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# taz.de -- Über die Zunahme der antiqueeren Gewalt: „Die ‚schwule Sau‘ …
> Es sei ein Armutszeugnis, dass sich queere Menschen selbst am CSD nicht
> mehr sicher bewegen können, sagt Bastian Finke vom Antigewaltprojekt
> Maneo.
Bild: „Es gibt keine akute, aber deutschlandweit eine allgemeine Bedrohungssi…
taz: Herr Finke, am Samstag werden Hunderttausende zum CSD in Berlin
erwartet, so wie jedes Jahr. Bestehen aus Ihrer Sicht Sicherheitsbedenken
angesichts der zunehmenden antiqueeren Gewalt?
Bastian Finke: Es gibt keine akute, aber deutschlandweit eine allgemeine
Bedrohungssituation, die auch den Berliner CSD betrifft. Die Veranstalter
sind mit der Polizei in einem regen Austausch. Die Polizei hat auch uns
noch einmal versichert, dass sie alles unternehmen wird, um den CSD zu
begleiten und zu beschützen. Wir haben natürlich nicht nur den
Demonstrationszug allein im Blick, sondern auch die Menschen, die zum CSD
kommen, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch zu Fuß unterwegs
sind, und anschließend wieder nach Hause gehen oder weiterziehen zu
Veranstaltungen und Partys. Das alles ist in so einer großen Stadt
schwerlich abzusichern. Deshalb lautet unser Appell an alle: Bleibt
zusammen, bildet, wenn möglich, kleine Grüppchen, und vor allem, wenn
irgendwas sein sollte, verständigt die Polizei – und auch Maneo.
taz: Ich wollte gerade nach Verhaltenstipps fragen, um die eigene
Sicherheit zu gewährleisten oder zu erhöhen.
Finke: Sich zu verabreden, gemeinsam zum CSD zu fahren oder auch gemeinsam
wieder nach Hause zu fahren – das wären die wichtigsten Tipps. Und
natürlich sofort die Polizei verständigen, wenn irgendetwas an Bedrohung
entsteht. Sich an mögliche Zeugen wenden, an Menschen um einen herum, Hilfe
einfordern, Anfeindungen nicht auf sich sitzen lassen.
taz: Ist das nicht ein Armutszeugnis. Wir Queers müssen aufpassen, dass uns
in Berlin nichts passiert.
Finke: In der Tat. Es ist traurig und erschreckend, dass wir als LSBTIQ+
Schutz brauchen, dass Menschen, nur weil sie sind, was sie sind, sich nicht
überall frei bewegen können. Umso wichtiger sind meiner Meinung nach
Allianzen und Bündnisse, sind Menschen, die Haltung zeigen, nicht weg-,
sondern hinschauen, Hilfe verständigen, sich als Zeugen zur Verfügung
stellen. Die Strafverfolgungsbehörden in Berlin sind gewillt,
Hasskriminalität empfindlich zu bestrafen. Die „schwule Sau“ kann locker
1.800 Euro kosten.
taz: Wie dramatisch ist die Lage? [1][Ihr Projekt zählt ja die Vorfälle.]
Finke: Für uns sind das Übergriffe, die sich gezielt im Bereich von
Diskriminierung und Hasskriminalität bewegen. Wir reden momentan nicht von
einer extremen, aber von einer angespannten Situation, weil wir von so
vielen Übergriffen betroffen sind und sie sich immer wieder da ereignen, wo
Menschen sichtbar werden. LSBTIQ+, die sichtbar werden und auch alle, die
sich solidarisch erklären, und das beispielsweise mit Regenbogenflaggen
oder Regenbogenbändchen zeigen, sind von Anfeindungen betroffen. Und wenn
dann eine Polizeipräsidentin wie in diesem Frühjahr erklärt, dass sich
Schwule und Lesben und auch jüdische Mitmenschen in bestimmten Bezirken
vorsehen sollen, dann zeigt das, dass wir nicht in einer entspannten
Situation leben.
taz: Wie sehen die konkreten Zahlen aus? Wie groß ist die Steigerung der
Übergriffe?
Finke: Wir haben im letzten Jahr 8 Prozent mehr Fälle erfasst. In Zahlen
waren das 738 Übergriffe. Das ist aber nur die Spitze des Eisberges. Wir
wissen, dass es ein hohes Dunkelfeld gibt. Und wir wissen aus vielen
Erzählungen von Betroffenen, warum sie sich teilweise nicht bei uns melden
oder die Tat anzeigen. Das hat oft mit Minderheitenstress zu tun,
verursacht durch viele Vorerlebnisse, bei denen leider oft die
Unterstützung, egal ob durch Eltern, Lehrer oder im sozialen Umfeld,
gefehlt hat. Das ist eine Erfahrung, die vielen sagt: Das bringt nichts.
Der Akt einer Anzeige kann deshalb schon als Überforderung erlebt werden.
Deshalb schlucke ich das lieber alles runter und tue gar nichts.
taz: Das ist ein unheilvoller Kreislauf.
