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# taz.de -- Bilder als Schnäppchen in Ulm: Weil es überflüssige Kunst einfac…
> Manchmal soll Kunst weg, weil man sich an einem Bild sattgesehen hat oder
> weil man es nicht erben will. Im Ulmer Kunstkaufhaus findet sie neue
> Kunden.
Bild: Wenn der Rahmen schon parat ist, braucht es nur noch die passende Kunst
Ist das Kunst, oder kann das weg? Ziemlich abgegriffene Frage, schon klar.
Was aber, wenn die Antwort lautet: Ja, das ist Kunst, und sie kann weg.
Weil der Kitschalarm losgeht, der Papa aber wirklich seltsames Zeug
gesammelt hat, ein gemaltes Jagdstück nun einmal nicht unbedingt in einen
vegetarischen Haushalt passt. Spätestens dann ist er da, der
Gewissenskonflikt. An dem Bild hing doch so viel Herzblut dran von Oma, mit
dem Gemälde bin ich groß geworden, diese „Südliche Landschaft“ war eine
Urlaubserinnerung. „Oh, und da ein echter Dingens, na wie hieß er noch?“
Zu Tausenden landen solche ungewollten Artefakte im Kunstkaufhaus in Ulm.
Betrieben von einem gemeinnützigen Stadtteilverein, [1][der AG West],
öffnet es seit drei Jahren immer für ein paar Wochen seine Pforten.
„Wir sind eine Rettungsstation“, umschreibt Geschäftsführer Markus Kienle
das Wesen seiner Galerie, die ihre Entstehung eben einer solchen Rettung
verdankt. Denn ihren Grundstock bildete der Nachlass eines Sammlers und
begnadeten Zeichners. „Die Entrümpelungsfirma war schon bestellt von den
Erben“, erinnert sich Kienle, „wir packten zwei Autos voll.“
Mittlerweile wird die Galerie mit dem bestückt, was die Leute
vorbeibringen. Künstler seien darunter und oft die Nachfahren, die mit
einem künstlerischen Nachlass nichts anfangen können. Entsprechend
kunterbunt und polystilistisch geht es zu in dem Pop-up-Store. Die Bilder
dicht an dicht gereiht in drei Räumen, pralle Grafikmappen auf den Tischen.
Besuchende müssen aufpassen, dass sie nicht eines der Gemälde umstoßen, die
da angelehnt sind, wo halt noch Platz ist.
Viele kommen, um zu stöbern, blättern in Mappen, lassen den Blick
schweifen. Entdeckerlust trifft auf ironieaffinen Service: „Benötigen Sie
eine Abhängeberatung?“ Das Angebot richtet sich an Kunden, deren Wände zu
Hause bereits voll hängen.
Den nicht erkannten van Gogh wird man hier nicht finden, doch aber
prominente Positionen der Nachkriegskunst wie Antes, Hrdlicka,
[2][Sonderborg]. Letzterer war auch lange Jahre Professor für Malerei in
Stuttgart. Gerahmtes Lokalkolorit nimmt breiten Raum ein, vertreten ist
klassische Moderne, vereinzelt „Contemporary“, wie das im Galerienjargon
heißt. „Souvenir-Kunst“ mit lokalen Motiven hat eine eigene Abteilung.
Weggeworfen wird im Kulturkaufhaus nichts, aber auch nicht alles
angenommen. Wobei sich die Macher immer wieder wundern, wenn als
aussichtslos geltende Stücke doch noch weggehen. „Jüngere Leute sehen
Kunst, die auf uns bürgerlich wirkt, anders: Sie finden das schon wieder
gut, was uns eher peinlich ist“, analysiert Kienle. Das Publikum – so bunt
gemischt wie das Angebot. „Unsere Niederschwelligkeit lockt Leute an, die
nie einen Schritt in eine Galerie wagen würden.“
Um den Nachschub machen sich die ehrenamtlichen Kaufhausbetreibenden keine
Sorgen. Weil das Projekt längst Selbstläufer ist und weil der demografische
Faktor ihm entgegenkommt. Je mehr der meist gut gesattelten Babyboomer ins
kritische Alter kommen, desto häufiger ploppe das Problem der drohenden
Obdachlosigkeit von Kunstsammlungen auf.
Nachfrage bei Van Ham, ob sie als Rettungsanker in Frage kämen? Eher nein.
Eine Sprecherin dieses renommierten Kunstauktionshauses mit Sitz in Köln
erklärt die Grundbedingung für die Aufnahme ins Auktionsprogramm: „Ein
Künstler muss schon zu Lebzeiten eine Relevanz und internationale
Aufmerksamkeit erlangt haben.“ Sollte keine Chance auf relevante Preise
bestehen, „ist ein Engagement wirtschaftlich nicht darstellbar“. Im
Kunstkaufhaus, Jahresumsatz 30.000 Euro, liegt der Durchschnittspreis unter
100 Euro, verramscht werde nichts. „Aus Respekt vor den ArtistInnen“,
betont der Geschäftsführer, der mittlerweile fit darin ist, die gängigen
Marktpreise zu recherchieren und Hintergrundinformationen zu Werken
beizuschaffen. „Narrative spielen bei Kunst eine große Rolle“, bekräftigt
die Van-Ham-Sprecherin.
Da die diesjährige Kaufhaus-Saison allmählich zu Ende geht, holt nun die
Betreibenden ihrerseits das Grund- und Ausgangsproblem ein: „Unser Bestand
wächst, er schrumpft nicht.“
1 Sep 2025
## LINKS
[1] https://www.agwest.de/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/K._R._H._Sonderborg
## AUTOREN
Thomas Vogel
## TAGS
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