# taz.de -- Krise in Suweida: Syrische Machtfragen | |
> Wohin steuert Syrien nach den Unruhen in der Region Suweida: Kann die | |
> syrische Regierung die Fliehkräfte binden? Eine Rekonstruktion der | |
> Ereignisse. | |
Bild: Unter Feuer: In der Stadt Suweida kam es zu Zusammenstößen zwischen dru… | |
Berlin/Jerusalem taz | Der Beschuss war sehr heftig: Mit Mörsergranaten und | |
Artilleriefeuer. Niemand wagte es, auf die Straßen zu gehen. Alle hatten | |
Angst“, sagt ein junger Mann aus dem südsyrischen Suweida, der die | |
gewaltvollen Zusammenstöße dort in den vergangenen Tagen miterlebt hat. | |
Nach vier Tagen der Kämpfe sind nach Angaben des Syrian Network for Human | |
Rights (SNHR) mindestens 169 Menschen tot, darunter fünf Frauen und sechs | |
Kinder. Mindestens 200 Menschen wurden verletzt. Dann rief die syrische | |
Regierung einen Waffenstillstand aus, seit dem späten Mittwochabend | |
verlassen ihre Truppen das Gebiet. Bis in den Donnerstag hinein hielt der | |
Abzug an. | |
Doch wie konnte es überhaupt zu den brutalen Auseinandersetzungen kommen? | |
Am vergangenen Samstag überfällt am Morgen eine Gruppe bislang nicht | |
identifizierter Bewaffneter einen jungen drusischen Mann, der in seinem mit | |
Gemüse beladenen Lastwagen auf der Schnellstraße von Damakus nach Suweida | |
unterwegs ist. Sie entführen ihn, stehlen den Lastwagen und persönliche | |
Gegenstände und beschimpfen ihn – so berichtet es das Nachrichtenportal | |
Enab Baladi – mit religiös motivierten Beleidigungen. Schließlich lassen | |
sie ihn laufen, und der junge Mann wird mithilfe von Passanten in ein | |
Krankenhaus in der Stadt Suweida gebracht. | |
Das Gouvernement Suweida, dessen Zentrum die gleichnamige Stadt ist, wird | |
vor allem von Drusinnen und Drusen besiedelt. Zahlen von vor dem syrischen | |
Bürgerkrieg beziffern ihren Anteil an der Bevölkerung auf 90 Prozent. Dazu | |
kommt eine Minderheit sunnitischer Beduinen. | |
Nach der Entführung des jungen Mannes brachen ab Sonntag zwischen | |
bewaffneten Drusen und Mitgliedern der beduinischen Stämme Kämpfe aus, | |
zunächst vor allem in Dörfern nahe der Stadt Suweida. Enab Baladi berichtet | |
unter anderem von Brandschatzung und Vandalismus in einem Dorf, bevor | |
drusische Milizionäre von den Angreifenden – wohl Beduinen – die Kontrolle | |
zurückgewannen. Beide Gruppen nahmen unter ihren Gegnern Geiseln. | |
Mindestens 30 Opfer forderte der Konflikt nach staatlichen Angaben bis zur | |
Nacht von Sonntag auf Montag. | |
## Viele Drusen gegenüber neuer Regierung sicher | |
Das syrische Innenministerium erklärte dann am Montag früh auf Facebook: Um | |
die Auseinandersetzungen zu beenden und die Sicherheit wiederherzustellen, | |
werde man in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium staatliche | |
Sicherheitskräfte in die Region entsenden. | |
Im Dezember 2024 stürzte die dschihadistische Miliz Hayat Tahrir asch-Scham | |
(HTS) Diktator Baschar al-Assad und übernahm über weite Teile Syriens die | |
vollständige Kontrolle. Nicht aber über Suweida. Neben einem begrenzten | |
Aufgebot von staatlichen Sicherheitskräften in der Region, üben dort | |
bewaffnete drusische Milizen, die teils in Konkurrenz und Konflikten | |
zueinander stehen, die Kontrolle aus. Im Allgemeinen sind viele Drusen | |
gegenüber der neuen Regierung misstrauisch, ob ihrer Wurzeln im | |
Dschihadismus. Zwar gilt der jetzige Präsident und Ex-HTS-Anführer Ahmed | |
al-Scharaa als gemäßigt. Und seine Bemühungen, einen inklusiven Staat | |
aufzubauen, wirken bislang glaubwürdig. Doch gab es immer wieder in der | |
Geschichte Übergriffe sunnitischer Extremisten auf Drusen – etwa 2018, als | |
Kämpfer des „Islamischen Staates“ in und um Suweida angriffen. | |
