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# taz.de -- Hobbymusiker über Orgelleidenschaft: „Ich bin der Klempner der M…
> Zum Spielen geht Sven Wortmann in seinen Keller in Frankfurt-Rödelheim.
> Dort hat der gelernte Heizungsinstallateur eine riesige Kinoorgel
> aufgebaut.
Bild: So viele Teile: Sven Wortmann inmitten seiner Orgel
taz: Herr Wortmann, Sie haben in Ihren Keller in Frankfurt-Rödelheim eine
Kinoorgel gebaut. Warum?
Sven Wortmann: Ich habe als Kind Orgelmusik im Radio gehört. Keine
klassische Musik, sondern Unterhaltungsmusik. Das hat mich so fasziniert,
dass ich meinen Eltern auf den Nerven herumgetanzt bin und denen klar
gemacht habe, dass ich Orgel spielen will.
taz: Und die haben Ihnen dann eine Orgel gekauft?
Wortmann: Nein. Ich habe erst mal das Akkordeon meiner Mutter bekommen,
weil meine Eltern gesagt haben, so eine Orgel ist teuer und wer weiß, ob du
dabei bleibst. Dann habe ich mit sieben Jahren angefangen, Akkordeon zu
spielen, und drei, vier Jahre Unterricht gehabt.
taz: Aber irgendwann konnten Sie ihre Eltern doch überzeugen?
Wortmann: Mit 12 oder 13 habe ich dann eine elektronische Heimorgel
gekriegt, die hat damals 6.000 Mark gekostet. Auf der habe ich ziemlich
lange gespielt. Irgendwann habe ich dann im Radio gehört, dass im
Filmmuseum in Frankfurt eine Kinoorgel steht, auf der jemand eine
Stummfilmbegleitung gemacht hat. Der hat dann vorgespielt, was das
Instrument kann, und da ist mir wieder eingefallen, was ich als Kind gehört
habe und dachte: Das könnte es sein.
taz: Und dann?
Wortmann: Dann bin ich da hingegangen und habe mir das angeschaut. Am
Schluss fragte der Mensch hinter dem Spieltisch, ob im Publikum jemand ist,
der Orgel spielen kann. Da habe ich mich gemeldet, und er fragte, ob ich es
mal probieren will. Dann saß ich in meiner Hilflosigkeit hinter diesem
Instrument, denn das war keine Orgel, wie ich sie von zu Hause kannte,
sondern eine richtige Kinoorgel mit Pfeifen und Perkussionsinstrumenten,
Xylophon, Trommeln und so was. Und dann durfte ich darauf loslegen.
taz: Wie war das?
Wortmann: Das ging natürlich ziemlich in die Hose. Der Witz war nur: Ich
war angestachelt. Ich wollte mich jetzt unbedingt mit diesem Instrument
auseinandersetzen. Daraufhin habe ich versucht, an dieser Orgel
Übungszeiten zu kriegen. Was schwierig war, weil im Kino des Filmmuseums
eigentlich immer irgendwelche Vorstellungen liefen. Ich musste dann auf
Zeiten ausweichen, wo kein Kino war, meistens samstagvormittags. Und dann
durfte ich ein bisschen darauf üben und spielen.
taz: Das hat Ihnen aber nicht gereicht?
Wortmann: Hinten und vorne nicht. Also habe ich geguckt, ob ich irgendwo so
eine Pfeifenorgel herkriege. Über meinen damaligen Orgellehrer, der war
Kirchenmusiker, habe ich dann preiswert eine alte Kirchenorgel bekommen.
Die war von der Konstruktion her genauso aufgebaut wie eine Kinoorgel, nur
ohne Xylophon und Glockenspiel und Trommeln. Ich musste aber leider
feststellen, dass das, was da rauskommt, nicht ganz so klingt wie das im
Filmmuseum.
taz: Wie sind Sie dann zu einer richtigen Kinoorgel gekommen?
