# taz.de -- Schlachter verklagt Tierrechtler*innen: Atemlos durch den Schacht | |
> In Oldenburg verteidigen sich Tierrechtsaktivist*innen gegen | |
> Schadenersatzforderungen. Sie hatten Aufnahmen von einer | |
> Schweine-Betäubungsanlage gemacht. | |
Bild: Atemnot und Fluchtverhalten: Laut Europäischer Behörde für Lebensmitte… | |
Oldenburg taz | Ein weiß gedecktes Tischchen mit Käfig links, ein schwarzes | |
Banner mit der Aufschrift „CO2 ist Tierqual“ rechts und bestimmt zehn | |
Leute, die Transpis halten: Schon anderthalb Stunden vor Verhandlungsbeginn | |
hat sich die Mahnwache vor der Freitreppe des Oldenburger Landgerichts | |
postiert. Später ist, solange die Tür offen steht, auch drinnen in Saal | |
eins noch zu hören, wie sie skandieren: „Tierleid zu zeigen ist kein | |
Verbrechen.“ Dort mussten sich am Mittwoch zwei Aktivist*innen der | |
Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (Ariwa) gegen | |
Schadenersatzforderungen in Höhe von rund 100.000 Euro verteidigen. | |
Klägerin ist die Brand Qualitätsfleisch GmbH, ein mittelständischer | |
Schlachthof aus Lohne. Anna Schubert und Hendrik Haßel waren im Mai 2024 | |
von der Polizei aufgegriffen worden, nachdem sie nachts in den | |
[1][Schweine-Tötungbetrieb] eingedrungen waren. Ihr Ziel: die | |
Betäubungsanlage. Deren Betrieb hatten seit März an ihr angebrachte, | |
versteckte Videokameras dokumentiert – Ton inklusive. Gerade mit Sound ist | |
das nichts für schwache Gemüter. | |
Seit vergangenem Sommer 2024 [2][verbreitet Ariwa] die dort entstandenen | |
Bilder über die eigenen Homepage, aber auch der öffentlich rechtliche | |
Rundfunk hat das Material aufgegriffen, vor allem der NDR und das | |
ARD-Magazin „Plusminus“. „Aufnahmen, die verstören können“, hatte Alev | |
Seker [3][den Beitrag „CO2-Betäubung: Gnadenakt oder Tierquäler]ei?“ am 2… | |
August mit Triggerwarnung anmoderiert. Dabei werden nur ganz kurze | |
Schnipsel genutzt. | |
## Tiere in Panik | |
Verständlich. Denn die [4][Original-Aufnahmen] sind im Grunde unerträglich, | |
aber von großem dokumentarischem Wert. Denn Ariwa hat damit erstmals in | |
Deutschland Aufnahmen vom Betrieb einer Paternoster-Anlage vorgelegt, also | |
ein durchlaufendes Fahrstuhlsystem. Es besteht aus sechs Käfigen, | |
sogenannten Gondeln, in denen Schweine in kleinen Gruppen in einen neun | |
Meter tiefen Schacht gefahren werden. Der ist mit rund 80 Prozent | |
Kohlendioxid befüllt. | |
Wenn man CO2 einatmet, verbindet es sich mit Speichel zu Kohlensäure, die | |
alle Schleimhäute angreift. Nach einer gewissen Zeit verliert man das | |
Bewusstsein. Wenn es reibungslos abläuft, sind das 20, vielleicht 30 | |
Sekunden. Es läuft aber oft nicht reibungslos ab, das zeigt das | |
Videomaterial. Manchmal brauchen die Mitarbeiter rohe Gewalt, um die Tiere | |
in die Käfige zu treiben, mit Paddeln hauen sie ihnen auf Beine und Kopf, | |
mitten ins Gesicht. | |
Manchmal, und das ist das Schlimmere, stocken die Gondeln auf dem Weg in | |
die Senke. Da ist die CO2-Konzentration zu niedrig, um schnell zu betäuben. | |
Die Tiere bekommen Panik, Atemnot. Sie wollen fliehen, stecken die rosigen | |
Schnauzen durch die verkoteten Stäbe, um nach Luft zu schnappen. | |
## Unternehmen sieht Ruf geschädigt | |
Für die Brand GmbH gekommen ist Nikolaus Brand, Geschäftsführer seit 2018. | |
Der 36-Jährige wirkt jungenhaft, eher zurückhaltend, ja, unerwartet zart | |
für die Art seines Betriebs. Er führt das Familienunternehmen in vierter | |
Generation fort. Gegenwärtig werden in seiner Fabrik pro Woche 15.000 | |
Schweine fachgerecht getötet und zerlegt. | |
Brand sieht den Ruf seines Unternehmens durch die Bilder geschädigt. Aber | |
statt die NGO oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu belangen, hat die | |
GmbH, beraten vom Hamburger Antitierrechtsanwalt Walter Scheuerl, die | |
Aktivist*innen persönlich verklagt, das ist ungewöhnlich: „Sie wollen | |
uns in den wirtschaftlichen Ruin treiben“, wirft Anna Schubert in der | |
Verhandlung der Gegenseite vor, das Ganze sei eine Slapp-Klage, also ein | |
Versuch, sie durch exorbitante Schadenersatzforderungen, Prozess- und | |
