# taz.de -- Prekäre Wasserresourcen Boliviens: „Flüsse kennen keine Grenzen… | |
> Forscherin Ana Lía Gonzáles über den Wasserhaushalt der Amazonas-Flüsse | |
> Boliviens, die unter Goldabbau, Agrarwirtschaft, Entwaldung und Feuern | |
> leiden. | |
Bild: Der Fluss Beni in Bolivien – ein Zentrum des Bergbaus | |
taz: Frau Gonzáles, was sind die größten Belastungen für die | |
Wasserressourcen im bolivianischen Teil Amazoniens? | |
Ana Lía Gonzáles: Die größte Gefährdung für die Wasserqualität und -menge | |
liegt in der Goldgewinnung und den agroindustriellen Aktivitäten. Der | |
Bergbau konzentriert sich stark auf den Fluss Beni, einen der Zuflüsse des | |
Amazonasstroms, und den Río Madre de Dios, einen Nebenfluss des Beni. Eine | |
Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche findet wiederum vor allem in | |
der Umgebung der Stadt Santa Cruz de la Sierra statt, dem Zentrum der | |
bolivianischen Agrarindustrie. Dort leidet die Wasserqualität unter dem | |
Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln. Es gibt bisher nur sehr wenige | |
Untersuchungen darüber, welche Schäden dadurch entstehen und wie lange | |
diese Stoffe im Wasser verbleiben. | |
taz: Welche weiteren Gefährdungen gibt es? | |
Gonzáles: Ein dritter Druckfaktor, den es intensiver zu untersuchen gilt, | |
ist die Entwaldung. Wälder sind Teil des Wasserkreislaufs. Wenn wir Wald | |
abholzen, kann das Regenwasser nicht so wie vorher in den Boden sickern. Es | |
gelangt darum nicht ins Grundwasser, das eine wichtige Wasserquelle auf dem | |
Land und in Städten wie Santa Cruz ist. Und je mehr Wald zerstört wird, | |
umso weniger Wasser kann er speichern. Darum gibt es weniger Verdunstung, | |
und es bilden sich keine Wolken mehr, die den Wasserkreislauf erneut in | |
Gang setzen. | |
Hinzu kommen Waldbrände als vierter Faktor. Zu ihnen gibt es zwar noch | |
keine umfassenden Studien. Aber es ist zu beobachten, dass nach Bränden | |
Asche im Wasser zu finden ist. Das stellt ebenfalls eine Verschmutzung dar. | |
Diese vier Faktoren sind die größten Belastungen für die Wasserressourcen | |
Amazoniens – und ihre Auswirkungen auf den Wasserhaushalt haben sich | |
verschärft. | |
taz: Im Amazonasbecken ist rund ein Fünftel des Flusswassers der Erde | |
konzentriert. Amazonien ist von einem Netz von Hauptflüssen durchzogen, die | |
zusammen eine Länge von über 10.000 Kilometer haben. Wenn etwas in den | |
Flüssen Boliviens passiert, welche Auswirkungen hat das auf die | |
Nachbarländer? | |
Gonzáles: Wir müssen Amazonien als ein System miteinander verbundener | |
Flüsse betrachten, als ein zusammenhängendes Ökosystem. Flüsse kennen keine | |
Grenzen. Eine Aktivität, die die Qualität oder Wassermenge eines Flusses an | |
einem Ort beeinträchtigt, wird mit ihren guten und schlechten Auswirkungen | |
über dieses Netz auch andere Länder erreichen. | |
In Peru wird etwa am Fluss Madre de Dios Bergbau betrieben. Der Fluss | |
fließt von dort zu uns und trägt Sedimente und Quecksilber mit sich. Durch | |
Fische verbreitet sich das weiter und gelangt in die menschliche | |
Nahrungskette. Dabei bleibt es nicht: Über die Flüsse wird das Quecksilber | |
weiter nach Brasilien geschwemmt, in diesem Fall über den Río Madeira, | |
einen Nebenfluss des Amazonas. | |
taz: Haben Sie Flüsse identifiziert, die am anfälligsten auf die | |
gegenwärtigen Klimaveränderungen reagieren? | |
Gonzáles: Nein, das haben wir noch nicht ermittelt. Derzeit führen wir eine | |
Analyse der Klimabelastung der letzten 25 Jahre durch und erstellen eine | |
Prognose, wie sich das Klima in der Region in Zukunft entwickeln wird. Was | |
wir aber sagen können, ist, dass die meisten Amazonasflüsse in Bolivien | |
bereits jetzt schon großen Veränderungen ausgesetzt sind. Die Niederschläge | |
in der Regenzeit werden stärker, und es regnet in kurzen Zeiträumen | |
intensiver. Wir haben auch Überschwemmungen untersucht. | |
In bestimmten Gebieten treten sie regelmäßig auf, etwa in der Moxos-Ebene, | |
durch den der Río Beni fließt. Es ist eine Überschwemmungssavanne im | |
nördlichen Tiefland Boliviens. Doch wir haben festgestellt, dass seit fast | |
zehn Jahren auch andere Regionen unter Überschwemmungen leiden, die nie als | |
Gefährdungsgebiete galten. Gleichzeitig hat sich mittlerweile die | |
Dürreperiode verlängert. Früher dauerten die Dürremonate nur bis August | |
oder September. Jetzt gibt es sogar oft bis in den Oktober oder November | |
hinein keinen Regen. | |
taz: Und wie verhalten sich die Flüsse in der Trockenzeit? | |
Gonzáles: Der Wasserstand vieler schiffbarer Flüsse sinkt, und einige | |
Abschnitte sind dann kaum mehr befahrbar. In Brasilien ist die Lage noch | |
gravierender. Unsere Kollegen haben uns Aufzeichnungen von einigen sehr | |
breiten Flüssen gezeigt, deren Pegel so stark gesunken ist, dass bestimmte | |
Gemeinden von der Außenwelt abgeschnitten sind. Auch in Bolivien sinken die | |
Wasserstände. Das wirkt sich nicht nur auf die Schiffbarkeit aus, sondern | |
auch auf die Artenvielfalt. Es gibt Berichte über rosa Delfine, die nicht | |
weiterschwimmen können, weil der Wasserstand nicht ausreicht, um ihren Weg | |
fortzusetzen. | |
Interviewerin Karen Gil ist eine bolivianische Investigativjournalistin, | |
Dokumentarfilmerin und Direktorin der Onlinemagazins [1][La Brava]. | |
Übersetzt aus dem Spanischen von Ole Schulz | |
11 Sep 2025 | |
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[1] https://revistalabrava.com/ | |
## AUTOREN | |
Karen Gil | |
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