Wortmann: Ich habe mich bei Leuten, die sich mit Kinoorgeln beschäftigen,
umgehört. Ich war dann dreimal in London bei der Cinema Society und habe
mir verschiedene Orgeln und die Technik angeschaut, um zu sehen, was ich
noch brauche. Aus den USA habe ich mir einen Spieltisch und ein Gebläse
bestellt, aus England Pfeifen und Perkussionsinstrumente, Xylophon und
Glockenspiel. Den Rest habe ich mir selber dazu gebaut.
taz: Aus wie vielen Teilen besteht Ihre Orgel? Allein die Pfeifen füllen ja
schon einen ganzen Raum …
Wortmann: Sehr viele. Ich habe die Pfeifen irgendwann mal gezählt, da kam
ich auf 803. Aber was dann noch so an Einzelteilen dran ist, keine Ahnung.
taz: Wie lange haben Sie gebraucht, um sie zu bauen?
Wortmann: 1994 habe ich mit dem Spieltisch angefangen, 2002 mit dem Rest,
2018 konnte ich dann ein bisschen darauf spielen. Danach ging es um den
Feinschliff. Die Pfeifen waren ja von verschiedenen Orgeln und mussten
aufeinander abgestimmt werden. 2020 hatte ich das Instrument dann so weit,
dass ich einigermaßen damit spielen konnte. In der Zeit bis jetzt gab es
noch ein paar Ergänzungen, wie die Windregler, mit denen ich die Lautstärke
reguliere.
taz: Apropos Lautstärke: Wenn Sie in Ihrem Keller spielen, ist das ziemlich
laut und man hört die Musik im ganzen Haus. Was sagen denn Ihre
Nachbar*innen dazu?
Wortmann: Ich spiele nur zu humanen Zeiten. Ich fange morgens nicht vor 8
Uhr an und spiele abends meistens auch nicht länger als bis 20 Uhr. Von der
Lautstärke her ist das natürlich schon ein Erlebnis, besonders bei den
tiefen Tönen. Bei dem Mieter im ersten Stock fangen dann auch mal die
Heizkörper an zu vibrieren. Wenn ich Basspfeifen spielen muss, versuche
ich das möglichst kurz zu halten, damit die Heizkörper nicht von der Wand
hüpfen.
taz: Haben sich Ihre Nachbarn da schon mal beschwert?
Wortmann: So wirklich beschwert hat sich bislang keiner. Und wenn jemand
sagen würde: Ich habe heut einen Zwölfstundentag hinter mir, mir geht es
beschissen, dann würde ich eben einen Tag aussetzen.
taz: Nun ist ja quasi Ihr ganzer Keller eine riesige Orgel. Wie haben Sie
dafür die Erlaubnis bekommen? Oder gehört Ihnen das Haus?
Wortmann: Ich habe das damals mit meinem Vater abgesprochen, dem hat das
Haus gehört. Mittlerweile gehört es meiner Schwester und mir.
taz: Kinoorgeln wurden Anfang des 20. Jahrhunderts zur Begleitung von
Stummfilmen eingesetzt. Der Keller ist ja sehr klein. Platz für eine
Kinoleinwand oder Zuhörer*innen gibt es kaum. Was bringt eine Kinoorgel
ohne Kino und ohne Publikum?
Wortmann: Ich habe bei mir in der Wohnung noch eine kleine digitale
Kinoorgel stehen. Das ist sozusagen eine elektronische Kopie von dem, was
ich unten im Keller habe. Sie ist mobil, und damit trete ich bei der einen
oder anderen öffentlichen Veranstaltung auf und mache Stummfilmbegleitung.
Es ist aber nicht das Klangerlebnis wie früher im Filmmuseum oder eben bei
mir unten im Keller.
taz: Mit der Verbreitung des Tonfilms sind auch Kinoorgeln weitgehend
verschwunden. Gibt es noch andere Kinoorgler*innen in Deutschland?
Gibt es so etwas wie eine Kinoorgler*innen-Szene?
