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# taz.de -- Ökotourismus in Brasilien: Im Reich der Jaguare
> Die Jaguare im brasilianischen Sumpfgebiet Pantanal ziehen Touristen an.
> Diese sind eine Einnahmequelle für die Bewohner. Doch langsam wird's zu
> viel.
Bild: Ganz nah dran: Auf Jaguar-Safari im Pantanal
Porto Jofre taz | Wenn Oscar de Morais nicht gerade Jaguare sucht, findet
man ihn in seinem Hausboot am Ufer des Rio São Lourenço. Dort sitzt er
unter einem Moskitonetz auf zwei gestapelten blauen Plastikstühlen und
schaut brasilianische Seifenopern, während ihm ein Ventilator frische Luft
zuweht. Bis ihn jemand fragt, ob er ihm die Jaguare zeigen könne. Dann
weiten sich die Augen in seinem großen, runden Gesicht, das sonst so
grimmig scheint, und er beginnt zu grinsen.
[1][Das Pantanal] ist mit knapp 200.000 Quadratkilometern das größte
Binnensumpfgebiet der Welt und liegt an der Grenze von Brasilien, Paraguay
und Bolivien. Vor 22 Jahren, als de Morais begann, Touristen mit Booten zu
den Jaguaren zu führen, galt es als menschenfeindliches Niemandsland, mit
Kaimanen, Mücken, Schlangen und Piranhas. Und Jaguaren. Die Pantaneiros,
wie sich die Bewohner der Region nennen, jagten die Raubkatzen. Denn die
Jaguare rissen ihre Kühe – und die Rancher schlugen zurück. Bald waren kaum
noch Jaguare zu sehen.
Zwei Jahrzehnte später gilt die Geschichte des Pantanals als Musterbeispiel
für [2][Artenschutz] durch Ökotourismus. Denn de Morais und andere aus der
Region erkannten, dass sich mit Jaguar-Safaris viel Geld machen lässt. Auch
die Rancher verstanden, dass die sonst so seltenen Großkatzen dank der
Touristen lebend mehr Nutzen hatten als tot. Der Ökotourismus boomt. Lodges
sind Jahre im Voraus ausgebucht. Nirgends auf der Welt leben heute mehr
Jaguare im Verhältnis zur Fläche. Doch der Tourismus nimmt überhand.
„Das Pantanal riskiert, Opfer seines eigenen Erfolgs zu werden“, sagt
Fernando Tortato, Wissenschaftler und langjähriger Mitarbeiter der
[3][Organisation Panthera], die sich um den Schutz von Großkatzen kümmert.
In der Hochsaison versammeln sich schnell rund dreißig Boote oder mehr an
den Orten, an denen Jaguare gesichtet werden. Alle sind voll mit Touristen,
die für das beste Foto möglichst nah herangebracht werden wollen.
## Ein Kollaps droht
Jaguare durchkreuzen auf der Jagd nach Beute allerdings Reviere von über
100 Quadratkilometern. Dafür schwimmen sie sogar durch breite Flüsse.
Tortato befürchtet, dass die Massen an Booten die Tiere verschrecken
könnten und die Jaguare nur noch in kleineren Gebieten jagen. Zugleich
wirken die vielen Menschen für zukünftige Besucher nicht besonders
attraktiv. Tortato und seine Kollegen fürchten nun einen Kollaps des
eingespielten Konzepts. Wie kann Tourismus funktionieren, ohne die Jaguare
und damit auch ihre eigene Lebensgrundlage zu gefährden?
Als de Morais an einem Februarmorgen eine Gruppe Touristen abholt, ist der
Himmel noch gräulich grün. Eine Gruppe Hyazintharas schnattert kreischend
in einem Baum, während die Touristen unbeholfen in das wacklige Boot
steigen. Sie tragen Sonnenhüte und Funktionskleidung. De Morais sitzt am
vorderen Ende des Bootes und schaltet sein Funkgerät ein. Darüber
informiert er andere Touristenboote, falls er einen Jaguar sieht. „Haltet
Augen und Ohren offen nach Bewegungen am Ufer“, ruft er, während er am
Starterseil des Außenborders zieht.
De Morais dreht am Gasgriff und manövriert das Boot an unendlichen Feldern
von Wasserpflanzen vorbei. Nach einer knappen Stunde Fahrt tut sich hinter
einer Kurve ein lichtes Stück Land auf. De Morais geht vom Gas und lässt
das Boot näher gleiten. Er kneift die Augen zusammen, hält eine Hand an
seine Stirn, um sich vor der Sonne zu schützen, und erkundet konzentriert
das Ufer. Ein junger Tourist tut es ihm nach.
„Es braucht viel Glück, um in dieser Jahreszeit einen zu finden“, sagt de
Morais. Es ist Regenzeit im Pantanal. Wenn in Europa der Winter anbricht,
bringen Winde aus dem Norden Feuchtigkeit aus den Wäldern des Amazonas ins
Pantanal. Sie sind so wasserreich, dass sie „rios voadores“ genannt werden:
fliegende Flüsse. In diesen Monaten regnet es bis zu 240 Liter pro
Quadratmeter, ungefähr doppelt so viel wie in den regenreichsten Monaten in
Deutschland. Das flache Land saugt sich voll wie ein riesiger Schwamm. Die
Wassermassen fluten Stück für Stück das gesamte Gebiet, bis 80 Prozent der
Fläche von Wasser bedeckt sind.
