# taz.de -- Neues Archäologiezentrum „Petri“: Als Berlin Metropole war | |
> Ab kommender Woche geht das „Petri“ in den Normalbetrieb. Das neue | |
> archäologische Zentrum in Berlin-Mitte ist ein Wunder an | |
> Durchsetzungskraft. | |
Bild: Im Obergeschoss des „Petri“ lässt sich vieles entdecken – Altes … | |
Berlin taz | Ganz unten ist das Museum ein Friedhof. Gibt es auch nicht | |
oft. Aber im Kellergeschoss des „Petri“ genannten neuen Werkstatt- und | |
Ausstellungszentrums für die archäologischen Museen Berlins an der | |
Leipziger Straße in Mitte ruhen die Gebeine Hunderter Menschen. | |
In einem „Ossarium“, einem nach den Plänen des Architekten Florian Nagler | |
entstandenen, aus dunklen Ziegeln gemauerten Regallagers für Kisten, liegen | |
die Knochen der Menschen, die hier auf dem Friedhof der einstigen | |
Petri-Kirche ausgegraben wurden. Der Direktor des Museums für Vor- und | |
Frühgeschichte und Berliner Landesarchäologe, Matthias Wemhoff, spricht von | |
den „ersten Berlinern“, die in diesen Neubau auch als Erste eingezogen | |
seien. | |
[1][Es hat lange genug gedauert.] Um 2010 wurden die ersten Konzepte für | |
ein solches Gebäude an dieser Stelle entwickelt. Hier, wo einst die von der | |
DDR abgerissene Petri-Kirche und die Lateinschule der Stadt Cölln standen. | |
Diese Hälfte des alten Berlin ist inzwischen so sehr vergessen, dass die | |
Legende grassiert, Neukölln sei aus Rücksicht auf die einst zweitgrößte | |
preußische Stadt am Rhein so benannt worden. Stimmt nicht – und zweitgrößte | |
Stadt Preußens war sowieso Breslau. Doch das nur am Rande. | |
## Gewohnte Berlin-Kargheit | |
2012 gab es dann einen Architekturwettbewerb, der Berliner Architekt Nagler | |
gewann mit einem Entwurf in damals noch neuer, heute schon recht gewohnt | |
aussehender Berlin-Kargheit. Von der Breiten Straße lässt sich leicht | |
denken: Oh, eine mit Fenstern durchbrochene Brandwand. Von der Leipziger | |
Straße: ein Altbau, dem der Stuck abgeschlagen wurde. | |
Von der Kleinen Gertraudenstraße sieht man: Hier ist noch eine Parzelle | |
frei, die bebaut werden kann, der schmale Lichthof, der jetzt im „Petri“ so | |
grandiose Ausblicke bietet, wird irgendwann einmal verschlossen sein. Und | |
innen: raue Oberflächen, klare Räume und ein etwas rätselhafter | |
Lichtschacht, der wegen seiner Enge kein Licht nach unten leiten kann, aber | |
sicher so manche Cola-Büchse. | |
Beim Steigen durch das „Petri“ kann man eine regelrechte archäologische | |
Stratigrafie, eine historische Schichtung erleben: Ganz unten im | |
Sockelgeschoss befindet sich die große Halle mit den Fundamenten der | |
Lateinschule und der Petri-Kirche sowie dem „Ossarium“ (und bald eventuell | |
einigen Cola-Büchsen). | |
Darüber liegt das Eingangsgeschoss mit Blick von oben in diese konservierte | |
Ausgrabungsstätte. Eine schmale, karge Treppe, dann das Geschoss, in dessen | |
durch große Scheiben sichtbaren Labors die in Berlin gemachten Bodenfunde | |
registriert und geordnet werden. Der Blick aus dem Fenster zeigt hier | |
barocke Fassaden, die geradezu altstadt-cöllnische Gefühle auslösen können. | |
In Berlin ein sehr ungewohntes Bild. | |
## Dachterrasse mit Panoramablick | |
Nächstes Geschoss: Restaurierungswerkstatt. Und Blick auf die Dächer der | |
alten Häuser, über diesen der blassblaue Berliner Himmel und unwirklich | |
erscheinende Hochhauskanten. Die werden dann in der Etage mit dem | |
Schaudepot dominant: Die Hochhausreihe der Leipziger Straße erhebt sich | |
über die Reste des alten Berlin-Cölln. Drinnen stehen [2][hohe Regallager | |
