# taz.de -- Debüt-Roman von Publizist Sascha Ehlert: In den Washington-Palmen … | |
> Hollywood als Zuflucht, Pop als Frage. Publizist Sascha Ehlert holt in | |
> seinem Debütroman „Palo Santo“ Billy Wilder ins Jetzt zurück. | |
> Funktioniert das? | |
Bild: „Sitzenmachen!“ Billy Wilder im frisch entnazifizierten Westberlin | |
„Berlin ist nicht Los Angeles.“ Das ist zeitlos wahr, und doch sucht seit | |
einigen Jahren ein interessanter Strang junger deutscher | |
Gegenwartsliteratur neue Möglichkeitsräume unter den „heimelig rühreifarben | |
illuminierten Palmenwipfeln“ (Stuckrad-Barre) von Malibu, Miami und dem | |
Chateau Marmont. | |
Der Debütroman des Pop-Publizisten Sascha Ehlert (Korbinian Verlag, | |
[1][Zeitschrift „Das Wetter“]) reiht sich hier ein, politisiert die Suche | |
nach einem ästhetisch gelingenden Leben, aber vor dem Horizont der | |
gegenwärtigen Wiederkehr des Faschismus in Deutschland. | |
Die Verzweiflung darüber lässt Golo und Hedi, ein junges Berliner Paar von | |
Kreativen, sozusagen um einen Billy Wilder von innen bitten, und prompt | |
geraten sie in eine Raum-Zeit-Schleife, in der sie dem Regisseur und seiner | |
Frau tatsächlich begegnen. Wir lernen Billy, geboren als Samuel Wilder in | |
Galizien, zunächst als Berliner Journalisten bei einer | |
Friedrich-Blunck-Lesung vor dem Krieg kennen, bevor er seinem Vorbild Ernst | |
Lubitsch [2][ins amerikanische Exil] folgt. | |
## Eine gute Idee | |
Später hat er die Deutschen sehr genau bei der Entnazifizierung beobachtet, | |
zwischen dem Reeducation-Atrocity-Film „Die Todesmühlen“ und der Komödie | |
„One, two, three“, und jetzt spielt er Tischtennis mit Golo. Als | |
„überzeugter Vertreter der These, dass man böse Geister mit schlechter | |
Moral und Hass im Herzen immer auch an einem falschen ästhetischen Gespür | |
erkannte“, erweist sich Wilder aber auch für die Jungregisseurin Hedi als | |
idealer Führer durch das künstlich-utopische Palmenreich und aktualisiert | |
zugleich einen vernachlässigten Traditionsstrang des Pop – eine schöne | |
Romanidee! | |
Ehlert kennt die Tropen der [3][Popliteratur] und zitiert sie alle. Man | |
liest das gern, auch weil dem Autor neben überraschenden Wendungen der | |
Story immer wieder memorable Formulierungen gelingen; so kehrt das Paar | |
einmal nach Stunden intimer Zweisamkeit „in die Realität der Bildschirme | |
zurück“. Überhaupt überzeugt das Projekt, die ethisch-ästhetischen Fragen | |
des Pop vor dem düsteren politischen Hintergrund von 1933 bzw. 2027 noch | |
einmal neu zu stellen – an Wilder und an uns. | |
Geht Pop überhaupt auf Deutsch und in Deutschland? Wie verhält sich | |
Widerstand zu unserer Freude an Konsum und Mode? Welches ist das beste | |
Led-Zeppelin-Album? Und vor allem: Was ist die Maschine, die Nazis tötet – | |
reicht es aus, dass man sie (die Nazis) lächerlich macht? | |
„Eine gute Rebellion müsse innerlich wie äußerlich schön sein“, befindet | |
Hedi. „Sie müsse auch ästhetisch eine Alternative zum Bestehenden bieten. | |
‚Veränderung beginnt an der Oberfläche‘“. So sprach Pop zu allen Zeiten. | |
Einen unverwechselbaren Stil wie, sagen wir, [4][Leif Randt] oder Joshua | |
Groß hat Ehlert selbst dabei vielleicht noch nicht gefunden; in der | |
erzählerischen Aufbereitung wie dem Umgang mit historischen Fakten („All | |
dieses Wissen hatte Hedi im Internet erworben“) kommt seine Prosa | |
gelegentlich noch etwas hölzern daher. | |
## Die Romanästhetik reflektiert Melancholie | |
Es zeichnet sich jedoch ab, dass die ästhetische Lösung des Romans | |
letztlich nicht in Richtung der Wilder’schen Komödien zielt, sondern eher | |
zur reflektierten Melancholie von „Sunset Boulevard“ tendiert. Die | |
meditative Musik von Alice Coltrane oder das titelgebende Räucherholz | |
bezeichnen die Grundstimmung besser als poppige Knalleffekte, und in einer | |
Szene läuft – was könnte uncooler und schöner sein? – das „Rote Album … | |
Beatles“. | |
Ein ebenso achtsamer wie leicht depressiver Dandyismus prägt insbesondere | |
die unaufdringliche Liebesgeschichte, in der Golo eher zur Onno Viets’schen | |
Einkapselung tendiert, während Hedi zeitweise dem organisierten Widerstand | |
zuneigt. Denn Hollywood und Amerika, das weiß der Roman natürlich, sind | |
dank Trump und Trockenheit auch nicht mehr, was sie einmal waren – wenn sie | |
es denn überhaupt je waren. Lauerte der Faschismus nicht schon in den | |
Stummfilmen von D. W. Griffith? Und wie viel Misogynie steckt in Wilders | |
Komödien? In den Washington-Palmen nisten die Ratten. | |
Und so war es vielleicht immer schon mehr die „Idee namens Los Angeles“ als | |
seine Wirklichkeit, die das Pop-Versprechen trug. Entsprechend stellt sich | |
am Ende nicht nur Golo die Frage, „wie das richtige Leben im Falschen | |
aussehen könnte“ – und im Falschen, das heißt dann wieder auch hier, bei | |
uns, in Deutschland, gerade eben jetzt. „What would Lubitsch do?“ | |
15 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Moritz Baßler | |
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