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# taz.de -- Studie zur Fischerei in EU-Gewässern: Bestände am Ende
> Eine Studie aus Kiel wirft der EU schweres Missmanagement beim
> Meeresschutz vor: Statt Fischbestände zu schützen, gehorche sie
> nationalen Interessen.
Bild: Immer weiter fischen: Kutterdemonstration bei Büsum im März 2023 mit de…
Osnabrück taz | Mancher Mahnruf an Europas Fischereimanagement ist bereits
verhallt: Die massive Überfischung, nicht zuletzt durch riesige
Supertrawler, die für die Deutsche Stiftung Meeresschutz „Schiffe aus der
Hölle“ sind, ist eine bekannte Tatsache. Oft wühlen sie mit
Grundschleppnetzen den Meeresboden auf, was ihn als Lebensraum nachhaltig
schädigt. Mit einer neuen Studie dokumentieren Geomar Helmholtz Zentrum für
Ozenaforschung und Kieler Uni nun dieses systemische Versagen, benennen
Gründe dafür – und formulieren einen neuerlichen Appell.
Auch sie nicht zum ersten Mal. Und auch sie mit bislang stets ernüchterndem
Ergebnis: „Es wird falsch gemacht, was man falsch machen kann“, sagt
Geomar-Meeresbiologe Rainer Froese der taz. Der Lobbyismus der
Fischerei-Industrie ist dabei nicht das einzige Problem: Viele
PolitikerInnen seien, gerade fürs Thema sensibilisiert, schnell wieder aus
dem Amt. Oft wollten sie ihre Karrieren nicht für Reformen aufs Spiel
setzen, die sich nicht sofort rechnen. „Also geht die Dezimierung der
Fischbestände weiter“, so Froese.
Bei ihm laufen alle Daten zusammen. In der im Fachmagazin Science
publizierten [1][Studie „Systemic failure of European fisheries
management“] wirft das AutorInnen-Team um Froese der EU schweres
Missmanagement vor: „Kurzsichtige nationale Interessen und Politiken können
fundierten wissenschaftlichen Rat übertrumpfen“, heißt es darin. Etwa 70
Prozent der wirtschaftlich genutzten Fischbestände der nördlichen
EU-Gewässer seien „überfischt oder komplett zusammengebrochen“, fasst
Geomar zusammen, obwohl die EU sich in ihrer Gemeinsamen
[2][Fischereipolitik] (GFP) zu einer nachhaltigen, umweltverträglichen
Bewirtschaftung verpflichtet hat.
Dafür werden Fangquoten auf Basis von Gutachten des International Council
for the Exploration of the Sea (Ices) empfohlen. Doch die Realquoten
beschließen dann die Ministerien, und bei denen würden „die Bestandsgrößen
oft überschätzt“, so Froese. Schon die Fangquotenempfehlungen seien zu
hoch. Aber dann „übersteigen die Quoten der Ministerien oft noch die
Empfehlungen. Das steigert sich ständig.“ Die Studie regt deshalb an, eine
unabhängige Institution zu gründen, die wissenschaftsbasierte und
ökologisch verträgliche Fangmengen festlegt. „Die Politik muss da raus“,
sagt Froese. „Sonst gibt es keine Hoffnung, dass sich was ändert.“
„Systemic failure of European fisheries management“ analysiert en détail
die [3][Situation in der Ostsee]. Diese sei besonders gut dokumentiert, und
die Zahl der Bestandsarten zudem überschaubar, erklärt Froese die
Fokussierung. „Außerdem gehören alle Befischer zur EU.“ Es sei also nicht
möglich, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das Ergebnis lasse sich aber
auf andere Gewässer und Bestände übertragen. Fast 200 Bestände haben die
WissenschaftlerInnen betrachtet, auch in der [4][Nordsee], im
[5][Atlantik].
20 Prozent eines Bestandes lassen sich pro Jahr entnehmen, damit er seine
Größe behält. „Bei manchen Beständen entnehmen wir jedoch zwischen 60 und
80 Prozent“, so Froese. „Klar, dass die dann zusammenbrechen.“ Natürlich
gibt es Unterschiede. Marktgängige, stark nachgefragte Arten wie Dorsch
oder Hering sind [6][extrem unter Druck], bei ihnen ist die Lage
katastrophal, die Bestände weniger gefragter Arten wie Scholle oder Flunder
sind relativ intakt. Schon das legt nahe: Der Fischfang spielt beim
Zusammenbruch der Bestände die entscheidende Rolle.
Immerhin ziehen Dänemark und Schweden in Erwägung, [7][Grundschleppnetze zu
verbieten]. „Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Froese.
Aus Deutschland komme jedoch Widerstand gegen jegliche Reform. Auch
No-take-Schutzzonen, in denen der Fischfang komplett verboten ist, helfen.
Mittlerweile gibt es sie. „Aber sie kommen zu spät“, sagt Froese. „Es si…
zu wenige. Und sie sind zu klein.“
Eigentlich könnten Naturschutz und Fischfang Hand in Hand gehen. Es ist ja
nicht wie an Land, wo man sich gegen den Wald entscheiden muss, wenn ein
neuer Acker entstehen soll. Beides sei möglich, so Froese: intakte Bestände
und wirtschaftlicher Gewinn. Die Voraussetzung: Den Beständen muss es gut
gehen. Aber gegenwärtig hole man raus, was sich rausholen lasse. Ziel seien
hohe Erträge, möglichst sofort und „ohne Gedanken an später“. Schlau ist
das nicht: Lasse man einen Fisch nur ein Jahr länger im Wasser, habe er
sich fortgepflanzt, sein Gewicht verdoppelt. „Aber so wird nicht gedacht.“
17 Sep 2025
## LINKS
[1] https://www.science.org/doi/10.1126/science.adv4341
[2] /Klage-von-Nordsee-Fischern-abgelehnt/!6089447
[3] /Fischerei-in-der-Ostsee-am-Limit/!6100632
[4] /Nordsee/!t5008145
[5] /Atlantik/!t5010730
[6] /Fischratgeber-des-Umweltverbands-WWF/!6081309
[7] /Schaeden-durch-Fischerei/!6041544
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
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zu hoch.
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