# taz.de -- Theater im Pflegeheim: Ein Fest für die Toten und die Lebenden | |
> Das generationenübergreifende Theaterstück „Totenwache“, aufgeführt in | |
> einem Pflegeheim, schafft Nähe zu den Themen Tod, Demenz und Abschied. | |
Bild: Auf dem Weg zwischen Vergessen und Erinnern | |
Ein Speisesaal wird zum Theater: Jugendliche knipsen herabhängende | |
Glühbirnen an, Kinder rücken Tische und Stühle zu einer Tafel zusammen – | |
die Bühne entsteht. Im Hintergrund werden Bilder aufgehängt, die als Ganzes | |
wie ein Fenster den Ausblick auf eine Baumkrone ergeben. | |
Nach und nach kommen die älteren Darstellenden, Bewohner:innen des | |
Pflegeheims, auf die Bühne. Sie sind feierlich gekleidet: die Herren in | |
Leinenanzügen und Strohhüten, die Damen in Abendkleidern. Das Buffet: in | |
Orangen gesteckte Käse-Trauben-Spießchen. Auch die geblümten A-Linien-Röcke | |
und Blusen der jungen Darstellenden erinnern an die 50er Jahre. Fast, als | |
entstammten sie der vergangenen Jugend der Alten. | |
Seit 2016 gestalten Kinder zusammen mit Berufsschauspielenden und zum Teil | |
an Demenz erkrankten Bewohner:innen des Pflegewohnheims kunstvolle | |
Theaterabende. „Über 880 Jahre sind die Darsteller:innen gemeinsam | |
alt!“, betont die Gründerin des Kollektivs PAPILLONS, Regisseurin Christine | |
Vogt, stolz. Sachte leiten sich die jüngeren und älteren Darstellenden | |
gegenseitig durch die schwankenden Sphären von Vergangenheit und Zukunft, | |
Vergessen und Erinnern. | |
## Rituale des Abschieds | |
Alle Kulturkreise kennen Rituale, um Abschied von ihren Toten zu nehmen. | |
Elemente des „Día de los Muertos“ aus Mexiko verschmelzen auf der Bühne | |
spielerisch mit dem Brauch, Totenmasken anzufertigen. Der Tod ist während | |
des ganzen Stücks präsent, ist nah und vertraut, klopft an und wird wieder | |
verjagt. Die Festgesellschaft ersehnt das Wiedersehen mit geliebten | |
Menschen im Jenseits und umarmt zugleich das Leben. | |
In einer Quizshow schenkt das Ensemble dem Publikum teils kuriose | |
Einblicke: Eine ältere Bewohnerin singt, während eine Stimme aus dem Off | |
berichtet, wie sie 1956 als Mädchen in Tanzschuhen auf dem Watzmann das | |
Jodeln lernte. Ein anderer zeigt pantomimisch die Begegnung mit dem von ihm | |
verehrten, bereits 1926 verstorbenen Kommunisten Feliks Dzierżyński. | |
Tanzend weckt eine weitere Protagonistin im goldenen Kleid die Reminiszenz | |
an ihre Modeboutique in München. | |
Auch auf große Fragen finden sie Antworten. „Bist du abergläubisch?“ – | |
„Nein, das ist was für reiche Leute.“ „Gibt es ein Leben nach dem Tod?�… | |
„Das kann man von hier nicht sagen.“ Dass die Jüngeren den Älteren | |
soufflieren, ist selbstverständlicher und integraler Teil der Inszenierung: | |
Erinnern ist, ähnlich wie Trauern, eine geteilte Aufgabe, ist Fürsorge. | |
## Probeliegen für die Bahre | |
Immer wieder wird das fröhliche Fest unterbrochen: Zwei Herren mit einer | |
Bahre treten hinzu. In Sonnenbrillen und Westen erinnern sie an die | |
verschmitzte Coolness der „Men in Black“. Sie stellen die Bahre auf der | |
Tafel ab und messen einen der Älteren mit Meterstäben ab. Daraufhin legt | |
dieser sich mit behutsamer Unterstützung auf die Bahre. Ein frisch | |
gebügeltes Hemd wird auf seinen Oberkörper gelegt. Ausmessung und Anprobe | |
sind erfolgreich, er steigt vom Tisch und die Feier geht weiter. | |
Wenig später meldet sich eine weitere Stimme aus dem Off. Auf dem Balkon | |
über der Bühne erscheint ein ganz in Silber gekleidetes Wesen. Je nachdem, | |
zu wem der Geist spricht, wird er ein Anderer, wird Mutter oder am Altar | |
verlassene Braut. Mal verneint er das nahende Wiedersehen, mal verspricht | |
er: „Bald!“ | |
Im F2 Theaterraum arbeiten Menschen allen Alters zusammen. „Totenwache“ | |
bietet auch jenen, die nicht selbst in Pflegeeinrichtungen arbeiten oder | |
dort regelmäßig Verwandte und Freund:innen besuchen, einen einladenden | |
wie ungewöhnlichen Zugang: das Pflegeheim als Raum für und von kreativen, | |
lebenserfahrenen Menschen. Denn Theatermachen bedeutet, aus Erinnerungen zu | |
schöpfen, um die Welt stets neu zu erfahren. | |
9 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Henriette Hufgard | |
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