| # taz.de -- Die Wahrheit: Wein auf Bier, das brat ich mir! | |
| > Unterwegs im „Prima!“, dem parlamentarischen Tourbus von | |
| > Bundestagspräsidentin Julia Klöckner – jetzt und ganz aktuell in Gießen. | |
| Sie lässt nicht locker. Sie lässt einfach nicht locker. Und zu allem und zu | |
| jedem und zu jeder hat sie etwas zu sagen! Nur Nötiges natürlich, nichts | |
| Unbedachtes, keine Plattitüden, rein gar nichts was anecken könnte. Was für | |
| eine Powerfrau! Und so gut frisiert. Als der „Prima!“, der bunt und frech | |
| floral lackierte Tourbus von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner im | |
| Zentrum von Gießen, der hessischen Metropole mit den allerwenigsten | |
| ICE-Stopps, vor Woolworth zum Stehen kommt, ist kein Halten mehr für die | |
| gebürtige CDU-Winzerstochter aus dem rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach, | |
| der Kurstadt mit Sekt und Pfiff. | |
| Ungefragt drückt Klöckner vorbeiziehenden hessischen Passanten ihre | |
| fröhlich manikürten Finger in deren Hände. Die Hände der frischgebackenen | |
| und noch frischer fönfrisierten Bundestagspräsidentin können „beherzt und | |
| rhetorisch maximal versiert zupacken“, wie vor Kurzem ihre beiden | |
| Bundestagspräsidentenstellvertreter Omid Nouripour von den Grünen und | |
| Linken-Aushängeschildmaskottchen Bodo Ramelow gleichlautend der Bunten | |
| berichtet haben. „Haltung, Herz, Heimat“ lautet denn auch das Online- und | |
| das Bauchmotto von Klöckner, wie ein Blick auf ihre [1][Präsenz im Netz] | |
| zeigt, in der auch Erdmännchen und Smileys eine tragende Rolle spielen. | |
| Alles in allem, und auch hier in Gießen vor Woolworth: Man merkt es ihr, | |
| der seit 2018 offiziellen „Botschafterin des Bieres“ schlicht an – ein | |
| großer, bedeutsamer und sicherlich erfüllender Spaß ist es, | |
| Bundestagspräsidentin zu sein, keine Frage, nein, eine einzige massive und | |
| hochdemokratische Antwort auf die drängenden, die großen, Fragen unserer | |
| Zeit ist es. | |
| Und ja, es greift dieser pure, dieser nahbare, nachgerade volkstümelnde | |
| Markenkern von Julia Klöckner, ihn präsentiert die derzeit 52-Jährige, die | |
| schon weniger als fast alle, aber immerhin einige politische und | |
| gesellschaftliche Ämter als Vollwessi durch und durch in der BRD bekleidet | |
| hat. Ja, bekleidet, ist das passende Wort, denn Klöckner kleidet nicht | |
| alles, aber sie kleidet sich gern in Knallbuntgemustertes oder einfach nur | |
| Farbenfrohes mit Spitzendeckchen am Kragen oder in Hosenanzüge mit Schlag | |
| und auf dezenten Plateauschuhen. | |
| ## Beeindruckende Karriere | |
| Doch das sind Äußerlichkeiten, Schall und Rauch und | |
| Bundestagspräsidentinnenprivilegien – kehren wir endlich und in medias res | |
| nach Gießen vor Woolworth zurück. Vorher müssen wir allerdings doch noch | |
| Klöckners beeindruckende Karriere wenigstens in schmackhaften Bruchstücken | |
| Revue passieren lassen. Nahe-Weinkönigin 1994, Deutsche Weinkönigin | |
| 1995/96, katholische Grundschulreligionslehrerin, Redakteurin bei der | |
| Weinwelt, Chefredakteurin des Sommelier-Magazins, Ex-Frau eines | |
| Oldtimer-Zentrumsleiters, seit 1997 in der CDU, Nestlé-Lobbyistin in | |
| Personalunion als Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft der | |
| finalen Rautenjahre von Kanzlerin Angela Merkel. Eine Karriere nicht von | |
| der Stange, sondern nach Maß, ja, Julia Klöckner lebt gern im deutschen | |
| Hier und Jetzt und lässt sich gern zu allem und zu jedem aus. | |
| „Junger Mann, in dem Aufzug kämen Sie aber nicht bei mir in den | |
| Bundestagsplenarsaal rein!“, ruft sie hier in Gießen und vor Woolworth | |
| bedeutungsvoll einem alten Herrn zu, der mit seinem Kassenrollator gerade | |
| den „Prima!“, den bundesweiten und -breiten Tourbus von MdB Klöckner entern | |
