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# taz.de -- Von Badelatschen und Normen: Mehr als bloß ein Kleidungsstück
> In Damaskus wäre unser Kolumnist, der vor zehn Jahren nach Hamburg kam,
> nie in Badelatschen auf die Straße gegangen. Hier ist das was anderes,
> oder?
Bild: Die Füße unseres Kolumnisten in Badelatschen: Kann man so ins Büro geh…
Ein warmer Sonntagvormittag, wir wollten spazieren gehen. Meine
Schuhauswahl beschränkte sich auf ein paar Sandalen mit Anker-Motiv, wie
man sie im Schwimmbad trägt. „Latschen“, sagte meine Frau, „so nennt man
die.“ Ich zog sie an, lachte über mich selbst und machte sogar ein Foto.
Dann stellte ich mir die Frage: [1][Gehe ich mit denen morgen ins Büro]?
Das klingt vielleicht nicht nach einer besonders intellektuellen
Fragestellung, aber ich möchte erklären, warum ich tagelang über [2][diese
Latschen] nachgedacht habe: In Syrien wäre ich niemals mit solchen Sandalen
in die Stadt gegangen – obwohl es in Damaskus noch heißer ist als in
Hamburg. Solche Latschen wären in meiner Familie maximal im Badezimmer
erlaubt gewesen. Das bezog sich auch auf andere Kleidungsstücke: Wenn mein
Vater früher einen seiner Söhne oder andere junge Männer in kurzen Hosen
sah, hat er immer gesagt: „Das gehört sich nicht.“
Ich komme aus einer traditionellen Familie, aber warum man sich wie
kleidet, ist auch eine Frage der gesellschaftlichen Normen. Diese Normen
tragen wir weiter oder entscheiden uns aktiv, mit ihnen zu brechen. Für
viele [3][Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte], die in ein neues
Land kommen, sind die neuen Normen wie ungeschriebene Gesetze. Für mich war
es wie eine Zwiebel, Stück für Stück zeigten sich mir neue Schichten. Im
Integrationskurs bringen sie dir schnell bei, dass man „Guten Morgen“ sagen
soll, aber ob ich auf „Moin“ mit einem oder zwei „Moin“ antworten sollt…
dass habe ich erst später erfahren – seit einiger Zeit antworte ich
übrigens mit „Salam“.
2016 und 2017 habe ich mitbekommen, wie viele ehrenamtliche Helfer*innen
erklärten, dass man als junger Mann nicht in [4][Jogginghose] zu
Vorstellungsgesprächen oder zum Arbeitsamt gehen soll. Das gilt als Tabu,
richtig?
Ich habe gelernt, dass es viele Vorstellungen rund um Etikette gibt. Es
geht es darum, wie man sich verhält, wie man aussieht, wie man spricht, was
man isst, wie man isst und so weiter. Und jede*r hat eine andere Idee
davon, warum sich manche Dinge gehören und andere nicht. Die Frage ist: Wie
gehen wir damit um, wenn sich jemand gegen die von uns hochgehaltenen
Normen verhält? Wenn jemand mit offenem Mund isst, nicht per Handschlag
begrüßt oder in Badelatschen ins Büro kommt?
Nehmen wir mal ein negatives Beispiel: Ein junger Syrer, der nach
Deutschland geflüchtet ist, stellt sich gegen die Normen, die er hier
kennenlernt. Ich spreche nicht über rechtswidriges Verhalten, sondern über
Lautsein, Auffälligsein, Mir-doch-egal-Verhalten. Wie begegnen wir diesen
jungen Leuten, die behaupten, so leben zu wollen, wie sie es in Syrien
gelernt haben?
Verstehen, akzeptieren, mitmachen. So kann es gehen, aber das ist ein
Prozess, der viel Zeit braucht. Vor allem, wenn junge Männer allein
migrieren, ohne Vorbilder, ohne Eltern, ohne Menschen, die ihnen sagen: „Du
musst das jetzt so machen, du musst das akzeptieren.“ Sie haben zu oft
niemanden, der ihnen die Richtung weist, ihnen vorlebt, wie man sich treu
und gleichzeitig offen für Neues bleibt.
Ich habe in den zehn Jahren, in denen ich in Hamburg lebe, auch vieles
falsch verstanden und konnte gewisse Normen nicht einordnen. Was ist, wenn
die Teenager und Kinder permanent unter Druck gesetzt werden, Normen zu
akzeptieren, die ihre Eltern so nicht vorgelebt haben? Welchen Personen
erlaubt die Gesellschaft Tabubrüche, ohne sie abzustrafen? Ab wann sind
Normen politisch? Ich bin kein Sozialwissenschaftler, aber ich glaube an
gegenseitige Anerkennung und Vertrauensvorschüsse.
Wie gesagt, [5][diese Badelatschen] haben mich wirklich zum Nachdenken
gebracht. Wenn es mal wieder aufhört zu regnen, denke ich mal darüber nach,
sie ins Büro anzuziehen. Aber niemals mit Socken, oder?
25 Jul 2025
## LINKS
[1] /Kleidung-am-Arbeitsplatz/!5752484
[2] /Badelatschenverbot-an-Schule/!5876811
[3] /Migration-und-Flucht--nicht-das-Gleiche/!6069148
[4] /Deutsche-Knigge-Gesellschaft/!5923769
[5] /Die-perfekten-Sommertreter-finden/!5608769
## AUTOREN
Hussam Al Zaher
## TAGS
Kolumne Hamburger, aber halal
Normen
Hamburg
Flucht
Migration
Kleidung
Gesetz
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Mode
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