| # taz.de -- Migrationspolitik von Schwarz-Rot: Erneut Abschiebungen nach Afghan… | |
| > Bis zu 50 Afghanen sitzen in Abschiebehaft. Die Bundesregierung bereitet | |
| > offenbar einen Abschiebeflug vor – womöglich schon für die kommende | |
| > Woche. | |
| Bild: Vielleicht schon nächste Woche werden Menschen wie hier auf Abschiebefl�… | |
| Berlin taz | Dutzende Afghanen befinden sich in mehreren Bundesländern in | |
| Abschiebehaft, zum Teil seit über einem halben Jahr. Offenbar halten die | |
| Behörden sie für einen Abschiebeflug vor, den die Bundesregierung seit | |
| Monaten fieberhaft plant. Der Sächsische Flüchtlingsrat ging am Donnerstag | |
| mit der Befürchtung an die Öffentlichkeit, der Flug könnte noch in der | |
| nächsten Woche stattfinden. Dann läuft in dem Bundesland die Abschiebehaft | |
| für drei dort inhaftierte Afghanen aus. | |
| Mitte Juni hätten bundesweit noch 40 bis 50 straffällig gewordene | |
| afghanische Geflüchtete eingesessen, berichteten die Diakonie | |
| Rheinland-Pfalz, der dortige Flüchtlingsrat sowie der Initiativausschuss | |
| für Migrationspolitik kürzlich in einem gemeinsamen Statement. Neben | |
| Rheinland-Pfalz seien weitere Fälle aus Baden-Württemberg, Bayern, | |
| Nordrhein-Westfalen und Sachsen bekannt. Die taz fragte bei den zuständigen | |
| Ministerien in den fünf Bundesländern nach. | |
| Im Freistaat Bayern sitzen dem Innenministerium zufolge derzeit fünf | |
| afghanische Staatsangehörige in Abschiebehaft. Auch in Nordrhein-Westfalen | |
| gilt dies für fünf Personen, wie eine Sprecherin des Ministeriums für | |
| Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration mitteilte. | |
| In Rheinland-Pfalz sei laut des zuständigen Familienministeriums auf Antrag | |
| von Kommunen „für eine mittlere einstellige Anzahl von Personen“ | |
| Abschiebungshaft durch das jeweils zuständige Amtsgericht angeordnet | |
| worden. Sachsens Innenministerium verweigerte eine Antwort und erklärte | |
| lediglich, „abschieberelevante Aspekte“ seien „nicht Gegenstand | |
| öffentlicher Auskunft.“ | |
| Baden-Württemberg gab an, dass sich neun Untergebrachte mit afghanischer | |
| Staatsangehörigkeit in der Abschiebungshafteinrichtung Pforzheim befänden, | |
| 2025 seien fünf afghanische Staatsangehörige wegen gerichtlicher | |
| Entscheidungen aus der Abschiebungshaft entlassen worden. Dazu, ob konkrete | |
| Abschiebungen nach Afghanistan aktuell in Vorbereitung seien, wollte sich | |
| das Ministerium in Baden-Wüttemberg nicht äußern, dies falle in die | |
| Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums. | |
| Laut Sächsischem Flüchtlingsrat säßen Afghanen unter anderem in der | |
| Abschiebehaftanstalt Dresden und in Abschiebeeinrichtungen in Pforzheim | |
| (Ba-Wü), Büren (NRW) und Ingelheim (RLP). Einige, etwa in Sachsen, gehörten | |
| zur diskriminierten Minderheit der Hasara und fürchteten „Verfolgung als | |
| Oppositionelle, ‚verwestlichte‘ Rückkehrer oder Taliban-Kritiker“. Einige | |
| hätten keine Familie mehr in Afghanistan, und damit auch kein soziales | |
| Auffangnetz. Auch das schließt eigentlich eine Abschiebung aus. | |
| ## Abschiebehaft kann bis zu sechs Monate dauern | |
| Abschiebehaft kann angeordnet werden, wenn ein ausländischer Staatsbürger | |
| unmittelbar ausreisepflichtig ist und Deutschland nicht freiwillig | |
| verlässt. Ein Gericht dürfe das in der Regel aber nur dann, „wenn es keine | |
| andere Möglichkeit sieht, die Ausreise durchzusetzen beziehungsweise eine | |
| 'erhebliche Fluchtgefahr’ besteht“, [1][schreibt der Mediendienst | |
| Integration]. | |
| In Abschiebehaft genommen werden können demzufolge auch Ausreisepflichtige, | |
| von denen eine „Gefahr für Leib und Leben Dritter“ ausgehe. Sie könne bis | |
| zu sechs Monaten und „in Ausnahmefällen“ bis zu 18 Monaten dauern. Nach der | |
| EU-Rückführungsrichtlinie müssen Abzuschiebende in gesonderten | |
| Hafteinrichtungen untergebracht werden, getrennt von Straftätern. | |
| Die Initiativen aus Rheinland-Pfalz kritisiert, Abschiebehaft „ohne | |
| konkrete Aussicht“ auf eine Abschiebung sei unzulässig. Dass diese besteht, | |
