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# taz.de -- Verleger KD Wolff über seine Memoiren: „Der Vorwurf war, wir ver…
> Revolte, Dutschke, Adorno: KD Wolff stand im Zentrum der 68er-Bewegung.
> Später verlegte er Theweleit und Hölderlin. Ein Gespräch über seine
> Memoiren.
Bild: Schulterschluss mit Ché Guevara: KD Wolf im Frankfurter Büro des Sozial…
taz: KD Wolff, Ihr Buch heißt „Bin ich nicht ein Hans im Glück?“ Fühlen …
sich so, wie ein Hans im Glück?
KD Wolff: Also, im Nachhinein wundere ich mich selber, wie gut ich es
geschafft habe, aus manchen Verzwicktheitssituationen überhaupt wieder
herauszukommen. Wir haben zum Beispiel die Unverschämtheit gehabt,
anzukündigen, dass wir die 20-bändige Frankfurter Hölderlin-Ausgabe in fünf
Jahren machen. Als wir von der Pressekonferenz im „Frankfurter Hof“ nach
Hause fuhren, hat mein Mitstreiter Michael Leiner zu mir gesagt, KD, jetzt
müssen wir fünf Jahre lang Verlag machen. Und wir haben gelacht.
Tatsächlich haben die Bände dann 32 Jahre gebraucht. Aber wir haben viel
gelernt.
taz: Klaus Theweleits „Männerphantasien“ zu verlegen, war auch ein Projekt,
bei dem viele dachten, das sei verrückt: ein Buch mit 1.800 Seiten in einer
Auflage von 10.000 Stück. Und es war ein Erfolg. War das Instinkt für die
Themen der Zeit oder Beharrlichkeit?
Wolff: Ich glaube eher die Beharrlichkeit. Es hätte auch passieren können,
dass wir nicht genug Subskribenten finden. Aber wir haben gesagt, wir
probieren es erst mal. Dass wir dann 500 Rezensionen im ersten Jahr
bekommen und nach zwei Jahren bei 1.500 Subskriptionen waren, das hätte man
nicht vorher garantieren können. Als wir anfingen, Bestellungen zu sammeln,
sind wir zu Hunderten Buchhandlungen gegangen, um sie zu überzeugen. Was
wir da gehört haben, hat uns geärgert. Aber wir wollten trotzdem nicht
einfach kapitulieren.
taz: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die „Männerphantasien“ für Sie
persönlich ein wichtiges Projekt waren, weil es eine neue Art war, über die
eigene Generation und über die Vätergeneration nachzudenken. Wie hat das
funktioniert?
Wolff: Erhard Lucas war der erste Historiker, der systematisch die
Unterlagen studiert hat, die zur sogenannten Ruhrarmee geführt hatten. Ehe
wir diese Vorarbeiten nicht studiert hatten, wussten wir gar nicht, was
sich in der Frühzeit der Weimarer Publik schon auf die Nazizeit hin
entwickelt hat. Die Arbeit am „Männerphantasie“-Projekt begann in den
Seminaren, die wir in den 60er Jahren mit Lucas im Freiburger SDS gemacht
haben. Ohne diese Vorarbeiten hätte [1][Klaus Theweleit] gar nicht die
Dimension der Auseinandersetzung mit der Generation unserer Väter so in
Gang setzen können.
taz: War das Nachdenken über diese Themen gar nicht so sehr eine einsame
Gelehrtenarbeit von Theweleit, sondern ein gemeinsames Nachdenken?
Wolff: Der Freiburger SDS …
taz: … der Sozialistische Deutsche Studentenbund …
Wolff: … war eine ganz besondere Sache. Die Forschungen von Lucas im
Ruhrgebiet haben dadurch eine Aktualisierung gefunden, die am Anfang
niemand geahnt hätte. Wir wussten ja nicht, dass eine Blutlinie von den
Freikorps bis in die Nazimachtergreifung geführt hat, wo die mörderische
Intention sich schon entfaltete und wo man sich wundern musste, dass nicht
mehr Leute bei der Machtergreifung schon begriffen, wie der Zusammenhang
mit den mörderischen Sachen am Anfang der Weimarer Zeit war.
taz: Das Buch erfährt derzeit eine Renaissance. Wie sehen Sie das?
