| # taz.de -- Berlin Fashion Week: Trauma auf dem Laufsteg | |
| > Der Modedesigner Kilian Kerner widmet seine Kollektion zur Fashion Week | |
| > Zwangsadoptionen in der DDR. Die Inszenzierung ist dramatisch und | |
| > verstörend. | |
| Bild: An der Silhouette eines schussbereiten Soldaten schreiten Models mit Baby… | |
| Berlin taz | Babys kreischen, Mütter schluchzen, Donner grollt, | |
| Stroboskoplicht zuckt durch die leeren Ränge der abgedunkelten Uber-Arena. | |
| „Achtung! Sie verlassen Westberlin“, mahnen die Monitore, die einen | |
| wachturmähnlichen Bau in der Mitte der Halle umgeben. Scheinwerfer | |
| streifen suchend durch die Arena. Ein Video setzt ein: Aufnahmen von | |
| SED-Funktionären, Mütter mit Kinderwägen, Ultraschallbilder und Babypuppen, | |
| die verdreht auf der Straße liegen. Dazu ertönt eine Stimme: „Asozialer | |
| Paragraf, Entriss, Verkauf, Zwangsadoption.“ | |
| „DDR. Die gestohlenen Kinder“ lautet das Motto der Kollektion, die Designer | |
| Kilian Kerner am Mittwochabend auf der [1][Berlin Fashion Week] zeigt. | |
| Bekannt ist er unter anderem als Designer der BVG-Uniformen, die im | |
| nächsten Jahr erscheinen, und als Gastjuror bei Germany’s Next Topmodel. | |
| Nun widmet er sich einem dunklen Kapitel der DDR-Geschichte. | |
| Auf das Thema war der Kölner vor einigen Jahren durch einen Doku-Vorschlag | |
| bei Yotube gestoßen. Es geht um die rund 15.000 Fälle von [2][angeblichem | |
| Kindstod und etwa 10.000 Zwangsadoptionen in der DDR]. Eltern wurde damals | |
| aus politischen Gründen das Sorgerecht entzogen. Ihnen wurde verwehrt, ihre | |
| angeblich verstorbenen Kinder zu sehen, die in Wirklichkeit zur Adoption an | |
| „linientreue“ Paare freigegeben wurden. Aufgeklärt wurden im Bereich der | |
| Säuglingstode lediglich fünf Fälle und etwa 20 bis 40 bei den | |
| Zwangsadoptionen. | |
| Mit der Show will Kerner nun dieses verdrängte Unrecht „auf die große Bühne | |
| – in die Uber Arena, die größte Indoor Venue der Stadt“ – tragen. Was s… | |
| in der Ankündigung nach Kommerzialisierung kollektiver Traumata klingt, ist | |
| es auch in der Umsetzung: Models in grauen Hosenanzügen in SED-Style wiegen | |
| Babypuppen über dem Laufsteg. Im Hintergrund läuft dramatische Musik, die | |
| wie ein Outtake aus dem Theaterstück „Harry Potter und das verwunschene | |
| Kind“ klingt. | |
| ## Babygeschrei und DDR-Nationalhymne | |
| Vom mausgrauen SED-Look gleitet die Show dann langsam ins Kernige: Glitzer- | |
| und Pailletten-Outfits schweben über den Laufsteg, dazu Geigenmusik in | |
| Crescendo, unterlegt mit Babygeschrei und dem Wimmern von Müttern, | |
| unterbrochen von der DDR-Hymne. Es ist eine befremdliche Ästhetisierung des | |
| Elends: Hinter dem Vorhang des Turms schimmert die Silhouette eines | |
| schussbereiten Soldaten mit Gewehr. Vor ihm schreiten Models in | |
| Paillettencapes, Glitzerabendkleidern, roten Tangas und goldglänzenden | |
| SED-Mänteln mit Babypuppen vorbei. Das große Finale: Ein Model, das als | |
| überdimensionales Blumenbouquet über den Laufsteg stolziert. Ist das | |
| Traumabewältigung oder ein postsozialistischer Fiebertraum? | |
| Nach dem Ende der Show betreten die Models erneut den Laufsteg, zusammen | |
| mit Betroffenen. Sie tragen schwarze Shirts mit der Aufschrift: „Wo sind | |
| unsere Kinder?“ sowie Schilder mit Forderungen: nach [3][Aufarbeitung und | |
| Anerkennung des Unrechts], der Herausgabe relevanter Akten und der | |
| Einrichtung einer DNA-Datenbank. Auf den Monitoren laufen Videobotschaften | |
| von Angehörigen. | |
| Zweifellos greift Kerner das Thema nicht nur aus PR-Gründen auf. Der | |
| Geschichte hat er sich behutsam genähert, in enger Zusammenarbeit mit dem | |
| Verein „Die gestohlenen Kinder“. Dass er damit Aufmerksamkeit auf ein wenig | |
| beachtetes Kapitel der DDR-Geschichte lenkt, ist löblich. Und dennoch | |
| hinterlässt es einen bitteren Beigeschmack, wie hier das Trauma Betroffener | |
| inszeniert wird – ausgerechnet von einem Westdeutschen in der | |
| hyperkapitalistischen Kulisse der Uber-Arena. | |
| Verstärkt wird dieser Beigeschmack, als die Gäste nach Ende der Show ins | |
| Foyer strömen, Espresso Martinis und Margaritas trinken, lachen und Selfies | |
| machen – mit glänzenden Fendi-Taschen an der Schulter und Fächern in der | |
| Hand. Cheers! Auf die gestohlenen Kids! | |
| 3 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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