| # taz.de -- Kulturort „R100“ in Friedrichshain: Raum mit Haltung | |
| > Auf einer Brache in Berlin-Friedrichshain ist es einem Flinta*-Kollektiv | |
| > gelungen, einen unkommerziellen Kulturort zu schaffen. Doch auch der ist | |
| > wieder bedroht. | |
| Bild: Alles selbst gemacht: Die Gründer*innen des R100 vor ihrem Projektraum | |
| Berlin taz | Zwischen Bahngleisen, alten Schiffscontainern und halb | |
| abgerissenen Häuserhälften hängt über dem schweren Eisentor eines Gebäudes | |
| in Friedrichshain ein weißer Kasten mit schwarzen Buchstaben: R100. Davor: | |
| ein gemütlich hergerichteter Garten mit Feuerschale, Sitzgelegenheiten und | |
| Pflanzenkübeln. Mehrere Menschen wuseln über den Hof, tragen Bierbänke, | |
| sortieren Altglas, gießen Blumen. | |
| Darunter sind auch Juli Wycisk und Suse Wilk – zwei der fünf | |
| Gründer*innen des [1][Projektraums R100]. „Als wir hier das erste Mal | |
| waren, war alles voller Schutt. Überall Unkraut, kaputte Fenster, kein | |
| Wasser, kein Strom“, erinnert sich Wilk. „Man konnte damals eigentlich | |
| nicht erkennen, dass hier mal ein kreativer Raum sein könnte“, sagt Wycisk. | |
| Damals, das war 2022. | |
| Die Geschichte des R100 beginnt mit dem [2][Ende der Zukunft am Ostkreuz], | |
| einem legendären Kulturzentrum mit Kino, Biergarten, Theater, Konzerten und | |
| Brauerei, nur wenige hundert Meter entfernt, in der Laskerstraße 5. Der | |
| Zukunft wurde 2021 von dem Vermieter, der Groß Berliner Damm GmbH, | |
| [3][wegen steigenden Verwertungsdrucks gekündigt]. Investoren wie Trockland | |
| und Pandion wollen hier luxuriöse Büros bauen, Mikroappartements und | |
| Co-Working-Flächen. Im März 2022 musste die Zukunft schließen – trotz einer | |
| breiten Solidaritätskampagne, die sich für den Erhalt einsetzte. | |
| Wycisk und Wilk waren jahrelang in der Zukunft aktiv. „Wir waren schockiert | |
| – aber auch begeistert von der Unterstützung, die wir bekommen haben“, | |
| erzählt Wycisk. Die Solidarität habe den Entschluss weiterzumachen | |
| wesentlich gestärkt. | |
| ## Neues Gelände, altbekannter Pächter | |
| Und tatsächlich [4][fand das Kollektiv bald ein neues Gelände]: eine Brache | |
| nahe der Spree, zwischen dem [5][Technoclub Renate] und den S-Bahn-Gleisen. | |
| Offiziell ist es eine „Vorhaltefläche“ für den 17. Bauabschnitt der | |
| Stadtautobahn [6][A100]. Der Eigentümer: die Deutsche Bahn, mit demselben | |
| Pächter wie zuvor, der Groß Berliner Damm GmbH. Auch dieses Mal gibt es | |
| keine langfristige planerische Sicherheit, sondern nur einen zeitlich | |
| befristeten Zwischennutzungsmietvertrag. Eine neue „Zukunft“, aber wieder | |
| ohne klare Perspektive. | |
| „Wir wussten überhaupt nicht, ob es sich lohnt“, sagt Wycisk. Trotzdem | |
| entschied sich das alte Kollektiv, das Gelände begehbar zu machen und | |
| daraus einen neuen unkommerziellen Kulturort im DIY-Charme zu schaffen, | |
| mit Kino, Kneipe, Konzerten und einem Theater. | |
| Es folgten anderthalb Jahre Baustelle, Schuttberge und unzählige | |
| Arbeitsstunden. „Wir haben alles selbst gemacht – wirklich alles“, erinne… | |
| sich Wycisk. In dieser Zeit entwickelten die fünf ihre Ideen für einen | |
| eigenen Projektraum. Wichtig war ihnen etwa, sich als reine Flinta*-Gruppe | |
| zu organisieren. „Wir haben das nicht nur als alte Arbeitskolleg*innen, | |
| sondern als Freund*innen aufgebaut. Das macht einen Unterschied – man | |
| weiß, dass man füreinander einsteht.“ | |
| Heute besteht das R100 aus rund 200 Quadratmetern Projektraum plus Garten: | |
| selbstorganisiert, hierarchiefrei, ehrenamtlich betrieben – und getragen | |
| von einer klaren Haltung. „Wir sehen das nicht nur als Kulturort, sondern | |
| auch als politisches Projekt“, erklärt Wycisk. Ihre Kernwerte: | |
| Antifaschismus, Queerfeminismus und Gemeinwohlorientierung. | |
| ## Vielfältiges Programm | |
| Das R100 wolle so zugänglich wie möglich sein, sagt Wycisk: „Viele wissen | |
| bei solchen Projekten gar nicht, wie sie Kontakt aufnehmen können – oder | |
| fühlen sich abgeschreckt, weil es zu cool oder zu szeneintern wirkt.“ Hier | |
| soll alles dagegen möglichst barrierearm ablaufen. Wer eine Idee habe, | |
