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# taz.de -- Die Wahrheit: Tingeltangel, Kotze und Konfetti
> Manche Sätze muss man in ihrer poetischen Wucht einfach so stehen lassen:
> Das gilt auch für das Theater, das zu oft zu seriös daherkommt.
Polittheater, Affentheater, Schmierentheater, Drama-Queen, Farce,
Trauerspiel … Es ist schon interessant, in welchen Zusammenhängen gern mal
Begriffe mit Theaterbezug benutzt werden. Sei es im Baukastenjournalismus
oder im Alltag: Was soll das ganze Theater? Sei doch nicht so theatralisch!
Mach jetzt keine Szene!
Es gibt tatsächlich Theaterleute, die es unangenehm finden, wenn ihr Metier
solchermaßen als negative Referenz dient. Schließlich sei die Theaterkunst
ja eben das: eine Kunst. Und damit etwas Ernstes und Seriöses. Und
Aufklärerisches. Also wichtig und gesellschaftlich nützlich. Gern
widerspreche ich diesen Menschen. Die große Qualität des Theaters besteht
ja darin, dass es unseriös ist! Und unnütz. Theater ist die taugenichtigste
Kunstform von allen. Und immer etwas halbseiden. Nichts ist öder als ein
seriöses Bühnengeschehen.
Interessant am Theater war immer der Tingeltangel, der Glitzer, das
Konfetti. Nicht das rituell-religiöse Mysterienspiel – zugegebenermaßen
auch eine historische Wurzel unseres heutigen Theaters. Aber für mich bei
Weitem nicht so faszinierend wie das Jahrmarktspektakel, der Hanswurst,
Kasperle und das Krokodil.
Ich plädiere dringend dafür, dass sich auf deutschen Stadttheaterbühnen
wieder mehr Menschen als lebende Kanonenkugeln durch die Luft schießen
lassen – und dabei meinetwegen bedeutsame Reden schwingen. Ich hab ja
nichts gegen Inhalte. Aber ich möchte eben auch Schauspieler sehen, die an
Drahtseilen quer über die Bühne schweben, ich will scheiternden Stepptanz,
Blitz und Donner, Wasserballett, Synchronschwimmerinnen, Fallrückzieher und
zweifelhafte Kalauer.
## Mit heiligem Ernst unernst sein
Bühnenmenschen müssen mit heiligem Ernst unernst sein. Und das Gegenteil
von dem behaupten, was einem sonst so als Wirklichkeit zugemutet wird. Wenn
Theater irgendwas kann, dann ist es das: absurde, parallele Realitäten
schaffen. Auf der Bühne. Aber auch in der Kantine. Mitunter sogar in
Dramaturgenbüros.
Menschen beschäftigen sich im Theater mit den seltsamsten Dingen und sagen
ungewöhnliche, verstörende Sätze. Eines der schönsten Gespräche, das ich je
geführt habe, war jenes mit der Requisiteurin eines Kinder- und
Jugendtheaters, mit der ich eine Stunde lange darüber nachdachte, wie und
aus was man am besten Kunstpopel herstellt und welche Eigenschaften diese
haben müssen.
Auch nie vergessen werde ich eine bezaubernde Ansage im Hannoverschen
Staatstheater. Ich hatte als Dramaturg Abenddienst und dachte über das
Programmheft meiner nächsten Premiere nach, als ich die Inspizientin – also
die Frau, die mit ihren Anweisungen den korrekten Ablauf des Theaterabends
garantiert – plötzlich über die Hausanlage sagen hörte: „Die Kotze jetzt
bitte zur Bühne, die Kotze bitte zur Bühne!“
In diesem Moment wusste ich: Manche Sätze muss man in ihrer poetischen
Wucht einfach so stehen lassen.
25 Jun 2025
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Kindertheater
Theater
Inszenierung
Bühne
Kolumne Die Wahrheit
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Fernsehen
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