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# taz.de -- Die Wahrheit: Steppende Radieschen im Theater des Nihilismus
> Als Bühnenschaffender fällt einem immer wieder auf, wie
> Theatervorstellungen im Film dargestellt werden: öde, anstrengend und
> rollkragenpullovrig.
Wenn es in populären Filmen um Theater geht, wird es meistens komplett
albern. Aber hey: Whatever get’s you through the night – it’s alright. Und
doch überrascht es mich als Bühnenschaffenden immer wieder.
Theater kommt zum Beispiel in amerikanischen Komödien oft als Schultheater
vor: Wenn es um Jugendliche geht, proben diese zwischen ihren
hormonbedingten hysterischen Zusammenbrüchen gern ein zeitgenössisches
Musical; wenn es sich um jüngere Kinder dreht, wird oft eine
Thanksgiving-Show eingeübt. Oder ein Gemüseballett.
Es gibt auch Kombinationen: Erst eine Szene, in denen die
Mayflower-Pilgerväter auf indigene Amerikaner treffen und mit diesen –
historisch nur bedingt korrekt – freundlich Geschenke austauschen, und dann
lässt man, passend zum Erntedankfest, die Früchte des Bodens singen und
steppen.
Auch äußert sich das Bühnengemüse oft zu nährstoffassoziierten Themen. Zum
ersten Mal fiel mir das in den Achtzigerjahren in einer „Alf“-Folge auf, in
der Brian Tanner und ein Klassenkamerad als singende Spargelspitzen
auftreten. Die Lebensmittel-Show trägt den schönen Titel: „The Nutrition
Follies“.
Kommen in Filmen allerdings Theateraufführungen für Erwachsene vor, sehen
wir selten didaktische Singspiele, sondern mal raffiniertere, mal
schlichtere satirische Zuspitzungen von Bühnenkunst aus der Abteilung
wichtig-wichtig-popichtich. Meist wird vermittelt: Theater ist öde und
bedient sich peinlicher Ästhetiken.
Die Aufführungsorte sind vornehmlich Kellerbühnen, von deren 50 Sitzplätzen
gerade mal sieben besetzt sind. Die Darsteller treten ständig an die Rampe
und deklamieren nihilistische oder die Gesellschaft anklagende Sätze. Mit
der Verbissenheit existenzialistischer Poesielesungen, also mit einer
Schwarzer-Rollkragen-Attitüde der fünfziger Jahre und mit Free Jazz im
Hintergrund.
Meisterhaft habe ich das zuletzt in der sehr lustigen Mini-Serie „The Four
Seasons“ gesehen. Eine erwachsene Tochter verwandelt ihren Schmerz über die
Trennung ihrer Eltern in ein Depri-Drama und eröffnet den Abend mit dem vom
Bühnenrand aus pathetisch, mit starrem Blick ins Publikum geschleuderten
Satz: „Vor einiger Zeit zerstörte mein Vater unsere Familie und fing an,
eine dumme Schlampe zu daten!“ Logischerweise sitzen Vater und die neue
Freundin – auf der Bühne durch eine Sexpuppe dargestellt – dabei im Saal.
Der Bühnen-Vater verteidigt seinen Auszug trotzig: „Der Penis will, was der
Penis will!“
Das Finale des Familien-Elends-Stückes ist ein im Chor gesprochener Satz,
der eine bestimmte Form des Theaters parodiert und zugleich der wahrste
Satz des Films ist: „Wir werden alleine geboren, wir sterben alleine, und
zwischendurch lügen wir uns gegenseitig an!“ Black. Vorhang. Applaus.
30 Jul 2025
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Theater
Filme
Bühne
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