| sieht eine zunehmende Zahl von Gerichten offensichtlich als nicht mehr | |
| gegeben an. In mehreren Fällen verlängerten sie die Haft nicht mehr. Einige | |
| Inhaftierte mussten inzwischen freigelassen werden. Andere Gerichte | |
| verlängerten jedoch die Abschiebehaft, in mindestens einem Fall sogar bis | |
| September. | |
| Wie viele Afghanen wurden 2025 aus Abschiebehaft entlassen – und warum? Auf | |
| taz-Nachfrage antwortet Bayerns Innenministerium, dass eine Person aufgrund | |
| einer „Stornierung der Flugverbindung“ entlassen wurde, während 19 Personen | |
| im Rahmen des Dublin-Verfahrens in andere EU-Mitgliedsstaaten überstellt | |
| worden seien. 31 Personen wurden demnach abgeschoben, eine Person sei | |
| freiwillig ausgereist, bei einer weiteren war der Antrag auf | |
| Haftverlängerung abgelehnt worden. Bei drei weiteren Entlassungen aus der | |
| Abschiebehaft lagen andere Gründe vor. | |
| In NRW wurden dem Ministerium zufolge 46 Afghanen aus der | |
| „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige“ in Büren entlassen. In | |
| 45 Fällen erfolgte die Überstellung an einen anderen EU-Mitgliedsstaat, in | |
| einem Fall sei eine richterliche Anordnung der Grund gewesen. In | |
| Rheinland-Pfalz liegt laut Ministerium für die Zahl der in diesem Jahr aus | |
| Abschiebehaft entlassenen afghanischen Staatsbürger „keine statistische | |
| Erfassung“ vor. | |
| ## Rückführungen dank „Schlüsselpartner“ Katar? | |
| Es könnte also sein, dass die Bundesregierung jetzt noch schnell die | |
| Verbleibenden ausfliegen möchte, weil ansonsten die Prozedur erneuter | |
| Inhaftierungen und Flugtauglichkeitsuntersuchungen von vorn beginnen | |
| müsste. Zudem würde sie sich der Kritik in den eigenen Reihen sowie von | |
| weiter rechts aussetzen, dass sie ihre im Koalitionsvertrag versprochenen | |
| Afghanistan-Abschiebungen nicht umsetze. | |
| Noch Mitte Juni hatte ein Landesinnenministerium einem Gericht mitgeteilt, | |
| der „regionale Schlüsselpartner“ habe die Bundesregierung informiert, er | |
| könne „Rückführungsmaßnahmen“ „sehr zeitnah“ ermöglichen. | |
| Es wäre die [2][zweite solche Sammelabschiebung aus Deutschland] seit der | |
| Machtübernahme der Taliban im August 2021 und die erste unter der | |
| schwarz-roten Koalition. Im August 2024 waren 28 Afghanen mit einem vom | |
| Golfstaat Katar gestellten Flugzeug vom Flughafen Leipzig/Halle in Sachsen | |
| nach Kabul verbracht worden. Frauen und Familien werden – jedenfalls bisher | |
| – nicht abgeschoben. Frauen genießen nach einem Spruch des Europäischen | |
| Gerichtshofs im Oktober 2024 generell europaweit Schutz. | |
| Katar sei wohl jener „regionale Schlüsselpartner“, der offenbar auch den | |
| neuen Abschiebeflug gegenüber den Taliban vermitteln soll, vermutet der | |
| Sächsische Flüchtlingsrat. Dieser Begriff taucht auch in mehreren | |
| Gerichtsentscheiden auf, die der taz vorliegen, sowie in der | |
| Bundespressekonferenz vom vergangenen Freitag, als Journalist*innen | |
| nach den Abschiebungen fragten. Die Taliban würde die Bundesregierung kaum | |
| so nennen. | |
| Deutschland erkennt deren Regime nicht an, hat aber „technische Kontakte“ | |
| dorthin zugegeben. Auf die Frage, ob es auch Direktgespräche mit | |
| Taliban-Vertretern über Abschiebepläne gäbe, antwortete das Auswärtige Amt | |
| am Sonntag, es würden bisher keine Gespräche mit dem Flüchtlingsministerium | |
| der de-facto Regierung geführt. Ein Welt-Reporter berichtete jedoch nach | |
| einem kürzlichen Kabul-Besuch, der Sprecher des dortigen | |
| Flüchtlingsministeriums habe „Vertreter der Bundesregierung“ schon in | |
| seinem Büro gesprochen. | |
| ## Dobrindt: Kontakt über Dritte soll keine Dauerlösung sein | |
| Die Bundesregierung möchte das für regelmäßige Abschiebungen sogar | |
| verstetigen. Der Weg über Katar ist ihr zu umständlich. | |
| [3][Innenressortchef Alexander Dobrindt (CSU)] sagte Anfang Juli in den | |
| Medien: „Nach wie vor braucht es Dritte, um Gespräche mit Afghanistan zu | |
| führen. Eine Dauerlösung darf das so nicht bleiben.“ | |
| Dabei möchte auch der frühere BND-Chef August Hanning helfen. Jetzt für | |