Am Anfang der Woche rückte also ein größeres Aufgebot staatlicher Truppen | |
Richtung Suweida ein. Das wurde teils in Echtzeit in den sozialen Medien | |
dokumentiert. Am Montag veröffentlicht ein Mann, der sich Abu Omar Bilal | |
nennt, auf seiner Facebook-Seite ein Bild von sich und schreibt dazu | |
„Suweida“, mit einem „Daumen runter“-Emoji. Die taz hatte bereits zuvor | |
über ihn berichtet, im Zusammenhang mit bewaffneten Zusammenstößen in den | |
drusischen Dörfern Sehnaya und Ashrafiyat Sehnaya im April. [1][Damals | |
sprach er der taz gegenüber von „seinen Brüdern der Syrischen Arabischen | |
Armee“.] | |
Abu Omar Bilal bezeichnet sich selbst aber als militärischen | |
„Content-Creator“. Auf seinem Profilbild ist er in Camouflage und mit einer | |
Fahne der Shahada, des muslimischen Glaubensbekenntnisses, zu sehen. Das | |
Header-Bild ziert die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem. Seinen Bart trägt er in | |
der Mode strenggläubiger Sunniten: langer Vollbart mit abrasiertem | |
Schnauzer. Neben dem Bild veröffentlich er auch Videos: Eines zeigt mehrere | |
Pick-up-Trucks, auf den Ladeflächen Kämpfer in Camouflage mit | |
Maschinengewehren, entlang einer Schnellstraße. Dazu schreibt er: „Das Blut | |
der Märtyrer ist teuer und jetzt ist es Zeit, die Rechnungen zu bezahlen“, | |
und setzt einen Hashtag zu „Rote Brigade“. | |
Diese war einst eine Elite-Einheit der Miliz HTS. Nach Berichten lokaler | |
Medien, unter anderem der North Press Agency, waren besonders viele | |
ausländische Kämpfer – unter anderem aus den muslimisch geprägten Gebieten | |
Zentralasiens – Teil der Einheit. Nach der Übernahme Syriens durch die HTS | |
wurden diese Teil der Staatsstreitkräfte – und damit wohl auch Einheiten | |
wie die „Rote Brigade“. | |
In einem anderen Videos zeigt sich Bilal zusammen mit einem Mann in Uniform | |
und langem Bart, der sich als Abu al-Zubayr vom Verteidigungsministerium | |
vorstellt und erklärt, sie wollten ungesetzliche Separatistenmilizen | |
bekämpfen und seien Muslime, doch keine Extremisten. | |
## Videos und Bilder zeigen dutzende Tote | |
Seit Beginn der Woche häufen sich die Vorwürfe lokaler Stimmen aus Suweida: | |
Sie berichten von schweren Menschenrechtsverletzungen. So seien unter | |
anderem unbewaffnete Zivilisten getötet worden. Videos und Bilder in den | |
sozialen Medien zeigen, wie drusischen Männern die Schnauzbärte – ein Teil | |
der Kultur – unter Zwang abrasiert oder ausgerissen werden. Ein Video zeigt | |
einen Karton, in dem ein toter, blutüberströmter Säugling liegt. Ein | |
anderes ein Wohnzimmer, in dem mehrere getötete ältere Männer unter Decken | |
liegen. Sie lassen sich nicht unabhängig überprüfen, werden aber von | |
lokalen Journalisten als echt bewertet. Weitere Videos aus Suweida zeigen | |
Dutzende tote Männer, die auf den Straßen liegen, um sie herum Blut. Sie | |
scheinen zivile Kleidung zu tragen. | |
Wie auch nach den Massakern an der Religionsgruppe der Alawiten an der | |
syrischen Küste im Frühling stellt sich in Suweida wieder dieselbe Frage: | |
Wer ist maßgeblich für die Menschenrechtsverletzungen, für das Töten | |
verantwortlich? Das Nachrichtenportal Axios zitiert einen hochrangigen | |
US-Beamten: Nach Kenntnis von US-Geheimdiensten gebe es keine Anzeichen | |
dafür, dass die syrische Regierung in die „Gräueltaten in Suweida“ | |
verwickelt sei. Das Gefühl des jungen Mannes aus Suweida ist ein anderes. | |
Der taz sagt er: Die Armee sei verhasst, er mache keinen Unterschied | |
zwischen den sunnitischen Milizionären und den Regierungskräften. Er nennt | |
sie „Söldnerhunde“. | |
Die Lesart dessen, was in Suweida passiert, ist derzeit vor allem: Drusen | |
gegen Sunniten, Drusen gegen Regierung. Doch der Konflikt geht tiefer: Die | |