Wolff: Für mich ist es interessant, wie Theweleit auftaucht, wenn
irgendwelche terroristischen Aktionen ablaufen und man fragt, auf welcher
Ebene von Denken und Fühlen die Täter agieren. Der Mörder in Norwegen etwa,
der die ganzen Jungsozialisten ermordet hat und beim Morden lacht. Der
[2][lachende Mörder]. Das hat Theweleit entdeckt. Eine moderne Sorte
Mörder, die lachen beim Morden.
taz: Würden Sie, was Theweleit in seinen Büchern beschreibt, als toxische
Männlichkeit bezeichnen?
Wolff: Es war eindrucksvoll für uns, zu merken, dass Theweleit
Fragestellungen entwickelt, an die vorher niemand gedacht hat. Er hat das
sicher nicht nur gemacht, um die Nazizeit zu erläutern, sondern er hat sich
mit Texten auseinandergesetzt, die unsere Vorstellung vom Leben und vom
Mannwerden mitgeprägt hatten.
taz: Sie beschreiben, dass Ihr Weg in die Politik auch mit der Auflehnung
gegen die Vätergeneration zu tun hatte. In Ihrem Fall war das die
Konfrontation mit dem Professor Schwinge in Marburg. Sie haben als Student
seine Nazivergangenheit publik gemacht.
Wolff: Ich habe verlangt, dass wir berechtigt sind, zu erfahren, was die
Professoren während der Nazizeit gemacht haben. Schwinge hat jahrelang
gegen wer weiß wie viele Studenten prozessiert, die diesen Sachverhalt auch
nur berührten. Es ging mir um die Interpretation eines Gesetzesartikels:
Inwieweit toleriert man Meinungsfreiheit im weitesten Sinne, und kann ein
kritischer Student etwas sagen über die Vergangenheit seines
Naziprofessors? Schwinge war der Erfinder der Befehlsnotstandstheorie und
hatte von 1946 bis 48 die gesamte Waffen-SS verteidigt.
taz: War das in dem Augenblick ein Bedürfnis?
Wolff: Das kann man so sagen. Ich musste das machen, weil ich das Gefühl
hatte, wenn ich jetzt nicht spreche, dann kann ich nie wieder sprechen. Und
ich war überrascht, dass ich der Einzige war, der sich gemeldet hat. Aber
als ich gesprochen hatte, kippte nach ein paar Minuten die Stimmung im
Saal. Danach war ich Studentenführer in Marburg.
taz: Wie wurden Sie dann Bundesvorsitzender des SDS?
Wolff: Ich habe in Freiburg angefangen, Kampagnen gegen die
Notstandsgesetze zu organisieren, bin dadurch innerhalb des SDS bekannt
geworden. [3][Rudi Dutschke] sollte natürlich eigentlich gewählt werden. Er
wollte aber nicht, der fühlte sich als nicht gewählter SDS-Führer viel
stärker. So sind dann mein Bruder Frank und ich Vorsitzende geworden.
taz: Sie beschreiben in Ihrem Buch ausführlich Ihr nicht ganz einfaches
Verhältnis zu Dutschke.
Wolff: Ich habe ihn natürlich verehrt. Aber wir hatten praktisch kein
Verhältnis. Als wir den Vietnamkongress für Februar 1968 vorbereiteten,
wurde praktisch alles von der Westberliner SDS-Gruppe gemacht. Ich glaube,
sogar die Diskussionen mit den trotzkistischen Jugendverbänden in
Frankreich waren intensiver als die Diskussionen mit dem Frankfurter
Vorsitz.
taz: Die Berliner und die Frankfurter Studenten haben sich unabhängig
voneinander entwickelt?
Wolff: Der Berliner SDS hatte damals schon über 500 Mitglieder und der
Frankfurter SDS hatte vielleicht 300. Der Frankfurter SDS waren eigentlich
alles Adorno-Schüler. Die Entwicklung der Studentenbewegung als
antiautoritäre Bewegung kam in Frankfurt aus der Auseinandersetzung mit
Adorno.
taz: Das Verhältnis von Adorno mit der Studentenbewegung war kompliziert.