Anwaltskosten einzuschüchtern. Das Bundesjustizministerium betreibt eine | |
Stelle, bei der man solche missbräuchlichen Verfahren zur Anzeige bringen | |
kann. „Wir haben das deshalb dort gemeldet“, so Schubert. | |
Scheuerl weist den Vorwurf zurück. „Wenn Sie eine Kneipenschlägerei haben�… | |
erklärt er der taz auf Nachfrage das Vorgehen, „dann erteilen Sie ja auch | |
den Leuten Hausverbot, die randaliert haben, und nicht irgendeinem Verein“, | |
bemüht er einen Vergleich, der zumindest erläuterungsbedürftig ist: ARD und | |
wohl auch Ariwa, führt Scheuerl also aus, hätten sich darauf herausreden | |
können, mit der Herstellung der Bilder selbst nichts zu tun gehabt zu | |
haben. „Diese juristische Ebene schalten Sie aus, wenn Sie direkt | |
diejenigen belangen, die auf illegale Weise die Bilder beschafft haben.“ | |
## Jährlich 30 Millionen Schweine | |
Tiere müssen vor der Schlachtung betäubt werden. Ziel ist es, so ihr Leiden | |
zu verringern. Bloß: Dass das nicht wirklich funktioniert, steht sogar | |
schon in der 2009 erlassenen EU-Schlachtverordnung, die den schönen Titel | |
„über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung“ trägt. Fünf Jahre | |
zuvor hatte der Tierschutzbeirat der Europäischen Behörde für | |
Lebensmittelsicherheit (EFSA) diese Art der Betäubung untersucht. | |
Das Ergebnis: Es löst bei den Tieren Panik aus, sie wollen flüchten, sie | |
quieken – all das, was die Ariwa-Videos zeigen. Was vorliegt, sei „clearly | |
a welfare problem“ – ein ganz klares Tierwohlproblem, steht schon damals im | |
Abschlussbericht. In der Schlachtverordnung heißt es dann: Problem ist | |
bekannt. Gehen wir aber nicht drauf ein, weil: würde zu teuer. „Es ist | |
jedoch wichtig, diese Diskussion in Zukunft fortzusetzen“, [5][räumt dann | |
Absatz sechs ein.] Ist aber nicht geschehen. | |
Es fehlt ja die Grundlage: „Es gibt sonst keine Aufnahmen dieser | |
Betäubungsart“, betont Aktivisten-Anwalt Benjamin Lück, dabei betrifft sie, | |
als am meisten verbreitetes Verfahren, jährlich rund 30 Millionen Schweine | |
in Deutschland. Was da vor sich geht, genau das zu wissen habe die | |
Öffentlichkeit ein Recht, so Lück. „Anders ist keine informierte | |
Entscheidung möglich.“ | |
## Ausgerechnet mit Tierwohl-Label | |
Eigentlich ist der Saal zu klein, schön wäre ein bisschen Luftzufuhr | |
zwischendurch. Als besondere Ungerechtigkeit hatte der Landvolk-Verband im | |
Vorfeld der Verhandlung über seinen „Pressedienst“ LPD die Tatsache | |
bewertet, dass sich die Aktivist*innen ausgerechnet Betriebe | |
vorknöpfen, die sich das Tierwohl-Label auf die Fahnen schreiben. Ihnen | |
gehe es „nicht um Verbesserung, sondern um Abschaffung unserer | |
Tierhaltung“, stellt Landvolk-Vizepräsident Jörn Ehlers dort fest. Von | |
Beruf ist er Schweinemäster. | |
Die „Brand Qualitätsfleisch“ gibt sich tatsächlich als Vorreiterin dieses | |
Segments. „Tierschutz und das Tierwohl haben für uns oberste Priorität“, | |
behauptet sie, und das soll kein Witz sein. Alle Bereiche seien | |
videoüberwacht, und „es ist unsere Philosophie, transparent zu sein“, | |
behauptet die Homepage. | |
Doch sogar die eigene Einsicht in die Abläufe scheint unvollständig: So hat | |
Brand, um zu belegen, dass bei der Betäubung alles glatt läuft, eine | |
Videosequenz bei Gericht eingereicht. Auch sie stammt aber aus dem von der | |
Polizei im Mai 2024 beschlagnahmten, dann den Aktivist*innen, aber in Kopie | |
auch an den Schlachthof wieder ausgehändigten Material. Wenn die Klägerin | |
darauf angewiesen gewesen sei, diese zu nutzen, so Anwalt Lück, „dann | |
müssen wir annehmen, dass sie keine eigenen hatte“. | |
11 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Schlachthof-bei-Oldenburg/!6042656 | |
[2] https://www.ariwa.org/todeskampf-im-kohlendioxid-pressemitteilung2024-08-22/ | |
[3] https://www.ardmediathek.de/video/plusminus/co2-betaeubung-gnadenakt-oder-t… | |
[4] https://mega.nz/file/7253VaSI#59wTfUMjcs4luTxC5L1fYgRHTocJHMG2qGKFyKKrfxw | |
[5] https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ%3AL%3A2009%3A303%… | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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