Wortmann: Es gibt eine Kinoorgel-Szene in Deutschland, die ist allerdings
nicht wirklich vernetzt. Es gibt hier keine festen Organisationen wie in
Großbritannien oder den USA. Wir sind aber mehr oder weniger im lockeren
Kontakt. Wenn es irgendwo ein neues Instrument gibt, dann fährt man mal
dahin und schaut sich das an. Das Problem ist, dass die Mitglieder in
dieser Szene eher schon gesetzteren Alters sind, und die reisen nicht mehr
gerne und treffen sich auch nicht mehr so gerne mit anderen Leuten. Der
älteste bei uns ist 92 Jahre alt.
taz: Gibt es auch Frauen in der Szene?
Wortmann: In Berlin gibt es [1][im Kino „Babylon“ eine Frau], die dort
regelmäßig Stummfilmbegleitung macht. Ansonsten fällt mir keine ein. Es ist
eine ziemlich männlich dominierte Szene. Es gibt mehr leidende Ehefrauen
und Partnerinnen, die sich mit diesem Hobby arrangieren müssen, als aktive
Spielerinnen.
taz: Wie ist das bei Ihnen, leidet Ihre Partnerin auch unter ihrem Hobby?
Wortmann: Ich bin zwar verheiratet, aber wir leben nicht mehr zusammen. Da
hat die Orgel schon auch ihren Teil dazu beigetragen. Aber wir können gut
miteinander.
taz: Ihr Instrument ist die letzte Kinoorgel Frankfurts. Wie viele
Kinoorgeln gibt es noch in Deutschland?
Wortmann: 25. Darunter aber viele in Museen, wovon einige nicht mehr gut
spielbar sind.
taz: Sie haben aber wahrscheinlich die einzige Kellerorgel, oder?
Wortmann: Im Keller fällt mir sonst keine ein. Ein Bekannter von mir in
Celle, der 92-Jährige, hat sein Schwimmbad dafür geopfert. Im Becken steht
der Spieltisch, und da wäre auch Platz für Zuhörer.
taz: Im [2][Musikinstrumenten-Museum Berlin] gibt es angeblich die größte
Kinoorgel auf dem europäischen Festland. Stimmt das, oder ist Ihre größer?
Wortmann: Das Berliner Instrument hat vier Manuale und fünfzehn
Grundstimmen. Meine Orgel hat drei Manuale und elf Grundstimmen, ist also
etwas kleiner. Die Orgel in Berlin wurde aber auch für einen größeren Raum
gebaut als meinen Keller. Ich würde die Kiste gerne mal spielen, um zu
sehen, was sie kann.
taz: Sie sind eigentlich gelernter Heizungsinstallateur. Hat das was mit
Ihrem ungewöhnlichen Hobby zu tun?
Wortmann: Der Beruf Gas- und Wasser-Installateur oder Klempner ist bei uns
schon sehr lange in der Familie verwurzelt. Ich bin die fünfte Generation.
taz: Haben Sie nie überlegt, Orgelbauer zu werden?
Wortmann: Ich habe die Kinoorgel im Filmmuseum während meiner Ausbildung
kennengelernt. Als ich ausgelernt war, hatte ich die Idee, Orgelbauer zu
werden. Ich habe mich dann mit dem einzigen Orgelbauer in Frankfurt
unterhalten. Das war ein sehr netter und vor allem sehr weitblickender
Mensch. Er meinte, es wäre gut, neben dem Beruf auch ein Hobby zu haben.
Das habe ich damals nicht verstanden. Später schon.
taz: Nämlich?
Wortmann: Beim Orgelbauen ist es wichtig, auf Kundenwünsche einzugehen. Ich
weiß nicht, ob ich damit glücklich geworden wäre. Bei meinem Instrument da
unten habe ich meine Wünsche und Vorstellungen in die Tat umgesetzt und
musste nicht auf jemanden hören, der von Kinoorgeln keine Ahnung hat. Als
Installateur ist mein Broterwerb abgedeckt und ich habe ein schönes Hobby,
wo ich mich austoben kann und wo ich ganz viel Wissen aus meinem Beruf mit
rein nehmen kann. Bei den Röhrenglocken, die so klingen wie
Kirchturmglocken, habe ich zum Beispiel Heizungsrohre genommen.
taz: Wirklich billig war die Kellerorgel aber ja wahrscheinlich trotzdem
nicht …
Wortmann: Ich habe es nie nachgerechnet. Ich habe jede Menge Arbeitszeit
reingesteckt, allein weil ich jede Menge Material, das ich irgendwo
gefunden habe, recycelt habe, statt es neu zu kaufen. Ich habe da viele
Wochenenden, Feiertage und auch viel Zeit abends unter der Woche
reingesteckt.
taz: Können Sie nicht mal eine ungefähre Größenordnung sagen?
