# taz.de -- „Widerstands-Kollektiv“: Widerstand mit der Malerrolle | |
> In Berlin-Reinickendorf hat das „Widerstands-Kollektiv“ über Nacht einen | |
> Radweg angelegt. Die Gruppe will die Mobilitätswende selbst in die Hand | |
> nehmen. | |
Bild: Nicht ganz gerade, aber widerständig: Radspur des Widerstands-Kollektivs… | |
Berlin taz | Unspektakulärer könnte das Setting kaum sein für Berlins | |
jüngstes Guerilla-Verkehrsprojekt: Die Reinickendorfer Stargardtstraße ist | |
eine Sackgasse zwischen Residenzstraße und Park am Schäfersee. Links der | |
bezirkliche „Treffpunkt für die ältere Generation“, rechts die Auffahrt z… | |
Parkdeck des „Resi“-Shoppingcenters, vorne Currywurst und Woolworth, hinten | |
Seniorenheim. | |
Vor dem sitzen einige BewohnerInnen in der Sonne, unterhalten sich und | |
lösen Kreuzworträtsel. Ob sie mitbekommen haben, dass in der Nacht zum | |
Sonntag AktivistInnen ganz ohne Genehmigung eine Radspur auf ihre Straße | |
gepinselt haben? Nee. „Unjenehmigt, in Deutschland? Dit is ja ma was“, | |
brummelt einer und lacht. Auch die Kioskbetreiberin Ecke Residenzstraße hat | |
nichts mitgekriegt. | |
Dabei ist der Radweg, den „Ehrenamtliche des Widerstands-Kollektivs“ | |
angelegt haben – oder: „gebaut“, wie sie selbst es auch nennen –, kaum … | |
übersehen. Oder vielleicht doch? Nach einem durch die Polizei vereitelten | |
ersten Versuch ein paar Nächte zuvor sollte es offenbar ganz schnell gehen | |
mit dem Malen. Jedenfalls ist die weiße Linie, die die Straße jetzt in zwei | |
Hälften teilt, stellenweise ziemlich krumm, und bisweilen sieht es eher | |
aus, als habe ein Auto einen Farbeimer überrollt und beim Weiterfahren den | |
Inhalt verteilt. | |
Immerhin die Fahrradpiktogramme wirken fast offiziell, auch wenn sie von | |
den wenigen Autofahrenden durchweg ignoriert werden. Dass die Markierungen | |
lange Bestand haben werden, ist nicht zu erwarten, Bezirksämter lassen sich | |
nicht gern ins Handwerk pfuschen. Die AktivistInnen des rund 25-köpfigen | |
Widerstands-Kollektivs ficht das nicht an: „Wir werden immer wieder Radwege | |
malen, bis sie bleiben“, sagt AktivistIn Jori. Denn es sei | |
„unverantwortlich, dass so viele Radfahrende täglich in Gefahr geraten, | |
wenn sie von Autos an den Rand gedrängt werden.“ | |
## „Bekommen viel Lob“ | |
Laut Jori ist die Online-Resonanz auf die Aktion „super. Viele Radfahrende | |
loben die Aktionen“. Vor allem nach dem Frust über den Senats-Stopp für | |
Kiezblocks seien offenbar „viele Menschen dankbar, dass wir das einfach | |
pragmatisch selber in die Hand nehmen“. | |
Aber birgt ein in Eigenregie angelegter Radweg nicht auch Risiken für | |
Radfahrende? Etwa, weil Autofahrende die Spur bewusst missachten, wenn sie | |
sie als improvisiert erkennen? „Das kann ich nicht nachvollziehen“, meint | |
Jori. Es bestehe ein wissenschaftlicher Konsens, dass Straßen ohne Radwege | |
viel gefährlicher seien. Radwege sorgten dafür, dass die ohnehin | |
vorgeschriebenen 1,50 Meter Abstand beim Überholen tatsächlich eingehalten | |
würden. Außerdem gebe es in Berlin offizielle Radwege, „die sehr viel | |
unprofessioneller aussehen als unsere“. | |
Das Widerstands-Kollektiv – Logo: ein pinkes W, das in ein Herz übergeht – | |
will in den kommenden Wochen „5 Kilometer Radweg“ schaffen. Zwei sind nach | |
eigenen Angaben schon fast erreicht, neben Berlin auch in Bremen und | |
Hamburg. | |
Die Gruppe [1][in der Nachfolge der Letzten Generation] will unter anderem | |
in Sachen Mobilität „die Veränderung selbst in die Hand“ nehmen und „un… | |
Städte Stück für Stück vom Einfluss der Fossil- und Autoindustrie | |
befreien“. Petitionen, Demos und ziviler Ungehorsam hätten die Politik | |
nicht zum Handeln gegen die Klimakatastrophe bewegt, jetzt gelte es, „die | |
notwendigen Maßnahmen direkt umzusetzen“. | |
Zwei weitere Betätigungsfelder hat das Widerstands-Kollektiv für sich | |
identifiziert: „Fossilindustrie“ und „Superreiche“. Wie entsprechende | |
Aktionen aussehen, wird sich wohl bald zeigen. Dabei heißt es im Manifest | |
der Gruppe, der „Gewalt und der Zerstörung in dieser Welt nichts | |
entgegenzusetzen“, wäre selbst „gewaltvoll“. Man sei aber „gewaltfrei … | |
der Gemeinschaft, im Protest, in unserer Haltung und in unserem Handeln“. | |
## Vorrang auf der langen Bank | |
Zurück zur Stargardtstraße: So unscheinbar sie ist, gehört sie doch zum | |
rund 800 Kilometer umfassenden „Vorrangnetz“ für den Berliner Radverkehr, | |
das eigentlich bis 2030 fertig sein soll. Laut dem Verkehrswende-Monitor | |
des Vereins Changing Cities (CC) [2][sind aber gerade einmal 10 Prozent | |
umgesetzt] – und das auch nur, wenn man bei den Kriterien gemäß | |
Mobilitätsgesetz mindestens ein Auge zudrückt. | |
CC-Sprecherin Ragnhild Sørensen findet es denn auch kein bisschen | |
erstaunlich, „dass die Leute ungeduldig und unzufrieden mit der | |
Verkehrspolitik sind. Berlin steht ja inzwischen vollkommen still!“ Absurd | |
sei vielmehr das Tempo und die Gründlichkeit, mit denen solche | |
Guerilla-Markierungen wieder entfernt würden. „Der Senat hat sehenden Auges | |
eine Spirale des Nein-Sagens, der Ablehnung und der Verweigerung erzeugt“, | |
findet Sørensen. | |
2 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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Heinrich Strößenreuther | |
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