Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Queere Sicht bei Berliner Festspielen: Willkommen im Club?
> Rodrigo Zorzanelli beschäftigt sich in einem Solostück mit Identität und
> Zugehörigkeit. Es läuft beim Performance-Marathon der Berliner
> Festspiele.
Bild: Make-Up gehört zur Mitgliedschaft: Rodrigo Zorzanelli auf der Bühne
Ein Körper liegt auf einem mit Spiegelfolie beklebten Tisch, angestrahlt
vom Spotlight der Bühne. Zuschauer_innen strömen in den Raum, suchen ihre
Sitzplätze. Der Körper bewegt sich nicht. Eine spannungsgeladene, fast
unangenehme Stille liegt im Raum, in dem Zuschauende allein gelassen werden
mit ihrem Blick auf den Körper, ihren Erwartungen und
Identitätszuschreibungen.
In der autofiktionalen Performanceaufführung „multiple memberships“
konfrontiert der_die nicht-binäre_r Künstler_in Rodrigo Zorzanelli, diese
Zuschreibungen und begibt sich auf die Suche nach Zugehörigkeit. In São
Paulo aufgewachsen, lebt Rodrigo seit 2011 in Berlin und fand nach einem
Global Studies Master erste Berührungspunkte zur Performancekunst durch
[1][Drag].
„multiple memberships“ ist das erste Solo-Werk von Rodrigo Zorzanelli. Es
wurde im Rahmen von der Einstiegsförderung der Senatsverwaltung für
gesellschaftlichen Zusammenhalt und Kultur gefördert und 2024 am
[2][Ballhaus Ost] uraufgeführt. Nun wird es am 26. Juni im Haus der
Berliner Festspiele als Teil des dreitägigen 100° Diaspora
Performance-Marathons des [3][Performing Exiles Festivals], erneut zu sehen
sein.
„Belonging, also Zugehörigkeit, spielt für mich immer eine Rolle. Wenn ich
hier in Deutschland auf der Straße unterwegs bin, werden mir ständig
Identitäten zugeschrieben oder abgesprochen, basierend auf meinem Aussehen
und Auftreten“, sagt Zorzanelli im Gespräch mit der taz. Auf der Bühne
untersucht dey Zugehörigkeiten als Art von memberships – Mitgliedschaften.
Als Beispiel dafür nennt Zorzanelli die Staatsbürgerschaft. Diesem Club
anzugehören, heißt bestimmte Privilegien zu haben oder nicht zu haben.
Damit hat auch Zorzanelli Erfahrungen gemacht. Dey erzählt von langwierigen
bürokratischen Prozessen bei Anträgen für deren Einbürgerung, die das Stück
prägten.
## Dating-Apps bürokratisieren Intimität
„Ich habe das Stück während meiner Einbürgerung geschrieben und mich mit
den Überschneidungen von Bürokratie und Intimität auseinandergesetzt.
Bürokratische Prozesse können etwas sehr Intimes haben. Ich muss mich sehr
nackt machen, viele Fragen beantworten, Kontoauszüge offenlegen. Es ist
eine aufgezwungene Intimität. Gleichzeitig erlebe ich Intimität selbst als
bürokratisiert, wie etwa Dating-Apps, die wie Formulare funktionieren und
bei ‚falschen‘ Angaben zu Ablehnung führen können.“
„multiple memberships“ ist von Zorzanelli Erfahrungen als queere und
migrantische Person in Deutschland geprägt. Auf der Bühne zeigt dey sich in
einem brasilianischen Karnevalskostüm und performt in Drag mit blonder
Perücke zu „Für mich soll’s rote Rosen regnen“. Beide Darstellungen wir…
überzeichnet und zielen darauf ab, das Publikum auf die eigene Wahrnehmung
von Genderidentitäten und rassistischen Stereotypen hinzuweisen. „Muss ich
ein bestimmtes Aussehen haben, damit ich als gleichwertiger Teil dieser
Gesellschaft gesehen werde? Muss ich dafür eine blonde Perücke tragen und
weißen und kolonialen Schönheitsidealen entsprechen?“, fragt sich
Zorzanelli.
Die Suche nach Antworten auf diese Fragen dokumentiert dey auf der Bühne
mit einer Polaroidkamera. Jeden Abend entsteht so eine neue Installation.
Diese nutzt dey auf der Bühne einerseits, um sich selbstbestimmt zu
porträtieren, aber auch, um den Blick auf das Publikum zu richten. „Sehen
oder gesehen werden?“, fragt Zorzanelli Zuschauende. „Ich möchte das
Publikum konfrontieren und ihnen erfahrbar machen, wie es sich für mich
anfühlt, ständig von außen beurteilt und als fremd wahrgenommen zu werden.
Sie sollen nicht nur kommen und mir zuschauen, sondern reflektieren, welche
Zuschreibungen sie erfahren, welche sie machen und wieso.“
## Vulnerable Themen
Um sich diesen vulnerablen Themen widmen zu können, hat Zorzanelli sich ein
Arbeitsumfeld geschaffen, in dem dey sich nicht erklären muss. „Ich habe
hauptsächlich mit queeren und migrantisierten Personen gearbeitet. Das hat
es mir erleichtert, diese persönlichen Erfahrungen auf die Bühne zu
bringen“, sagt dey. Zorzanelli betont im Gespräch, dass, auch wenn dey als
Solo-Künstler_in auftritt, es immer ein Team braucht, um Theater erfahrbar
zu machen.
In erster Linie ist „multiple memberships“ für Zorzanelli ein Akt der
selbstbestimmten Darstellung des eigenen Körpers. „Ich musste lernen, die
mir zugeschriebenen, normativen memberships zu erkennen und zu
hinterfragen. Durch die [4][Auseinandersetzung mit Genderidentität und
Cis-Heteronormativität] konnte ich aus binären Mustern ausbrechen und so
neue Zugehörigkeiten finden. Ich lasse mich nicht mehr von außen definieren
und bin keine Projektionsfläche für Stereotype“, sagt Zorzanelli. Diesen
Prozess beschreibt dey als heilend. „multiple memberships“ ist Rodrigo
Zorzanellis Einladung, deren Reise zu begleiten und dabei einen kritischen
Blick auf eigene Denkmuster zu entwickeln.
24 Jun 2025
## LINKS
[1] /Ukrainischer-Drag-Performer/!6074277
[2] /Festival-fuer-Sport-und-Performance/!6090202
[3] /Theater-von-Mohammad-Rasoulof-ueber-Exil/!6092821
[4] /Roman-Muskeln-aus-Plastik/!6054291
## AUTOREN
Ilo Toerkell
## TAGS
Performance-KünstlerIn
Identität
Non-Binary
Berliner Festspiele
Theater
Theater Berlin
Performance
## ARTIKEL ZUM THEMA
Theater von Mohammad Rasoulof über Exil: Ob man je wieder ruhig schlafen kann?
„Destination: Origin“ von Mohammad Rasoulof wurde von der Gegenwart
eingeholt. Die Produktion handelt von Flucht, Exil und Kritik am Regime in
Iran.
Eindrücke vom Theaterfestival ATT Berlin: Vom Geld, der Politik und von der Ei…
Beim Theaterfestival ATT Berlin geht es ums Verhältnis zwischen
Autorschaft und Regie. Die Musik wird zum Akteur, manchmal fehlen die
Worte ganz.
Performance von Henrike Iglesias: Tanzend Richtung Mars fliegen
Das Performance-Kollektiv Henrike Iglesias erobert mit „Space Dudes“ den
Weltraum. In den Sophiensälen ging es auf queer-feministische Mission.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.