurzfristigen Anliegen bei Einzelfällen an die Landesregierung
wenden zu können – anders als früher.
Aus dem Justizministerium heißt es dazu zunächst, die
Antiziganismusbeauftragte habe sich um Hilfe in Einzelfällen gekümmert.
Nachgefragt: Wer übernimmt das nun? Da widerspricht das Ministerium seiner
ersten Antwort: Die Beauftragte habe doch nicht bei Einzelfällen geholfen.
Die Hilfe in Thüringen übernehme, damals wie heute, Romnokher allein.
25 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut/gefoerderte-projek…
[2] https://justiz.thueringen.de/aktuelles/veranstaltungen/detailseite/doreen-d…
[3] /Jahresbericht-der-Meldestelle-/!6092942
[4] https://www.antiziganismus-melden.de/2025/06/23/die-melde-und-informationss…
[5] /Bundesbeauftragter-fuer-Antiziganismus-/!6093615
[6] https://zentralrat.sintiundroma.de/ministerpraesident-bodo-ramelow-und-roma…
[7] /Neue-Justizministerin-in-Thueringen/!5908015
[8] /Rassismus-gegen-Ukraine-Gefluechtete/!5845419
## AUTOREN
David Muschenich
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