Drusen sind tief in drei Fraktionen gespalten. Die jeweiligen Anführer der | |
drei heißen Yahya al-Hannawi, Laith al-Balus, und Hikmat al-Hijri. Hannawi | |
und al-Balus gelten als der neuen Regierung gewogen. Al-Balus sprach jüngst | |
im katarischen TV-Sender AlJazeera Mubasher: Man stehe Hand in Hand mit | |
allen freien Menschen in Syrien. Doch es gebe andere Fraktionen „mit einer | |
anderen Meinung“. Diese „falschen Stimmen“ riefen nach einer israelischen | |
Intervention. | |
Al-Balous meint wohl Hikmat al-Hijri. Seit dem Ende des Assad-Regimes im | |
Dezember 2024 steht er immer wieder im Zentrum der lokalen Aufmerksamkeit. | |
Denn Abkommen mit der neuen Regierung in Damaskus lehnte er wiederholt ab, | |
und setzte stattdessen wohl auf Israel. So auch nun: Den Abzug der Truppen | |
verkündete die Regierung am Mittwoch im Rahmen eines | |
Waffenstillstandsabkommens. Auf Facebook fordete eine al-Hijri zugerechnete | |
Gruppe ihre Anhänger prompt auf, „weiterhin gegen die kriminellen | |
bewaffneten Terrorbanden vorzugehen, die gekommen sind, um unsere Familien | |
zu zerlegen und unsere Existenz zu zerstören“. | |
Nun holen diese, nach dem Abzug der Regierung, wohl zum Gegenschlag aus: In | |
den sozialen Medien häufen sich erneut Videos von Gewalt, diesmal angeblich | |
der Al-Hijri-Miliz gegen die sunnitischen Beduinenstämme. Ein anderes Video | |
soll einen Stamm aus Deir ez-Zor in Ostsyrien zeigen, die ihren Brüdern nun | |
zu Hilfe eilen wollten. Auch diese Videos lassen sich nicht unabhängig | |
überprüfen. Das Töten in Südsyrien scheint weiterzugehen – nun mehrheitli… | |
gegen eine andere ethnische Gruppe. Die Analystin Reem Rifai schreibt zu | |
dem wohl Beduinen in Deir ez-Zor zeigenden Video auf X: „Weiß Israel, was | |
es angerichtet hat?“ | |
## Eine Grenze überschritten | |
Denn der südliche Nachbarstaat hatte massiv in den Konflikt eingegriffen: | |
Das israelische Militär bombardierte nach Suweida einrückende gepanzerte | |
Fahrzeuge, griff außerdem in der Hauptstadt Damaskus das | |
Verteidigungsministerium und sogar auf dem Gelände des Präsidentenpalastes | |
an. Israelische Politiker argumentierten, man wolle so den Drusen in | |
Suweida zur Hilfe eilen gegen die „Dschihadisten“ aus Damaskus. | |
Am Mittwoch häuften sich außerdem Berichte über Drusen aus Israel und den | |
israelisch annektierten Golanhöhen, die den Grenzzaun Richtung Syrien | |
durchquerten, laut Times of Israel etwa 1.000 Menschen. Wie auch in Syrien | |
gibt es dort eine große drusische Minderheit, viele von ihnen haben bis | |
heute Verwandte in Südsyrien. | |
Ein Kontakt der taz, der am Mittwochabend am Grenzzaun nahe des drusischen | |
Orts Majdal Shams auf den Golanhöhen, berichtet aber: Hinter dem Zaun liege | |
erst mal die Pufferzone zu Syrien. Wer tatsächlich auf syrisches Gebiet | |
wolle, müsse erst einige Kilometer laufen. Offensichtlich bewaffnet könne | |
er niemanden erblicken, viele seien junge Männer oder Jugendliche. | |
Ein aus Majdal Shams stammender Mann sagt: Einige fühlten sich | |
verpflichtet, den Brüdern auf der anderen Seite zu helfen. Und obwohl sich | |
viele Drusen auf den annektierten Golanhöhen selbst als Syrer betrachten | |
und Israel kritisch gegenüberstehen, sagt er: „Im Schatten des Massakers in | |
Suweida unterstütze ich jede Einmischung, um die Menschen dort zu | |
schützen.“ | |
Am Donnerstag sagte Israels Premier Benjamin Netanjahu schließlich: Das | |
gesamte Gebiet südlich von Damaskus müsse demilitarisiert werden. Viele | |
Analysten schätzen Israels Einmischung so ein: Man habe mit den jüngsten | |
Bombardement in Syrien eine Grenze überschritten. | |
17 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
Serena Bilanceri | |
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