# taz.de -- Freie Liebe oder Männermord: Er unterwirft sich gern | |
> In Herbert Kapfers neuem Roman diskutiert eine WG in den 1970er Jahren | |
> feministische Theorien. Reden wir heute noch ähnlich über Sex und | |
> Partnerschaft? | |
Bild: 68er Jahre: Die WG als Experimentierfeld für alternative Lebensmodelle | |
Die Unterdrückung der Frau ist nicht gottgegeben. Gottgewollt vielleicht | |
schon, „denn der Mann ist des Weibes Haupt“, wie es im Neuen Testament | |
heißt, aber natürlich eben keineswegs. Aus der Tierwelt jedenfalls sind | |
wenige Beispiele bekannt, wo der weibliche Teil trotz anhaltend schlechter | |
Behandlung bei seinem männlichen Partner verbleibt. | |
Und auch unter Zweibeinern, davon geht man heute zumindest aus, wurden die | |
Frauen erst unterjocht, als die ersten Menschen begannen, sesshaft zu | |
werden und die Arbeitskräfte anders einzuteilen. Die Unterdrückung der Frau | |
steht mit der Entstehung von Eigentum demnach durchaus in Zusammenhang – | |
kein Wunder also, dass feministische Kämpfe kaum von linken Fragestellungen | |
zu trennen sind. | |
In den letzten Jahren des allgemeinen konservativen bis rechtsextremen | |
Rollbacks sind sie leiser geworden, jene moderaten Stimmen, die dem | |
Feminismus im neuen Jahrtausend seine Daseinsberechtigung abstritten und | |
als Relikt aus den 70ern abtaten. | |
In jenem Jahrzehnt, der Hochphase des radikalen Feminismus, spielt auch | |
Herbert Kapfers neuer Roman. „Der Planet diskreter Liebe“ umkreist eine | |
linke Wohngemeinschaft in München, die diskutiert und dichtet, Protestsongs | |
spielt und sich nicht so ganz einigen kann, was zuerst erfolgen sollte: die | |
sexuelle oder die Weltrevolution. | |
## Erotisierung der Arbeit | |
Vielleicht funktioniert auch beides zugleich. Kai, einer der | |
WG-Bewohner:innen, ist (wie Adorno und Marx übrigens auch) Anhänger [1][der | |
frühsozialistischen Theorien Charles Fouriers] und der von ihm geforderten | |
„Erotisierung der Arbeit“; zusammen leben, zusammen lieben. | |
„Freiheit in der Liebe ist mit der Zivilisierten und Barbarischen Ordnung | |
nicht vereinbar“, stellte Fourier denn in „Aus der neuen Liebeswelt“ | |
bereits 1816 fest und war damit sehr früh dran. Beziehungen mit mehr als | |
einer Person sollten in der von ihm „Harmonie“ genannten Utopie möglich | |
sein, auch das „homosexuelle Tabu“ bestünde nicht mehr. Die Pflege der | |
Leidenschaften nimmt bei Fourier viel Zeit in Anspruch: Die „Liebe wird zur | |
Hauptbeschäftigung“. | |
Womöglich ist es diese Hingabe an den Trieb, die Kai so begeistert, denn | |
der junge Revolutionär unterwirft sich gern. Mit seiner Mitbewohnerin Bea | |
geht er eine sadomasochistische Beziehung ein, Stiefel, Peitschen und | |
wohlportionierte Demütigungen kommen als Werkzeuge zum Einsatz. | |
Die Sexszenen gehören dabei zum schwächeren Teil des eigentlich anregenden | |
Romans Kapfers. Endlos werden die Fußbewegungen Beas auf Kais Körper | |
beschrieben, auch die im Wechsel servile und herrische Hundesprache hat man | |
irgendwann satt. Doch so wichtig ist der Plot eigentlich ohnehin nicht. | |
Lieber lässt man sich einsinken in die dicke theoretische Polsterung, die | |
die Figuren und ihre Handlungen umgibt. | |
## Vernichtung aller Männer | |
Bea fährt nämlich das gegenteilige Theorieprogramm zu Kai und Fourier auf. | |
Ihre Sprache ist die der Gewalt. Schade, dass Kapfer ihre Position nicht | |
ohne den Bezug auf die sexuellen Übergriffe durch den Vater sowie eine | |
lesbische Neigung zu begründen weiß. Bea liest Françoise d’Eaubonne, die | |
den Begriff des Ökofeminismus maßgeblich prägte, doch vor allem scheint in | |
ihr die Figur Valerie Solanas’ auf. Solanas, die letztlich eher durch ihren | |
Tötungsversuch Andy Warhols bekannt wurde als durch ihre Schriften, ruft in | |
ihrem Manifest „SCUM“ zur Vernichtung der Männer auf. | |
Sie begründet das zunächst noch fast ästhetisch, schreibt vom „Stumpfsinn�… | |
dieser Gesellschaft, in der kein Aspekt dieses Lebens „vermag (,) die Frau | |
zu interessieren“, kommt aber über Kriege, Sexualität und Gewalt immer | |
wieder zu dem Schluss, dass an der Abschaffung der Männer, diesen | |