Wortmann: Beim besten Willen nicht. Ich weiß, dass ich für
Perkussionsinstrumente mal 450 Pfund bezahlt habe. Für ein paar Pfeifen 300
Pfund. Für ein paar gebrauchte Kirchenorgelregister 1.000 oder 1.200 Mark.
Für den Spieltisch, der unten im Keller steht, habe ich 2.000 Dollar
bezahlt, für das Gebläse 1.000 Dollar. Aber das sind alles nur so
Bruchstücke. Das meiste, was da drinsteckt, ist wirklich Zeit.
taz: Die meisten dürften, wenn überhaupt, Kirchenorgeln kennen. Was ist der
Unterschied zu Ihrer Kinoorgel?
Wortmann: Mit der Kinoorgel versucht man, ein Orchester zu imitieren.
Dementsprechend ist auch die Aufteilung des Instruments. Wenn man über die
Schalter drüberguckt, mit denen man die einzelnen Pfeifen einschalten kann,
steht da Tuba, Flöte oder Violine, Saxophon oder Xylophon oder
Glockenspiel. Die Kirchenorgel ist eher ein Soloinstrument und will keinen
orchestralen Klang erzeugen.
taz: Wie läuft eine Stummfilmbegleitung ab? Gibt es Klassiker, die Sie
spielen, oder denken Sie sich selbst Melodien aus?
Wortmann: Es gibt ein paar Stummfilme, zu denen gibt es komponierte
Musikstücke. Eine andere Aufführungspraxis, die die Amerikaner gemacht
haben, ist, gängige Schlager oder andere Musikstücke dazu zu spielen.
taz: Und wie machen Sie es?
Wortmann: Ich schaue mir vier Wochen vorher den Film an und gucke, was
passt. Ich hab einen ganz guten Fundus von Musikstücken aus den 20er
Jahren. Wenn ich Stücke kenne, die passen könnten, versuche ich, es durch
Zwischenmelodien, durch langsameres oder schnelleres Spielen so
hinzukriegen, dass die zu einer Szene im Stummfilm passen. Und dann
wiederhole ich den ganzen Film so lange, bis ich weiß, an welcher Stelle
kommt zum Beispiel noch ein Geräusch dazu oder an welcher Stelle ich die
Musik so abwandeln muss, dass sie synchron dazu passt. Es gibt auch ein
paar wenige Improvisationstalente, aber ich bin eher der Handwerker. Ich
muss da viel Zeit reinstecken, bis es passt.
taz: Kinoorgeln ist perspektivisch ja eher ein aussterbendes Hobby. Gibt
es in Ihrem Umfeld jemanden, an den Sie das weitergeben können, oder stirbt
die Kinoorgel irgendwann mit Ihnen aus?
Wortmann: Ich kann musikwissenschaftlich nicht erklären, was ich da mache,
weil ich kein studierter Musiker bin. Ich bin eher der Klempner der Musik.
Ich weiß, was ich machen muss, damit es gut klingt. Ich kann aber nicht
exakt beschreiben, was ich da eigentlich tue. Wenn aber jetzt jemand kommen
würde und sagen würde: „Zeig mir doch mal, wie du das machst“, dann ist d…
natürlich möglich. Ich möchte das nicht für mich behalten.
16 Jul 2025
## LINKS
[1] /In-meiner-Heimat-gibt-es-keine-Kinoorgeln/!5321145/
[2] https://www.simpk.de/museum.html
## AUTOREN
Marie Frank
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