# taz.de -- Südkoreanische Zeitung „Hankyoreh“: Keine Leser, sondern Zusch… | |
> Die linke Zeitung „Hankyoreh“ aus Südkorea ließ sich einst von der taz | |
> inspirieren. Was kann der deutsche Journalismus heute von ihr lernen? | |
Bild: „Hankyoreh“ hat ihren Hauptsitz in Seoul | |
„Kleine Rote“ ist eine Beleidigung, die sich die südkoreanische Zeitung | |
Hankyoreh von den strammen Antikommunisten ihres Landes anhören muss. Doch | |
auch aus Perspektive der taz könnte man Hankyoreh mit dieser Bezeichnung | |
necken: Sie ist so etwas wie die kleine rote Schwester dieser Zeitung. | |
Ihre Gründung geht auf die 1980er Jahre zurück. Damals verlor eine ganze | |
Generation an regimekritischen Journalisten ihre Jobs, als sie sich während | |
der südkoreanischen Demokratiebewegung gegen die repressive Militärdiktatur | |
auflehnte. Ihr Engagement für Demokratie und Pressefreiheit stellt sie vor | |
die Frage: Was braucht es, um ein progressives Medienunternehmen in einem | |
Land aufzubauen, in dem jede Kapitalismuskritik bereits als Sympathie für | |
Nordkorea gilt? | |
Als Vorbild einer erfolgreichen Neugründung einer progressiven Tageszeitung | |
im Westdeutschland der 70er Jahre bot sich die zehn Jahre ältere taz zur | |
Orientierung an. Hankyoreh entschied sich [1][ebenfalls für ein Modell mit | |
Anteilseigner*innen ohne Mehrheitsaktionäre], um die journalistische | |
Unabhängigkeit von Konzerninteressen zu garantieren. | |
Mit den Jahren wuchs sie rasch über die Größe ihres deutschen Vorbilds | |
hinaus und verzeichnet heute, selbst nach dem rapiden Rückgang der | |
Printzahlen, noch eine tägliche Auflage von 200.000 Exemplaren. | |
## Bei der Digitalisierung voraus | |
Yeeji Jang ist seit letztem Herbst Korrespondentin von Hankyoreh in Berlin. | |
Sie arbeitet seit acht Jahren für die Zeitung und kennt sowohl die | |
südkoreanische als auch die deutsche Medienwelt. | |
Jang weiß, dass Südkorea Deutschland bei der Digitalisierung heute weit | |
voraus ist. „Ich bin ja nicht deutsche Staatsbürgerin, aber was es allein | |
für einen Aufwand bedeutet, sich hier anzumelden“, sagt sie der taz. In | |
Südkorea erhalte sie jedes persönliche Dokument per Knopfdruck in nur 24 | |
Stunden. Egal, ob Sonntag oder Feiertag, „für nur einen Dollar“. | |
Konnte Hankyoreh sich in den 80ern also die taz und ihr | |
Genossenschaftsmodell zum Vorbild nehmen, so kann man mit Blick auf die | |
Zeitung und die südkoreanische Medienlandschaft heute etwas über die | |
mögliche Zukunft des Onlinejournalismus lernen. | |
Und es gibt keine bessere Zeit dazu als jetzt. Die taz führt als erste | |
überregionale Tageszeitung Deutschlands die Wochentags-Ausgabe | |
ausschließlich online fort, als E-Paper und online im Netz. Damit reagiert | |
sie auf wirtschaftliche Tendenzen, die sich global abzeichnen und | |
Printmedien vielerorts vor die Frage ihrer Fortexistenz stellen. Wie | |
navigiert man als finanziell unabhängiges Medium angesichts drohender | |
ökonomischer Unsicherheiten dieses mediale Neuland? | |
## Ein Aufstiegsmärchen | |
Hankyoreh hat von ihrem Hauptsitz in Seoul aus das „Aufstiegsmärchen“ der | |
südkoreanischen Wirtschaftsgeschichte als unabhängige Stimme mitverfolgt. | |
Manchmal war die Redaktion gar stärker involviert, als ihr lieb war. So | |