Finke: Den zu durchbrechen würde bedeuten, sich beispielsweise an uns zu
wenden und Unterstützung zu bekommen. Eben doch nicht allein zu bleiben,
dabei helfen wir.
taz: Wer ist betroffen?
Finke: Alle LSBTIQ+ sind betroffen, da gibt es keinen Unterschied. Was aber
heraussticht, sind die stereotypen Rollenbilder, wie sich ein Mann oder
eine Frau zu verhalten haben. Und wenn ein Mensch mit solchen Vorstellungen
plötzlich jemanden gegenübersteht, der oder die diesen Rollenerwartungen
nicht entspricht, kommt es oft zu Übergriffen. In der Öffentlichkeit
vehement zugeschlagen wird gegen Männer, und die Täter sind oft männlich.
Aber auch Trans*personen oder Lesben sind betroffen. Wenn wir aber von
LSBTIQ+ feindlicher Gewalt sprechen, dann sehen wir auch andere Taträume
und Tatgelegenheiten. Da spielt beispielsweise das Internet eine ganz große
Rolle, oder die Schule, oder der Fußball. Da gibt es so gut wie gar keine
Unterschiede. Letztendlich kann es jeden treffen.
taz: Was wissen Sie über die Täter:innen? Da gibt es sehr viele stereotype
Annahmen.
Finke: Wir haben ein bisschen das Problem, dass wir nicht alle Taten so
verfolgen können, dass wir noch mehr Informationen über die Täter
herausbekommen. Da fehlen uns die Zugänge. Wir hätten die Zugänge, wenn uns
Opfer auch von Gerichtsverhandlungen erzählen würden oder von
Verurteilungen. Wir kriegen in der Regel nur einen Bruchteil von dem mit.
Diejenigen, die am besten darüber Auskunft geben könnten, wären die
Strafverfolgungsbehörden. Wir wissen von den Erzählungen der Betroffenen,
dass es überwiegend Männer sind, die diese Übergriffe begehen. Und das sind
eben oft Männer mit einem sehr engen Weltbild, wo scheinbar nur oben und
unten, schwarz und weiß, richtig oder falsch Gültigkeit haben.
taz: Da muss ich an das Regenbogenfahnen-Verbot am Reichstag und die
Debatte um die [2][„Zirkuszelt“-Äußerung] von Bundeskanzler Friedrich Merz
(CDU) denken.
Finke: Das sind gerade komplett falsche Signale vor dem Hintergrund dieser
angespannten Situation. Auch international müssen wir ja die Einflüsse mit
berücksichtigen, ob nun aus Russland oder den USA. Das sind alles Dinge,
die uns berühren. Und solche Entscheidungen wie das Flaggenverbot am
Bundestag sind genau die falschen Signale, die wir in einer solchen Zeit
nicht brauchen. Gerade jetzt, wo das [3][Land Berlin eine
Gesetzesinitiative] zur Änderung des Grundgesetzes, Artikel 3, auf den Weg
gebracht hat (um dort den Schutz von „sexueller Identität“ zu ergänzen;
Anm. d. Red.).
taz: Blicken Sie eher optimistisch oder eher pessimistisch in die Zukunft?
Auch angesichts drohender Budgetkürzungen. Am Tag unseres Gesprächs wurde
der Entwurf zum Doppelhaushalt für 2026/27 beschlossen. Ist Ihr Projekt von
Kürzungen betroffen?
Finke: Ja, aber wir wissen es noch nicht endgültig. Wir haben weiterhin die
Hoffnung, dass wir glimpflich davonkommen. Denn wir brauchen eigentlich
mehr denn je Unterstützung für Aufklärung und soziale Aufgaben. Mögliche
Kürzungen sind da keine guten Signale. Aber ich sage anerkennend in
Richtung der Politik, dass sich da Menschen wirklich bemühen. Man muss
würdigen, dass Vertreter der Regierungsparteien im Gespräch mit den
Interessenvertretern aus den Communities nach einer Lösung suchen. Das geht
nicht einfach zack-zack und die Kürzungen sind da, das ist begleitet von
Austausch und Dialog. Auch mit der Idee, ob wir da noch etwas Luft haben,
vielleicht etwas reduzieren oder einsparen können. Das schätze ich sehr,
dass es da einen Austausch gibt in dem Bemühen, die Arbeit in den
Communities zu erhalten und nicht einzudampfen.
taz: Also ist das Glas halb voll – oder halb leer?
Finke: Naja, wir sind mit vielen Dingen schon seit Jahren nicht glücklich.
Da ist zum Beispiel der Bedarf in der spezifischen Opferhilfearbeit, eben
für Menschen in unseren vulnerablen Szenen, der schon seit Jahren bei
Weitem nicht gedeckt ist. Das tut der Genesung von Menschen nicht gut, wenn
sie die Unterstützung nicht erhalten, die sie eigentlich bräuchten.
Grundsätzlich schaue ich nicht negativ in die Zukunft – aber ich schaue
besorgt in die Zukunft.
24 Jul 2025
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## AUTOREN
Andreas Hergeth
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Überfall
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