Für de Morais und die anderen Bewohner sind das die ruhigen Monate. Nur
wenige Touristen verirren sich in den Sumpf; zu viele Moskitos stechen
jeden freien Hautfleck und die Jaguare lassen sich nur selten blicken. Erst
wenn das Wasser gegen Mai über den Fluss Paraguay abfließt und die
Sumpfgebiete trocken liegen, versammeln sich Capybaras, Kaimane,
Riesenotter und Jaguare an den Flussadern, um zu trinken und zu jagen. An
solchen Tagen sieht Oscar manchmal 20 Raubkatzen an einem einzigen Tag. Für
Touristen ein Paradies. Doch für wie lange noch?
„Wenn Ressourcen wie Jaguarsichtungen frei zugänglich sind, besteht die
Gefahr, dass sie übernutzt und letztendlich zerstört werden“, sagt Tortato.
„Das kann vermieden werden, indem sich Gemeinschaften auf Nutzungsregeln
einigen und kurzfristige Gewinninteressen hinten anstellen.“ Für die
Bootsführer ist das allerdings schwierig.
„In den Trockenmonaten wäre es am besten, wenn sie niemandem verraten
würden, wo sie Jaguare gesichtet haben“, sagt Tortato. Das würde große
Ansammlungen von Booten vermeiden. „Es ist ohnehin fast sicher, einen
Jaguar zu sehen.“ Doch für die Bootsführer ist das keine Option. „Das
Problem ist, dass die Menschen hier sehr enge soziale Netzwerke haben. Man
hilft sich. Dadurch möchte niemand einem Kollegen vorenthalten, wo er einen
Jaguar sieht, auch wenn das langfristig für alle am besten wäre.“
Heute bleibt das Ufer aber leer. De Morais schnauft enttäuscht und steuert
das Boot weiter flussaufwärts. Kaum andere Boote sind zu sehen. Fährt
einmal eines vorbei, wird freundlich gegrüßt. In den Regenmonaten ist es
laut Tortato auch weiterhin sinnvoll, Informationen über Jaguarsichtungen
zu teilen. So haben Touristen eine gute Chance, einen Jaguar zu sehen, auch
wenn diese nur selten an den Fluss kommen.
Doch das Funkgerät bleibt still. Stundenlang steuert de Morais die
Touristen durch das Flussnetzwerk, vorbei an den Stellen, an denen er die
Jaguare schon so häufig gesehen hat, immer tiefer in die Sumpflandschaft.
Auf einmal, schon erschöpft von der brütenden Sonnenhitze, bremst de Morais
das Boot und kehrt um. Er zeigt ins Gebüsch. Nur de Morais scheint etwas
bemerkt zu haben. Das fleckige Muster ist kaum auszumachen im Wirrwarr des
Dickichts. Erst nach einigen Sekunden stechen hellbraun leuchtende Augen
heraus. Dann, allmählich, glänzt da eine feuchtschwarze Nase, fügt sich mit
den Schnurrhaaren, dem Kiefer und den Ohren zu einem Jaguarkopf. Die rosa
Zunge gleitet langsam über die schwarzen Lippen. Der Jaguar gähnt und zeigt
seine klauenförmigen, gelben Eckzähne. Die Touristen zücken ihre
Fotoapparate. De Morais hat den Motor ausgemacht, es ist jetzt still. Nur
das Klicken der Auslöser ist zu hören.
„Welcher Jaguar ist das?“, fragt einer der Touristen. „Das ist Ousado“,
antwortet de Morais. Er kann über fünfzehn Jaguarnamen aufzählen. „Patricia
ist mein Lieblingsjaguar“, erzählt er. „Manath ist die größte.“ „Und
Nina?“, fragt einer der Touristen und deutet auf das Sweatshirt, das der
Bootsführer trägt. Darauf ist ein riesiger Jaguarkopf gedruckt, zusammen
mit der Aufschrift „Nina“. „Nina ist auch schön, aber nicht so sehr wie
Patricia. Die kenne ich schon am längsten. Sie hat inzwischen drei Kinder
bekommen.“
Zwanzig Minuten bleibt de Morais vor dem Jaguar stehen, bevor er zurück
nach Hause steuert. Dort angekommen, bindet er das Boot fest und die
Touristen bedanken sich. Sie sind zufrieden.
So idyllisch wie dieser Ausflug soll es nicht bleiben. Vor wenigen Monaten
hat der Staat Mato Grosso beschlossen, eine Brücke über den Rio São
Lourenço zu bauen, um Süden und Norden des Pantanals zu verbinden und mehr
Touristen in die Region zu locken. Das könnte der Anfang größerer
Infrastrukturprojekte sein, vermutet der Wissenschaftler und Umweltschützer
Tortato. Zum Beispiel könnte die Transpantaneira, die Schotterpiste durch
das Pantanal, asphaltiert werden. „Das wäre dann das Ende des Pantanals,
wie wir es kennen.“
9 Jul 2025
## LINKS
[1] /Feuer-in-Brasilien/!6019744
[2] /Signale-vom-Weltnaturgipfel/!6069951
[3] https://panthera.org/
## AUTOREN
Francesco Schneider-Eicke
## TAGS
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