# taz.de -- Berlin Fashion Week im Juli: Die mageren Jahre sind vorbei | |
> Am Montag startet die Berliner Fashion Week – sie ist international kaum | |
> angesehen. Der Senat versucht, den Standort durch Fördermittel zu | |
> stärken. | |
Bild: Nicht wirklich fett: Auf einer Show der Berliner Fashion Week im vergange… | |
Berlin taz | Berlin ist alles Mögliche – „bedeutungslos“ finden es wohl … | |
wenigsten. Nur im Mode-Kontext gehen die Hauptstadt und das vernichtende | |
Wörtchen Hand in Hand: „Die Big Player sind Mailand, Paris und New York. | |
Gerade ist auch Kopenhagen im Kommen“, sagt Kaja Busch, selbstständige | |
Modedesignerin und Kostümbildnerin. „Berlin ist als Modeindustriestadt im | |
internationalen Vergleich irrelevant.“ | |
Trotzdem strömen ab Montag wieder Tausende Modeschaffende, Scouter*innen, | |
Käufer*innen, Presse und Models nach Berlin, denn es ist [1][Fashion Week]. | |
Eine Woche lang stehen Canapés und Sekt bei Modeschauen, Pop-ups, | |
Ausstellungen, Installationen und Konferenzen auf dem Programm. „Auf den | |
Messen wird nur Fast Fashion verkauft“, sagt Busch. Die Shows seien | |
deutlich kreativer. | |
Aus künstlerischer Sicht sei die Fashion Week in den letzten Jahren jedoch | |
„relativ uninteressant“ gewesen, findet die gebürtige Berlinerin. „Sie | |
probiert zu stark, andere Fashion Weeks nachzuahmen und High Fashion zu | |
sein, aber das funktioniert nicht.“ Viel interessanter wäre es, die Aspekte | |
zu nutzen, die Berlin ausmachten: kulturelle Vielfalt, die Musikkultur, die | |
Fähigkeit, „aus nichts etwas zu machen und Spaß zu haben“. | |
In den Nuller Jahren und bis 2015 sei das der Fall gewesen: „Damals haben | |
sich sehr interessante Labels angesiedelt. Niemand hatte eine Ahnung, wie | |
man Mode in Berlin gestalten könnte, es gab keine Anleitung dafür, und alle | |
haben sich gegenseitig geholfen“, erzählt Busch. Zu dieser Zeit habe Berlin | |
als Modestadt auch internationale Aufmerksamkeit erlangt. Dann der Absturz: | |
„Der kapitalistische Druck hat den Glow der Avantgarde zerstört.“ Die | |
jungen Labels konnten sich nicht mehr finanzieren, Geldgeber überrollten | |
die Fashionwelt und nahmen starken Einfluss auf die Designarbeit. Die | |
Mercedes Benz Fashion Week habe stark zur Kommerzialisierung und zum Fokus | |
auf große Labels beigetragen, so Busch. | |
Der Autokonzern war seit 2007 Titelsponsor der Berlin Fashion Week, 2022 | |
kündigte er seinen Rückzug an. Die Pandemie hatte die Branche erschüttert, | |
einige Modemessen meldeten Insolvenz an, andere gaben bekannt, nach | |
Frankfurt zu ziehen. Während der Senat die Fashion Week bis dahin lediglich | |
mit 300.000 bis 450.000 Euro pro Saison unterstützte, kündigten das Land | |
Hessen, die Stadt Frankfurt und ihre Messegesellschaft 2021 an, über die | |
folgenden drei Jahre 10 Millionen Euro in die Frankfurt Fashion Week zu | |
investieren. Um sich davon nicht in den Schatten stellen zu lassen, erhöhte | |
Berlin das Budget 2021 auf 3,5 Millionen Euro. | |
Diese Unterstützung wird dringend benötigt, denn Berlin ist ein hartes | |
Pflaster für Mode. „Die Berliner Kundschaft ist sexy, aber arm, die Leute | |
haben kein Geld, um Slow Fashion zu kaufen“, sagt Helena Stölting. Die | |
Designerin fertigt handgemachte „Slime-Fashion“ aus Überschussmaterialien, | |
Resten der Leder-Industrie, Haaren, Zähnen, schleimigen Texturen und | |
Farben. Ihre Stücke fangen bei 50 Euro an, erst ab 100 Euro mache es | |
wirtschaftlich Sinn, handgemachte Kleidung zu verkaufen, sagt sie. Deutsche | |
Kund*innen seien deutlich preissensibler als ausländische. | |
## Standortvorteil „arm“ | |
Doch die „Arm, aber sexy“-Hauptstadt bietet auch Standortvorteile. „Berlin | |
ist für mich vor allem ein Standort, um günstig zu leben. In einer anderen | |
Stadt wäre ich finanziell nicht fähig, ein kleines Label zu haben“, sagt | |
Stölting. Weil es vielen in der Branche ähnlich geht, sei Berlin, | |
insbesondere Neukölln, ein „toller Standort, um sich mit gleichgesinnten | |
Stylisten oder Fotografen zu vernetzen und zu kollaborieren.“ | |
Weil es aber zu wenig Abnehmer*innen gibt, wandern Designer*innen, die | |
mehr internationale Aufmerksamkeit erlangen, in andere Städte ab. Gleiches | |
gilt für Models: „Ich habe noch nie an der Berliner Fashion Week | |
teilgenommen“, sagt ein international tätiges deutsches Model der taz. | |
Seinen Namen möchte er in der Zeitung nicht lesen. Sein Begründung: „Hier | |
zeigen kaum international relevante Marken, es gibt auch keine jungen | |
Designer, die momentan interessant sind.“ | |
Um dem entgegenzuwirken, hat der Senat tief in die Tasche gegriffen und die | |
