| # taz.de -- Die Wahrheit: Shisha und Zuzeln und mein Opa | |
| > Großvater modelte einst alte Bocksbeutel um und gründete mit feuchtem | |
| > Tabak und romantischem Licht das älteste Wasserpfeifenlokal Bayerns. | |
| Bisher habe ich es niemandem erzählt, und es hat auch noch nie jemand | |
| gefragt, also: Mein Opa hat Bayerns älteste Shisha-Bar eröffnet. Damals war | |
| sie natürlich nicht Bayerns älteste, sondern Bayerns jüngste, weil erste | |
| Shisha-Bar. Das mit dem Alter kam mit der Zeit. Doch der Reihe nach. | |
| Als die Gastarbeiter nach Deutschland kamen, verteilten sie sich nicht | |
| gleichmäßig auf die Bundesländer. Die Türken gingen meist in den Pott oder | |
| nach Berlin, die Italiener gingen nach Süddeutschland, die Griechen … Na | |
| gut, die Griechen verteilten sich schon relativ gleichmäßig, kann sein, | |
| haben ja auch die Geometrie erfunden, aber nageln Sie mich darauf nicht | |
| fest. | |
| Mein Opa selbst, so erzählte er mal, während er genüsslich an einer | |
| Kaugummizigarette zog, die man damals noch fast überall rauchen durfte, | |
| also mein Opa, landete in Augsburg. Weil viele Frauen dort aus | |
| Gottesfürchtigkeit Kopftücher trugen – sogar die Türkinnen manchmal – und | |
| weil das ständige „Kruzitürken“ ihn an seine Heimat erinnerte, ließ er s… | |
| nieder und stand erst wieder auf, als die Geschmacksrichtung Doppelapfel | |
| erfunden worden war. | |
| Die sollte später zum Renner werden, aber erst mal musste die | |
| Shisha-Bar-Idee raus aus den Kinderschuhen und das war schwer. Shishas gab | |
| es in Deutschland noch nicht, also modelte mein Opa alte Bocksbeutel um. | |
| Feuchten Tabak bekam er gebraucht von urbayerischen Schnupflern. Statt | |
| fahlen Neonlichts gab es romantisches Licht in Kerzenform. | |
| Und weil Tradition in Bayern seit dem Spätmittelalter großgeschrieben wird, | |
| funktionierte auch die Shisha-Bar entsprechend: Begrüßt wurde sich durch | |
| Küsschen links, Küsschen rechts, zünftige Watschn. Die erste Angestellte | |
| war eine dralle Dame namens Uschi, die immer zehn Shishas gleichzeitig | |
| balancierte. Und zu essen gab es nur Simit in Brezelform und Sucuk. Die | |
| musste bis zum Zwölfeläuten ausgezuzelt sein. | |
| Als die Startschwierigkeiten überwunden waren, rollte die bayerische Lira. | |
| Selbst dass manche Ureinwohner versuchten, den heißen Tabak zu schnupfen | |
| und dabei Verbrennungen erlitten, selbst das tat dem Erfolg der „Seppl | |
| Lounge“ keinen Abbruch. | |
| Mit den Jahren wurde auch die Shisha-Bar meines Opas, nicht anders als | |
| Teile Bayerns, weltoffener. Mehr und mehr zugereiste Kundschaft und | |
| vermeintlich modernes Design hielt Einzug in das exotische Ausgehlokal. Dem | |
| Zeitgeist entsprechend hat es sich aber mittlerweile wieder seiner | |
| Vergangenheit besonnen. Bei der Farbgebung dominiert Blau-Weiß, die | |
| Geschmacksrichtung Radi hat sogar Doppelapfel überholt und das Anbrennen | |
| der ersten Shisha der Woche wird mit einem lautstarken „O’rupft is!“ | |
| gefeiert. | |
| Übrigens, mein Opa ist gar kein Türke. Sie haben das nur so interpretiert! | |
| Darf doch jeder eine Shisha-Bar eröffnen und Simit verkaufen: Mein Opa | |
| kommt aus München. In diesem Sinne – O’rupft is! | |
| 23 Jul 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Ernst Jordan | |
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