# taz.de -- Mein Leben als Starautor: Die Einreise | |
> Als aufgehender Stern am Literaturhimmel beschloss ich, mein neues Buch | |
> in der Türkei drucken zu lassen. Leider hielt ich an der Grenze nicht den | |
> Mund. | |
Bild: Grenzübergang Kastanies-Pazarkule an der griechisch-türkischen Grenze. … | |
Ich habe einen ganz tollen, gesellschaftskritischen Roman geschrieben! Ich | |
hoffe zumindest, er ist gesellschaftskritisch. Ich hoffe, er ist ein Roman! | |
Damit meine 15-jährige Tochter drei Wochen lang nach der Schule mein Buch | |
schreibt und niemandem verrät, dass sie in Wirklichkeit die Autorin ist, | |
habe ich einen hohen Preis bezahlt. Die nächsten zwei Monate darf sie ganz | |
allein die Fernbedienung des Fernsehers benützen. | |
Mir schwebt natürlich eine sehr hohe Auflage von genau zweiundsiebzig | |
Exemplaren vor. Damit ich bei all meinen Verwandten, Nachbarn und Kumpels | |
in Halle 4 mit meinem eigenen Buch angeben kann. Eine gigantische Auflage | |
für einen Newcomer als aufgehender Stern am Literaturhimmel. Schließlich | |
will ich als Schriftsteller etwas gegen die Armut, Fremdenfeindlichkeit und | |
die Arbeitslosigkeit in Deutschland unternehmen. Wobei ich die ganzen | |
Kriege auf der Welt mit Sicherheit nicht unerwähnt lassen will. | |
Deshalb nehme ich das Manuskript mit in die Türkei, um es dort drucken zu | |
lassen. Da ist alles viel billiger. | |
An der türkischen Grenze wird mein Ford-Transit festgehalten, damit das | |
Buch von den türkischen [1][BND]-Leuten übersetzt und gelesen werden kann. | |
„Es könnte ja Propaganda-Material für die Terroristen sein“, sagen sie. | |
Vermutlich heißen diese Leute in der Türkei gar nicht Be-Än-De, sondern | |
`Bü-Ün-Dü´! | |
## Zwölf Tage auf zwei mal zwei Meter | |
Meine Frau, die Kinder und der Ford-Transit dürfen weiterfahren. Ich nicht! | |
Zum Abschied meint Eminanim: | |
„Das hast du nun davon, Osman! Was gibst du bei den Zöllnern auch so | |
großkotzig damit an, dass du hier in der Türkei das Werk des Jahrhunderts | |
drucken lässt! Ich binde diesen Wegelagerern vom Zoll ja auch nicht auf die | |
Nase, dass ich fünf CD-Player, zwei Fernseher und siebzehn Laptops | |
unversteuert reinschmuggele. Wer angeben will, muss halt leiden!“ | |
In einem Raum von knapp zwei mal zwei Meter darf ich in den nächsten zwölf | |
Tagen die Gastfreundschaft der türkischen Geheimpolizei genießen. Ich habe | |
große Schwierigkeiten zu beweisen, dass mit den `Problemen im [2][Osten]´ | |
die Asylbewerberheime in Rostock und Dresden gemeint sind. Das wird meine | |
Tochter mir noch büßen, wenn ich nach Hause komme! Möchte sie mich etwa | |
lebenslang loswerden und die Fernbedienung für immer in den Händen halten?! | |
Irgendwie geht in der Zeit an der türkischen Grenze die deutsche | |
Originalfassung von meinem Buch verloren. Stattdessen bekomme ich lediglich | |
die türkische Übersetzung in die Hand gedrückt. Mit der Bemerkung: „Die | |
ganze Mühe unsererseits und auch deinerseits war völlig umsonst. Zum | |
[3][Schreiben] bist du völlig untalentiert. Werde lieber Straßenkehrer – | |
aber mit stolzgeschwellter Brust!“ | |
Höflich, wie ich bin, bestehe ich nicht auf der Herausgabe des Originals | |
meines Buches, weil ich die Gastfreundschaft dieser lieben Menschen nicht | |
überstrapazieren will. Ich möchte darauf auch nicht näher eingehen: Ein | |
Gentleman genießt und schweigt! Schließlich haben die Herren mich während | |
der ganzen Zeit mit abgestandenem, lauwarmem schwarzem [4][Tee] versorgt – | |
immerhin! | |
13 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Osman Engin | |
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