| könne das R100 anschreiben oder vorbeikommen – und gemeinsam würde dann | |
| geschaut, wie sie umsetzbar ist. | |
| Das Programm ist entsprechend vielfältig, es reicht von queerfeministischen | |
| Workshops über Soli-Partys bis hin zu Lesungen, Ausstellungen oder einem | |
| kolumbianischen Weihnachtsfest. Hinter der kleinen Bar im R100 überlegt | |
| Wilk: „Am besten wäre es, wenn wir als Orgagruppe einfach austauschbar | |
| wären und sich der Raum selbst verwaltet.“ | |
| Einzelne Gruppen haben bereits heute Zugang zu einem Kalender, in den sie | |
| ihre Events nur eintragen und sich einen Schlüssel abholen müssen – alles | |
| auf Vertrauensprinzip. Die Freund*innengruppe übernimmt dann nur | |
| Verwaltung und Organisation des Ortes. | |
| Ebenfalls besonders: Der Raum kann auch von Personen und Kollektiven | |
| genutzt werden, die wenig oder gar keine finanziellen Ressourcen besitzen. | |
| Je nachdem, wie viel Geld ein Projekt mitbringt, zahlt es mehr oder weniger | |
| Miete. Die Einnahmen werden dafür verwendet, die Raumkosten sowie Strom, | |
| Wasser und Reparaturen zu bezahlen. „Wir machen kein Geld damit, das ist | |
| komplett Non-Profit“, betont Wycisk. | |
| ## Ein Ort, wie es ihn in Berlin immer seltener gibt | |
| So hat das R100 einen Ort geschaffen, wie es ihn in Berlin immer seltener | |
| gibt: frei von Verwertungsdruck. Während drumherum Co-Working-Spaces und | |
| Luxuswohnungen entstehen, finden hier Veranstaltungen statt, die keinen | |
| finanziellen Profit bringen, dafür aber Menschen zusammenbringen und | |
| Netzwerke schaffen. | |
| Doch über all dem schwebt die Gefahr eines Weiterbaus der A100. Der 16. | |
| Abschnitt, der von Neukölln bis zum Treptower Park führt, ist bereits | |
| fertiggestellt und [7][soll Ende August eröffnet werden]. Von dort aus soll | |
| der 17. Abschnitt über die Spree und durch Friedrichshain bis zur Storkower | |
| Straße in Lichtenberg führen. Auch das Gelände der Neuen Zukunft und damit | |
| des R100 wäre betroffen. Frühester Baubeginn wäre laut Planungen erst im | |
| Jahr 2035, Fertigstellung dann um 2045. Trotzdem verweigert der Bund | |
| langfristige Verträge für Kulturorte wie die Zukunft. | |
| „Aktuell ist immer noch nicht klar, wie die Autobahn GmbH die Trasse führen | |
| will oder ob es doch eine Tunnelführung gibt“, sagt der Friedrichshainer | |
| Grünen-Abgeordnete Julian Schwarze zur taz. Er vermutet jedoch: „Die Neue | |
| Zukunft, das [8][About Blank] und andere Kulturstandorte haben nur dann | |
| eine Zukunft, wenn die Autobahn nicht kommt.“ | |
| Um die Autobahn zu verhindern, müsste sich das Land Berlin allerdings | |
| stärker positionieren und beispielsweise den Flächennutzungsplan ändern, | |
| was den Bau erheblich erschweren würde. Schwarze würde das Gebiet gerne für | |
| Wohnungen, Parks, Bildung oder Clubkultur reservieren. Derzeit versucht | |
| auch der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit dem Entwicklungskonzept | |
| „Rudolfband“ das Quartier zu sichern und weiterzuentwickeln. Gegen all das | |
| steht der Wille der CDU, die sich klar für einen Weiterbau der Autobahn | |
| ausspricht. | |
| Trotz der Unsicherheit wollen sich die Gründer*innen des R100 nicht | |
| unterkriegen lassen. Zweieinhalb Jahre nach dem ersten vorsichtigen | |
| Betreten des zugewachsenen Geländes ist der Projektraum ein Ort geworden, | |
| an dem sich Menschen ausprobieren und Gemeinschaften entstehen können. „Man | |
| fängt an zu träumen, während man einen Eimer Pisse wegträgt oder mit dem | |
| Kärcher den Boden sauber macht“, sagt Juli Wycisk und lacht – weil man | |
| Stück für Stück etwas schaffe, das man teilen könne. | |
| 21 Aug 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.instagram.com/r100_projectspace/?hl=de | |
| [2] /Bedrohtes-Kulturzentrum-Zukunft/!5820380 | |
| [3] /Friedrichshainer-Kulturort-gekuendigt/!5791385 | |
| [4] /Neuer-Ort-fuer-Kulturzentrum-Zukunft/!5904708 | |
| [5] /Clubsterben-in-Berlin/!6027065 | |
| [6] /A100/!t5329473 | |
| [7] /Autobahn-A-100/!6084707 | |
| [8] /About-Blank-in-Berlin/!6094656 | |
| ## AUTOREN | |
| Kai Liesegang | |
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