Zusammenarbeit mit dem [2][Fashion Council Germany (FCG)] aufgenommen. Ziel | |
des Lobbyvereins der Modebranche ist es, durch verschiedene Initiativen | |
deutsches Modedesign als Kultur- und Wirtschaftsgut zu unterstützen. In | |
Kooperation mit dem FCG bietet der Senat Programme wie „Berlin | |
Contemporary“ an, bei denen sich Designer*innen um eine Förderung von | |
25.000 Euro bewerben können, um eine Modeschau zu realisieren. | |
„Durch den Fashion Council bekommt die Fashion Week wieder Aufwind“, sagt | |
Kaja Busch. „Eine Show zu machen, kostet mindestens 10.000 Euro, ohne | |
Kollektionskosten. Das können sich viele junge Labels nicht leisten.“ | |
Helena Stölting betont ebenfalls, dass sich die Fashion Week durch die | |
Nachwuchsförderung von „Null auf Hundert entwickelt“ habe. Zunehmend seien | |
nun junge Labels vertreten, die der Club- und „Kinky-Szene“ (Fetischszene) | |
Berlins entsprächen, etwa Marken wie Namilia, Haderlump, Kitschy Couture | |
oder GmbH. „Es ist wichtig und angebracht, dass die Fashion Week so offen | |
ist für sexuelle Themen“, meint Stölting. | |
Diese Offenheit schätzt auch die selbstständige Agentin Elisabeth | |
Brandauer. Weil Berlin sich noch in einem „Entwicklungsstadium“ befinde, | |
gebe es viel Spielraum für Unkonventionelles. In den letzten Jahren gab es | |
Modeschauen in der U5 und der U8, leerstehende Einkaufshallen, Innenhöfe | |
und Schulturnhallen wurden in Laufstege verwandelt. „In Mailand, Paris oder | |
New York gibt es so etwas schon seit 10 Jahren nicht mehr. Dort ist so viel | |
Geld in der Branche, dass alles glänzt und perfekt ist. Die Modeschauen | |
sind auf den höchsten technischen Standards, alles ist durchgeplant und | |
folgt den Vorschriften“, sagt Brandauer. | |
## Wenig Vorschriften zum Körper | |
Die gebürtige Wienerin hat in Berlin eine Castingagentur gegründet, um | |
„unkonventioneller Schönheit eine Plattform zu geben“. Auch in Berlin gebe | |
es den Druck, [3][einem heteronormativen Schönheitsideal zu entsprechen], | |
doch er sei deutlich geringer als in anderen Modestädten. Diese | |
Nonkonformität spiegele sich in den Models wider: „In Berlin herrschen die | |
wenigsten Vorschriften hinsichtlich Größe, Gewicht, Tattoos oder | |
Piercings.“ | |
Dabei wären einige Vorschriften nicht verkehrt. In Spanien, Italien und | |
Israel etwa wurde ein Mindest-BMI (Body-Mass-Index) für Models festgelegt, | |
um den Magerwahn einzudämmen. Und Frankreich erließ 2017 ein Gesetz, wonach | |
jedes Laufstegmodel ein ärztliches Attest braucht, das einen BMI im Bereich | |
des Normalgewichts bestätigt. Wer sich nicht daran hält, muss mit 2 bis 6 | |
Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von bis zu 75.000 Euro rechnen. Es | |
hagelte Kritik von Designer*innen: Sie sahen darin eine Einschränkung der | |
künstlerischen Freiheit. | |
„Das wurde aber nie ernsthaft durchgesetzt“, sagt ein Model, das auf den | |
Fashion Weeks in Paris, New York und Mailand läuft, der taz. Auch sie | |
möchte nicht namentlich genannt werden. „Das Einzige, was eine Zeit lang | |
gemessen wurde, war, dass der Hüftumfang nicht weniger als 88 Zentimeter | |
beträgt.“ Das Zynische daran: „Gleichzeitig soll man nicht mehr als eine 88 | |
haben.“ Das Motto der Agenturen laute „Je dünner, desto besser, es sei denn | |
du bist Kylie Jenner.“ | |
Denn die Marken bevorzugten Mager-Models und setzten die Maßstäbe für das | |
Körperideal. Durch die kurvigen Körper der einflussreichen Jenners und | |
Kardashians waren in den letzten Jahren kurvigere Köper populär geworden, | |
auf dem Laufsteg habe sich das jedoch nie widergespiegelt, sagt Kaja Busch. | |
„Jetzt geht der Trend wieder in Richtung super skinny“, einem Ideal, das an | |
das heroin chic der 90er erinnert. | |
„Immer noch bilden viel zu wenige Designer*innen aus eigener Motivation | |
heraus diverse Körperbilder ab“, kritisiert Busch. „Die Designer*innen | |
produzieren für Größe 34/36, auf den Laufstegen gibt es zwei | |
Quoten-Plus-Size-Girls, die eine 42 tragen – was gar nicht wirklich Plus | |
Size ist.“ Busch räumt ein, dass es eine Verbesserung gegeben habe. Aber | |
die sei sehr gering und schleppend: „Es ist schwierig, Licht am Ende des | |
Tunnels zu sehen.“ | |
Ähnlich verhielt es sich lange mit der Berlin Fashion Week. Doch es gibt | |
Hoffnung. Und wie so oft ist Authentizität der Schlüssel zum Erfolg. | |
1 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://fashionweek.berlin/berlin-fashion-week.html | |
[2] https://www.fashion-council-germany.org/ | |
[3] /Forscherin-ueber-Body-Positivity/!5823759 | |
## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
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