[2][musste 2010 die gesamte Belegschaft auf bezahlten Urlaub verzichten], | |
weil in der Zeitung ein kritischer Text zu Samsung erschienen war. Das | |
Unternehmen kündigte daraufhin alle Werbeverträge mit der Zeitung. | |
Samsung ist ein typisches Beispiel jener dynastisch geführten Megakonzerne, | |
die die technikaffine Wirtschaft Südkoreas prägen. Diese als Chaebol | |
bekannten Unternehmen sind neben schlechten Arbeitsbedingungen auch für | |
ihre Verstrickungen in die Leitungsebenen von Politik und Redaktionen | |
bekannt. | |
Von ebendiesen Konzernen wollte sich Hankyoreh mit ihrem Eigentümermodell | |
eine gewisse Unabhängigkeit verschaffen. Ihre Gründung [3][sprengte ein bis | |
dahin existierendes Meinungsmonopol] von drei konzern- und regierungsnahen | |
konservativen Zeitungen. | |
## Zeitunglesen über Onlineportale | |
Das Lesen von News, erklärt Jang, funktioniert in Südkorea über die | |
landeseigenen Suchmaschinen Naver und Daum, welche aus der IT-Revolution | |
der 2000er hervorgegangen sind. Die frei zugänglichen Onlineportale zahlen | |
den Redaktionen Prozente für die Nutzung ihrer Artikel, stellen den Inhalt | |
dann aber gratis zur Verfügung. | |
Diesen Plattform-Trend, den der ehemalige Bild-Herausgeber Kai Diekmann | |
anlässlich seiner „Bildungsreise nach Seoul“ im Jahr 2014 begeistert | |
beobachtete, sieht Jang kritischer: „Unabhängiger Journalismus bedeutet | |
auch unabhängig von der Plattform zu sein. Wir sind ihnen zu sehr | |
unterworfen.“ | |
Die Plattformen haben ihre eigene Dynamik und fördern kompetitive | |
Strukturen im Medienbusiness: Journalismus wird in der Folge | |
sensationalistischer, knapper. Auch Hankyoreh muss mitziehen, um sich über | |
Wasser zu halten: „Es ist ziemlich schwer, guten Journalismus zu finden in | |
diesem Medienozean.“ | |
Dazu kommt, dass die Nutzer:innen immer weniger die einzelnen Zeitungen | |
und Beiträge voneinander unterscheiden können. „Leute bekommen alle Artikel | |
gratis, ohne Grenzen, ohne Limits, aber sie können nicht sagen, was wichtig | |
ist und was nicht. Ich glaube, das ist das zentrale Problem der | |
Digitalisierung“, sagt Jang. Die Medienkompetenz geht in einem | |
unübersichtlichen Strudel an Informationen verloren, die Institutionen | |
dahinter besitzen keine Sichtbarkeit, keinen Einfluss. | |
## Multimedia statt Print | |
Um sich als unabhängige Stimme erhalten zu können, setzt die Zeitung nun | |
auf ihr Multimediaformat, Hankyoreh TV. „Leider lesen die Leute keine | |
Texte mehr, sie konsumieren die News von Youtube“, sagt Jang. „Wir | |
versuchen, mehr Zuschauer zu bekommen, nicht mehr Leser.“ | |
Dabei hat Hankyoreh als Printprodukt auch koreanische Geschichte | |
geschrieben. Bei der Gründung entschied sie sich bewusst gegen die | |
vertikale Schriftsetzung, die aus der japanischen Kolonisierung Koreas | |
hervorgegangen war. „Wir waren an der Front dieser Veränderung, heute ist | |
sie Standard“, sagt Jang. „Papier hat auch ein Erbe, ein Vermächtnis.“ | |
2 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Von-der-taz-Kopie-zur-Guerilla-im-Internet/!293466&s/ | |
[2] https://monde-diplomatique.de/artikel/!470234 | |
[3] /Eine-kritische-Zeitung-fuer-ein-geteiltes-Land/!1854645&s/ | |
## AUTOREN | |
Nathan Pulver | |
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