| will. „Keine Macht der AfD!“, prangt auf dem knallroten Leibchen des | |
| Seniors. Der ist einigermaßen irritiert über den Ordnungsruf, fragt aber | |
| trotzdem erst mal nach einer bezaubernden Autogrammkarte, der charmant | |
| dauergrinsenden Klöckner. | |
| Mit großen Schriftspuren überreicht diese ihm eine solche im Format DIN A3. | |
| Umständlich versucht der Rollatorbenutzer sie in seinem Mobilitätsgefährt | |
| unterzubringen. Als die bedeutsame Klöckner-Tinte darauf so getrocknet wie | |
| verschmiert ist, wagt der Gießener eine Rückfrage: „Man darf doch wohl | |
| nochmal dagegen sein, dass so viele Hanseln von diesen Nazis im Bundestag | |
| sitzen!“ Klöckner kräuselt ihre feine Weinnasennase, dann setzt sie so | |
| salbungsvoll wie intellektuell verschwipst an: „Das haben Sie gesagt, nicht | |
| ich!“ | |
| Der nicht auf den Kopf und auch sonst nicht hingefallene Rentner stutzt, | |
| setzt zu einer Nachfrage an, die im Strom der Klöcknerschen Leb- und | |
| Leibhaftigkeit untergeht: „Junger Mann“, die Vollblutpfostenpolitikerin | |
| kommt noch mehr in höchst bürgernahe Fahrt, „junger Mann, in unserem Hohen | |
| Haus in unserer deutschen Hauptstadt Berlin, hat Meinung auf Kleidung | |
| nichts zu suchen, wir sind ein vorschriftsgemäß meinungsloser | |
| Zusammenschluss …“ Der Senior ist schon längst wieder raus aus dem | |
| „Prima!“-Tourbus von Klöckner, als diese ihm noch mit leicht glasigen Augen | |
| hinterherblickt. | |
| Wenige Minuten später ist der Bundestagspräsidentinnenassistent wieder | |
| zurück im Bus. Von Klöckner beauftragt, „die Stimmung in Gießen | |
| abzuchecken“, weiß die langjährige Bad Kreuznacher-Stimmungskanone nur | |
| Schlechtes zu berichten. So hat die rechte Hand der zweithöchsten | |
| Staatsrepräsentantin leicht vergilbte Transparente und Plakate mit | |
| positiven Äußerungen zu Protestgruppen wie Fridays for Future gesichtet, | |
| sowie sichtlich engagierte, nachhaltige junge Menschen angetroffen, die bei | |
| einer Bio-Currywurst in „Zukunftsschwarzmalerei“ verfallen sind. „Und das | |
| wollen wir doch nicht, Peter Portugieser, stimmt’s?“ | |
| ## Gedanklicher Überbau | |
| Der so angesprochene süffige Klöckner-Assistent nickt. „Sie haben es ja | |
| schon länger und immer sehr gut gesagt, Frau Bundestagsoberin, nein, | |
| Bundestagspräsidentin: „Es ist bedenklich, wenn man sich auf ein Thema wie | |
| die Klimakrise stürzt, dass gerade en vogue ist, ohne einen gedanklichen | |
| Überbau zu haben.“ Klöckner nickt stolz und schwer. „Das habe ich so klug | |
| dahergesagt? Irre! Das schaffen ja noch nicht mal die Klügsten von der | |
| AfD!“ | |
| Die Ex-Weinkönigin und immer noch amtierende Botschafterin des Bieres macht | |
| es sich jetzt aus einem von Bad Kreuznach stets mitgeführten, geblümten | |
| Camping-Stuhl bequem. Eigentlich hat sie alles erreicht in ihrem tief | |
| provinziell bewegten Leben. Was aber soll jetzt noch kommen? Gibt es für | |
| die voll und ganz im Safte ihres wichtigen Amtes Stehende so etwas wie ein | |
| Leben nach der Politik, diesem berauschenden Elixier, das schon zu manchen | |
| desaströs verkaterten Folgen für andere jenseits der großen Weltbühne | |
| geführt hat? Julia Bad Kreuznach Klöckner lässt für heute diese Frage | |
| unbeantwortet. | |
| Höchstselbst setzt sie sich Stunden später ans goldene, ja güldene Lenkrad | |
| ihres so langen wie großen parlamentarischen Tourbusses „Prima!“ und | |
| steuert in der sommerlichen Spätsonne den nächsten sehr wichtigen Halt an. | |
| Irgendein Halt zum Quatschen wird es schon sein. | |
| 21 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://julia-kloeckner.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Harriet Wolff | |
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