„biologischen Unfällen“, nichts vorbeiführe. Lediglich die Helfer der | |
SCUM-Aktivistinnen seien zu verschonen. | |
Ähnliches schwebt auch Bea vor. Sie kann Kai durch die ausgeübte sexuelle | |
Macht davon überzeugen, dass die Zeit für die genetische „Mutation“ zur | |
Homo- beziehungsweise Autoreproduktion reif sei. Dass sie auch den Rest | |
ihrer WG so schnell zur feministischen Revolution anstiften kann, erscheint | |
jedoch vor dem historischen Hintergrund unwahrscheinlich. | |
Schließlich beklagten Feminist:innen immer wieder, dass die | |
„Frauenfrage“ in linken Kreisen stiefmütterlich behandelt werde. | |
Tomatenwürfe, wie der von Sigrid Rüger bei der Konferenz des | |
Sozialistischen Studentenbunds 1968 in Frankfurt, gingen nicht umsonst in | |
die Geschichte ein. | |
## Intersektional und queer | |
Gleichheit unter den Geschlechtern herrscht heute in aufgeklärten bis | |
aktivistischen Kreisen freilich immer noch nicht. Viel ist diskutiert | |
worden über Redezeiten, über Privilegien. Auch stellt sich die | |
„Frauenfrage“ in dem Sinne nicht mehr, da heute intersektional gedacht | |
wird, [2][queere Sichtweisen] stärker berücksichtigt werden. | |
Radikalfeminismus ist eher zum Schimpfwort verkommen, den „TERFs“, also | |
trans Menschen ausschließenden „radical feminists“, sei Dank. | |
„Nieder mit dem Koitus!“, fordert Bea im Roman und erklärt insbesondere die | |
Penetration für abgeschafft. Heute ist man agitatorisch von der Aktions- | |
auf die Verbalebene abgesprungen. Autorinnen wie Bini Adamczak stellen die | |
Problematik beim Sprechen über penetrativen Sex im Sinne eines aktiven und | |
passiven Parts zwar weiterhin heraus, finden aber praktischere Lösungen als | |
den kompletten Verzicht darauf: So schlägt Adamczak in einem Text von 2016 | |
etwa vor, statt von „Penetration“ – einführen – von „Zirklusion“ �… | |
umschließen – zu sprechen. Durchgesetzt hat sich das allerdings nicht. | |
Interessanterweise spielt die Abschaffung der [3][Kleinfamilie] – laut Max | |
Horkheimer eben die „Keimzelle des Faschismus“ – in diesem | |
sexualpolitischen Roman keine große Rolle. Zwar ist sie in einer | |
ökofeministischen, männerfreien Welt, wie sie sich Bea erträumt, wohl | |
schlicht nicht mehr existent, liegt der Fokus des Buchs woanders, doch das | |
Fehlen einer gesellschaftspolitischen Beschäftigung mit der Familie | |
jenseits des Sexuellen fällt auf. | |
Immerhin spielt der Roman 1975, dem Jahr, in dem [4][Shulamith Firestones | |
„The Dialectic of Sex“] in deutscher Übersetzung erscheint und sie die | |
Familienstruktur als „Quelle psychologischer, ökonomischer und politischer | |
Unterdrückung“ benennt. Auch Kate Millett macht 1971 in „Sexus und | |
Herrschaft“ die Familie als „Hauptinstitution des Patriarchats“ aus, die | |
zugleich Spiegel und Verbindung mit der Gesellschaft im Großen und Ganzen | |
sei. Wer es ernst meint mit dem Privaten, das politisch ist, muss eben auch | |
an die Familie ran. | |
## Begehren außerhalb der Zweierbeziehung | |
Bei Charles Fourier sind die Leidenschaften und die „riesigen | |
Assoziationen“, die in ihrem Sinne zu formen seien, stark verknüpft mit | |
sozialreformerischen Anliegen. Manch eine seiner Ideen zur | |
gemeinschaftlichen Abendgestaltung klingt sehr nach Kollektivierung, mehr | |
nach Gemeinschaftsküche als Party. Heute sind nicht-monogame Beziehungen | |
verbreiteter, das Sprechen über Begehren außerhalb der Zweierbeziehung ist | |
möglich, muss sich somit aber auch gegenüber dem Vorwurf verhalten, es | |
folge dem neoliberalen Credo eines „immer mehr“: weg vom Hippie-Duktus, | |
hinein in die Marktlogik. | |
Das treffe vor allem zu, wenn Beziehungen eben einfach multipliziert und | |
nicht grundlegend anders gelebt werden, schreibt Brigitte Vasallo in | |
„Monogamous Mind, Polyamorous Terror“. Monogamie sei dabei das zentrale | |
Ordnungsprinzip unserer modernen Welt und keinesfalls gottgegeben (oder | |
gottgewollt?). Sich frei für diese Form von Partnerschaft entscheiden tun | |
wohl nur wenige. Die herrschende Meinung ist eben meist auch die Meinung | |
der Herrschenden. | |
20 Jun 2025 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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