# taz.de -- Wahl fürs Bundesverfassungsgericht: Schlucken oder spucken? | |
> Die Linkspartei ist das Zünglein an der Waage bei der Wahl der | |
> BundesverfassungsrichterInnen. Und will sich nicht zu Kopfnickern | |
> degradieren lassen. | |
Bild: Linke Spinner sollen rechten Spinner wählen. Really? | |
Berlin taz | Die SPD schickt nach dem Eklat um die nominierte | |
Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf eine neue Kandidatin ins | |
Rennen: Sigrid Emmenegger. Die Signale aus der Union sind positiv. | |
Allerdings ist die Wahl damit längst noch nicht in trockenen Tüchern. Denn | |
der Bundestag soll am 26. September drei neue RichterInnen küren – neben | |
Emmenegger sind dies die zweite SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold und der | |
vom Bundesverfassungsgericht nominierte und von der Union unterstützte | |
Kandidat Günter Spinner. Alle werden in geheimer Wahl einzeln gewählt und | |
brauchen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. | |
Union und SPD fehlen dazu aber auch mit den Grünen sieben Stimmen. Von CSU | |
bis Linkspartei ist es eigentlich Konsens, dass | |
BundesverfassungsrichterInnen nicht mit Stimmen der AfD ins Amt kommen | |
sollen. Deshalb sind SPD und Union nicht nur auf das Ja der Grünen | |
angewiesen, sondern auch auf Stimmen aus der Linksfraktion. Das macht die | |
Lage etwas unübersichtlich. | |
Die Grünen reagierten verschnupft auf die Personalie Emmenegger. | |
Fraktionschefin Britta Haßelmann kritisierte das Verfahren. Dass SPD und | |
Unionsfraktion die neue Kandidatin präsentierten, ohne die Grünen vorab zu | |
informieren, sei „angesichts der Vorgeschichte ziemlich unprofessionell“, | |
so Haßelmann. Will sagen: Die Grünen wollen nicht einfach nur zum Jasagen | |
da sein. Allerdings hat der [1][Eklat um Brosius-Gersdorf] vor allem der | |
AfD und rechten Kulturkämpfern genützt. Und es ist schwer vorstellbar, dass | |
die Grünen den von der demokratischen Mitte unterstützten KandidatInnen die | |
Unterstützung versagen. | |
Auch die Linksfraktion hat wenig Lust, als Mehrheitsbeschafferin zu | |
fungieren. Die Rechtsexpertin Clara Bünger, die für die Linksfraktion im | |
Innenausschuss des Bundestags sitzt, sagte der taz, man sei von der | |
Personalie „überrascht worden“. Das Verfahren schüre Zweifel, ob SPD und | |
Union „aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben“. Es gebe „keinen | |
Automatismus“, dass die Linksfraktion die RichterInnen wählt, so Bünger zur | |
taz. Dass die Fraktionen die vorgeschlagenen KandidatInnen prüfen, gehört | |
zum normalen Ablauf. | |
## Unnormal verspannt | |
Nicht normal ist allerdings das verspannte Verhältnis der Union zur | |
Linksfraktion. Die Unionsfraktion weigert sich, mit der Linken zu reden. | |
Die CDU pocht auf ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss von 2018, der eine | |
Zusammenarbeit mit der Linken auf allen Ebenen ausschließt. Faktisch gilt | |
der allerdings längst nicht mehr. Denn die Linke stützt nicht nur in | |
Thüringen und Sachsen CDU-Ministerpräsidenten, um die AfD fern von der | |
Macht zu halten – sie hat auch die Wiederholung der Wahl von Friedrich Merz | |
zum Kanzler pragmatisch ermöglicht – ohne Gegenleistung. | |
Die [2][CDU kramt den Unvereinbarkeitsbeschluss] stets hervor, wenn sie | |
glaubt, sich das machtpolitisch leisten zu können. Im Fall der | |
RichterInnenwahl reiche es, so die Haltung der Union, wenn die SPD mit der | |
Linkspartei redet. Clara Bünger fordert verständlicherweise: „Wir erwarten, | |
dass sich die Union bewegt, auf uns zukommt und Gespräche mit uns führt.“ | |
Aber was, wenn Spahn und Co. bei ihrem Kontaktsperregesetz bleiben? | |
In der Linkspartei finde manche, dass man der Union weit genug | |
entgegengekommen ist – und es nicht die Aufgabe der Opposition ist, die | |
handwerklichen Fehler der Regierungsfraktionen zu reparieren. Zumal die | |
Unionsspitze der linken Fraktionschefin Heidi Reichinnek noch nicht mal | |
eine SMS schicken will. CSU-Innenminister Alexander Dobrindt hatte der | |
Union vor Wochen zwar geraten, einfach mal „bei der Linkspartei anzurufen“. | |
Aber das blieb ein einsamer Ruf in der Wüste. | |
Trotz der Kritik am Vorgehen von SPD und Union dürfte sich die | |
Linksfraktion vermutlich darauf verständigen, die beiden Kandidatinnen der | |
Sozialdemokraten zu wählen. Anders ist die Lage bei Günter Spinner, der, | |
wie die anderen beiden RichterInnen, geheim gewählt wird. Spinner wird von | |
der Union unterstützt. Die AfD hatte im Juli erklärt, die SPD-Kandidatinnen | |
nicht zu wählen, sehr wohl aber Spinner. | |
## Linke Spinner, rechter Spinner | |
Damit steht die Linksfraktion vor einer kniffeligen Frage. Sie kann die | |
beiden SPD-RichterInnen wählen, Spinner aber die Stimmen verweigern. Der | |
würde dann mit AfD-Stimmen nach Karlsruhe geschickt – daran wäre laut | |
Linksfraktion aber die Union schuld. Es wäre ein Zeichen Richtung CDU/CSU, | |
dass man nicht alles mit sich machen lässt. Aber es wäre auch ein massiver | |
Verstoß gegen die selbstgesetzte Regel, nie das Spiel der AfD zu befördern. | |
Die Linksfraktion berät am nächsten Montag ihre Strategie. Es gebe in | |
dieser Frage keine Blöcke, keine Trennung in Realos und Radikale. Das | |
Ergebnis ist offen. | |
11 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Wahl-fuer-das-Bundesverfassungsgericht/!6096030 | |
[2] /Unvereinbarkeitsbeschluss-der-Union-/!6087226 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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