| seine eigene Beratungsfirma unterwegs, traf er vorige Woche in Berlin den | |
| früheren afghanischen Staatspräsidenten Hamed Karsai. Das wirbelte einigen | |
| Staub auf, auch, da Hanning hinterher behauptete, die Taliban hätten Karsai | |
| autorisiert, mit Deutschland über Abschiebungen zu sprechen. | |
| Hamid Sidig, ehemaliger afghanischer Botschafter in Deutschland, der nach | |
| eigener Aussage bei dem Treffen dabei war, wies das gegenüber der taz | |
| „kategorisch“ zurück. Vorstellungen über die Rückkehr von Afghanen aus | |
| Deutschland hätten mit Karsai „nichts zu tun“, sondern entsprängen nur den | |
| „Ideen“ der Gesprächspartner. Hanning ließ später verlauten, dass er „… | |
| im Auftrag der Bundesregierung“ gehandelt habe. Ein Sprecher des | |
| Auswärtigen Amt antwortete auf taz-Anfrage lediglich, man habe „keine | |
| Erkenntnisse zu Gesprächen“. Ähnlich äußerte sich das Innenministerium. | |
| Regierungssprecher Stefan Kornelius sagte, es gehe nicht um ein Abkommen | |
| mit den Taliban. Vorgängerbundesregierungen und die EU schlossen schon mit | |
| afghanischen Vorgängerregierungen nicht „Abkommen“, sondern einen | |
| „gemeinsamen Weg vorwärts“ zur Kooperation in Migrationsfragen – damals,… | |
| eine Mitsprache des Parlaments in Kabul zu umgehen. | |
| ## Taliban will Direktgespräche mit Berlin | |
| Die Taliban sind explizit bereit, auch eine größere Zahl afghanischer | |
| Landsleute aus Deutschland zurückzunehmen, sogar Kriminelle. Ihre Bedingung | |
| allerdings: Direktgespräche mit Berlin, nicht nur superdiskrete | |
| diplomatische Kontakte. Außerdem müsse Deutschland für die Integration in | |
| Afghanistan zahlen und die Rückkehr müsse freiwillig erfolgen. Dafür werden | |
| sich sicherlich nicht viele melden. | |
| Dave Schmidtke vom Flüchtlingsrat in Sachsen kritisiert: „Wer mit den | |
| Taliban verhandelt, stärkt ein Regime, welches Frauen komplett ihre Rechte | |
| nimmt und neue Fluchtursachen schafft. Wir erinnern uns an die | |
| Abschiebungen nach Kabul vor einigen Jahren: Zuerst traf es nur Straftäter, | |
| doch am Ende mussten alle abgelehnten Afghan*innen mit einer Abschiebung | |
| in den Krieg fürchten.“ | |
| Eine „missbräuchliche und ausgeweitete Anwendung“ des Instruments | |
| Abschiebungshaft führe im Endeffekt auch zu einer Wiedereinführung „einer | |
| Art Beugehaft“ in Deutschland, die rechtlich nicht zulässig sei, so ein*e | |
| Mitarbeitende der im Flüchtlingsbereich tätigen Initiativen zu taz. | |
| Vielleicht hoffen manche Behörden, Inhaftierte so zu freiwilliger Ausreise | |
| zu bewegen. | |
| Nach den Haftbefehlen, die am Dienstag der Internationale Strafgerichtshof | |
| in Den Haag [4][gegen die zwei wichtigsten Taliban-Anführer] wegen der von | |
| ihnen verantworteten systematischen Menschen- und darunter insbesondere | |
| Frauenrechtsverletzungen verhängte, dürfte es für die Bundesregierung noch | |
| schwieriger werden, Gespräche mit deren Regime gegenüber der Öffentlichkeit | |
| zu begründen. | |
| Unterdessen eskalierte ein Streit der Bundesregierung mit Afghanistans | |
| Nachbarland Pakistan. Wie die Welt berichtet, habe Pakistan Razzien in | |
| Gästehäusern durchgeführt, in denen Deutschland Afghanen untergebracht | |
| hatte, deren Aufnahme die Bundesrepublik zugesagt aber noch nicht umgesetzt | |
| hatte. | |
| Deutschland hatte nach der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 | |
| Zehntausenden Afghanen Aufnahmezusagen erteilt, die Betroffenen aber nicht | |
| eingeflogen, sondern in Pakistan untergebracht. Ein Ultimatum Pakistans, | |
| etwa 2.500 dieser Personen auszufliegen, verstrich nach Verlängerung am 30. | |
| Juni, so die Welt, seit dem Ablauf dieser Frist ist es zu den Razzien | |
| gekommen. | |
| 13 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/abschiebungen.html | |
| [2] /Abschiebungen-nach-Afghanistan/!6035964 | |
| [3] /Dobrindt-will-mit-Taliban-sprechen/!6097876 | |
| [4] /Unterdrueckung-von-Frauen/!6100131 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Ruttig | |
| Sönke Gorgos | |
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