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# taz.de -- Aufwachsen in der Notunterkunft: Kindheit im Schlafsaal
> Immer mehr Kinder wachsen in Wohnungslosenunterkünften auf. Dabei müssen
> sie dort ihr Umfeld häufig mit sucht- und psychisch kranken Menschen
> teilen.
Bild: Ein Hochbett im Schlafsaal ist kein geeigneter Ort zum Aufwachsen
Berlin taz | Zwischen zwei und fünf Jahren – solange müssen Kinder und
Jugendliche im Schnitt in Unterkünften für Wohnungslose in Berlin
verbringen. Das geht aus Antworten der Landesregierung auf parlamentarische
Anfragen von Linken und Grünen hervor. Dabei sind die Zustände in den
Unterkünften alles andere als kindgerecht, kritisieren Politiker der Linken
bei einem Pressegespräch.
[1][15.710 Kinder und Jugendliche wohnen derzeit in Berlin in Unterkünften
für Wohnungslose und Asylbewerber.] Im Vergleich zu 2022 ist das eine
Vervierfachung. Und auch die Verweildauer von Kindern und Jugendlichen in
solchen Unterkünften sei zu hoch, so die linke Abgeordnete Katina Schubert
am Donnerstag vor Journalisten. Die Daten haben linke Bezirksverordnete aus
zehn Berliner Bezirken erhoben. Die Unterkünfte seien allerdings nur für
das vorübergehende Wohnen ausgerichtet.
Kinder aller Altersgruppen sind Schubert zufolge betroffen, vom
Neugeborenen bis zum Jugendlichen. Kinder und Jugendliche würden ein
Drittel aller Wohnungslosen in Berlin ausmachen, während die Hilfen für
Obdachlosen noch auf alleinstehende Männer ausgerichtet sind. Von den
15.700 wohnungslosen Kindern und Jugendlichen hätten 1.100 einen deutschen
Pass. Die meisten seien also Migranten oder Geflüchtete. Schubert: „Das
zeigt, wie rassistisch der Wohnungsmarkt in Berlin ist.“
Und Obdachlosenunterkunft ist nicht gleich Obdachlosenunterkunft. Einige
werden in Berlin von gemeinnützigen Trägern betrieben, die zumindest noch
Sozialarbeiter beschäftigen, soziale Standards beachten wie beispielsweise
eine Mindestwohnfläche pro Person, einen verschließbaren Schrank und
Waschmaschinen im Keller. Das ist bei den Unterkünften in Privathand oft
nicht der Fall.
## Oft gibt es keine Sozialarbeiter
Peter Hermanns vom Internationalen Bund, einem gemeinnützigen Träger, der
in Berlin Obdachlosenunterkünfte betreibt, beschreibt die Folgen: „Wenn
Familien aus privat betriebenen Unterkünften zu uns ziehen, dann haben wir
oft Kinder, die keine Kita und keine Schule besucht haben, weil sich
niemand darum gekümmert hat.“ Oft seien diese Familien auch nicht bei den
Ämtern angemeldet gewesen, sodass sie durch alle Raster gefallen seien.
Nur 5 bis 15 Prozent der Wohnungslosenunterkünfte würden überhaupt
Sozialarbeiter beschäftigen, führt die linke Abgeordnete Franziska Brychcy
aus. „Eine getrennte Unterbringung von Familien mit allein lebenden
Männern, die mitunter suchtkrank sind oder psychische Probleme haben,
erfolgt oft nicht.“ Fazit: Die meisten Unterkünfte seien zur Unterbringung
von Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht geeignet, werden aber dennoch
genutzt, weil die Not groß sei.
Das zeigen Antworten der Bezirke auf Anfragen von linken Politikern. So
schreibt beispielsweise Steglitz-Zehlendorf auf die Linken-Anfrage: „Durch
die fehlende räumliche Trennung von schwierigen Bewohnern“ könne es „zu
einer Gefahr für Kinder durch Belästigung und zu Drogen/Alkoholproblematik
von Mitbewohnern kommen“. Die Enge des Zusammenlebens führe „zur erhöhten
Übertragbarkeit von Krankheitserregern wie Krätze und Läuse“, einem
Phänomen, das in Berlin überwiegend Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften
betreffe.
## Linke Lösung Wohnungsbau
Christoph Keller, linker Jugendstadtrat in Mitte, nennt ein weiteres
Problem: Viele private Wohnheime würden sozialen Trägern, die der Bezirk
genau für diese Klientel bezahle, den Zugang zu ihren Räumen und damit zu
ihren Bewohnern verwehren. Seiner Kollegin Juliane Witt, Sozialstadträtin
in Marzahn-Hellersdorf, macht eine spezielle Gruppe obdachloser Familien
die größte Sorge: Diejenigen, die nicht in Wohnheimen leben, sondern bei
Privatiers, die sie schlicht ausbeuten würden. „Und die Klagefreude der
Bewohner geht gegen null, denn sie sind froh, nicht auf der Straße leben zu
müssen.“
Die Lösung sieht die Linke im Wohnungsbau. Denn die Unterbringung in
Gemeinschaftsunterkünften sei deutlich teurer als in Wohnungen. Es fallen
Tagessätze pro Person und Nacht zwischen 30 und 60 Euro an, für eine
vierköpfige Familie also eine Monatsmiete zwischen 3.600 und gut 7.000
Euro. Katina Schubert: „Dafür könnte man der Familie sogar eine Villa
bauen.“
Die Linke fordert eine [2][gesamtstädtische Steuerung und Kontrolle der
Wohnungslosenunterkünfte], wie sie ihre ehemalige Senatorin Elke
Breitenbach für Flüchtlingsunterkünfte auf den Weg gebracht hat: Das Land
soll die Akquise solcher Heime übernehmen, die Qualitätsstandards
überwachen und eine Software entwickeln, die über freie Plätze informiert.
Derzeit seien solche Unterkünfte für viele Private eine Lizenz zum
Gelddrucken. Von Geldern, die zumeist die öffentliche Hand bezahlen muss.
Zumindest Marzahn-Hellersdorf würde die Qualitätskontrolle in den
Unterkünften jetzt eigenständig durchführen, führt Sozialstadträtin Juliane
Witt aus.
28 Aug 2025
## LINKS
[1] /Kinder-Wohnungslosigkeit-in-Berlin/!6102886
[2] /Berliner-Senat/!6101888
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Notunterkunft
Jugendliche
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Kinderarmut
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