Studenten haben ihm Tatenlosigkeit und trockene Intellektualität
vorgeworfen, insbesondere Daniel Cohn-Bendit.
Wolff: Ich saß bei einer Diskussion mit Adorno auf dem Podium. Und da ging
es darum, was macht jeder für sich persönlich. Da sagte Adorno zu mir,
denken Sie, Herr Wolff, ich solle mit meinem Bäuchlein bei Ihren
Demonstrationen mitmachen. Dann habe ich gesagt, ja, das wäre toll.
taz: Und, hat er es gemacht?
Wolff: Nein. Und das ist ihm auch übelgenommen worden. Von mir aber
eigentlich nicht. Ich habe das verstanden.
taz: In den 70er Jahren fand dann die Spaltung der Studentenbewegung und
der Weg in die Radikalisierung statt. Sie schreiben, für Sie sei von
vornherein klar gewesen, dass das nicht der Weg sein kann.
Wolff: Ja, das war schon immer klar. Sehr klar.
taz: Warum?
Wolff: In Amerika habe ich als Austauschschüler die Bürgerrechtsbewegung
kennengelernt. Der gewaltfreie Widerstand, die Freedom Riders, Martin
Luther King, das war viel eindrucksvoller als die ganzen
Radikal-Rhetoriker.
taz: Der Erfolg der Civil-Rights-Bewegung hat Sie davon überzeugt, dass
auch in Deutschland Gewalt nicht der richtige Weg ist?
Wolff: Das weiß man nicht. Es gab im Grunde ja keine pazifistische
Civil-Rights-Bewegung in Deutschland. Es gab den Pazifismus, aber
verglichen mit der Bürgerrechtsbewegung in Amerika? Nein.
taz: Würden Sie sich als Pazifist bezeichnen?
Wolff: Ja, das würde ich.
taz: Als sich ein Teil der Studentenbewegung, auch aus Ihrem Umfeld, in die
RAF und die Roten Zellen radikalisierte und zu Terroristen wurde, begannen
Sie, Hölderlin zu verlegen. Das wurde Ihnen als Rückzug ins Unpolitische
ausgelegt.
Wolff: Schlimmer, man hat uns Verrat vorgeworfen. Es gab einen offenen
Brief an uns, als wir mit Hölderlin angefangen haben. Der Vorwurf war, dass
wir die Revolution hinter uns gelassen haben. Und Leute, die später in die
revolutionären Zellen gegangen sind, haben uns persönlich beleidigt und
angegriffen, bis hin zu Schlägereien.
taz: Die radikaleren Teile der Bewegung haben damals die Bundesrepublik als
repressives Regime gesehen. Und Sie?
Wolff: Man konnte ohne Weiteres sehen, wie repressiv das deutsche
Notstandsregime sich in diesen Jahren entwickelte. Und erst die
Auseinandersetzung mit dem sogenannten Deutschen Herbst führte dazu, dass
es eine neue Diskussion über ein neues politisches Arbeiten gab. Ich
glaube, es würde keine grüne Partei in Westdeutschland geben ohne den
Deutschen Herbst.
taz: Glauben Sie, dass durch diese Zeit die Bundesrepublik freiheitlicher
geworden ist?
Wolff: Überraschenderweise ja. Wir waren am Anfang nicht sicher, aber im
Nachhinein gesehen ist es sehr deutlich.
taz: Wie sehen Sie die heutige deutsche Linke?
taz: Ich würde erst einmal fragen, wer ist die deutsche Linke? Sind das die
Mitglieder der Linkspartei? Sind das die Freunde von Oskar Lafontaine? Oder
ist das ganz jemand anderes?
taz: Sind Sie heute nicht mehr so stark politisch interessiert?
Wolff: Doch, ich bin politisch sehr interessiert. Aber ich glaube nicht
mehr so wie früher an klare, schnelle Lösungen.
10 Sep 2025
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## AUTOREN
Sebastian Moll
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