mit Kisten für die wichtigen Funde], auch für die Bestände aus Troja oder | |
anderen Ausgrabungen, die hier mit verwahrt werden. | |
Und dann ganz oben schließlich die Dachterrasse mit einem Panoramablick | |
über die Hochhäuser an der überbreiten Leipziger Straße und auf der | |
Fischerinsel gegenüber. Und die vor deren Türmen stehende eher mediokre | |
Randbebauung an der Stelle des unvergessenen Ahornblatts, weit zum | |
Fernsehturm, zu den Hochhäusern an der Gruner Straße, zum Molkenmarkt, der | |
noch eine Ausgrabungsstätte ist. Unten links bleibt der Blick hängen an der | |
Baustelle, [3][die dereinst das Drei-Religionen-Projekt „House of One“ mit | |
Kapelle, Moschee und Synagoge werden soll] – mal sehen, wann. | |
Diese Stadt hat mindestens in den vergangenen zwei Jahrhunderten, seitdem | |
sie zur größten deutschsprachigen Kommune Europas wuchs, lieber abgerissen | |
und neu gebaut als erhalten oder weitergebaut. Auch das ist die Erzählung | |
des „Petri“. | |
Hier gibt es steinzeitliche Beile zu entdecken, mittelalterliche | |
Baufragmente, Renaissance-Kachelöfen, Grabsteine für die Hunde von Kaiser | |
Wilhelm II., Reste des Zwangsarbeiterlagers auf dem Flughafen Tempelhof, | |
zerschlagene mittelalterliche Bauglieder, Schilder aus der DDR. Es ist ein | |
Haus zum Ordnen und Lernen. | |
Schon diese dezidiert bildungspolitische Funktion, die eben nicht mit | |
„Kunst“ gerechtfertigt wird, sondern aus dem Bewusstsein für die Bedeutung | |
von „Kultur“ und damit Geschichte, ist eine Sensation. Zumal in einer | |
Stadt, die ihre Grund- und Oberschulen so lange verrotten ließ. Einer | |
Stadt, die das landeseigene Märkische Museum erst dann zur Sanierung | |
brachte, als der Bund über alle föderalen Bedenken hinweg den Löwenanteil | |
der Kosten übernahm – was er etwa beim Bayrischen Nationalmuseum in München | |
oder dem Residenzschloss in Dresden selbstverständlich nicht tat. | |
## Geschichtsbildung, wortwörtlich | |
Das „Petri“ erfüllt aber nicht nur praktische Funktionen. Es bildet auch | |
Geschichte, wortwörtlich. Hier wird ein Bild Berlins aus den ausgegrabenen | |
Resten rekonstruiert und damit auch konstruiert, das so vor einem | |
Vierteljahrhundert allenfalls von versierten Fachleuten geahnt wurde. Es | |
ist das Bild einer Stadt, die um 1170 schon regionales Zentrum war, also | |
älter ist, als noch um 1990 vermutet. | |
Im Gegensatz zu dem, was immer wieder etwa in den Debatten um den Nachbau | |
der Schlossfassaden behauptet wurde – dass nämlich Berlin erst durch die | |
Residenz der Hohenzollern seit 1453 zu Bedeutung kam –, war es bereits | |
zuvor eine bedeutende Kommune. | |
Die Aufdeckung der Reste der gotischen Rathauskeller vor dem heutigen Roten | |
Rathaus zeigte das vor einigen Jahren in aller Deutlichkeit. Es konnte in | |
Größe und architektonischer Ausstattung ohne Weiteres mit dem Rathaus von | |
Frankfurt (Oder) konkurrieren, stellt die in Prenzlau oder | |
Brandenburg/Havel in den Schatten. | |
Und genau darum geht es wesentlich im neuen archäologischen Zentrum | |
„Petri“. Es soll den heutigen Berlinern, die zum allergrößten Teil genauso | |
wie ihre Vorgänger im Mittelalter nicht hier geboren wurden, eine | |
historische Heimat erschaffen. Berlin als Einwandererstadt, als Stadt des | |
Aufstrebens, der selbst gemachten Karriere, aber auch der Tradition. | |
Nicht so großartig wie die Vergangenheit des rheinischen Köln, aber sicher | |
doch so interessant und identitätsbildend wie die des havelländischen | |
Spandau. Mindestens. | |
29 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Nikolaus Bernau | |
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