Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Festival für Sport und Performance: Dehnen und Denken
> Das Ballhaus Ost zeigt das Festival „Sportfest“. Es verbindet die Körper-
> und Mentalpraktiken von Sport und darstellenden Künsten.
Bild: Da steht ein Pferd auf der Bühne: Auf dem „Sportfest“ im Ballhaus Os…
Veranstaltungsorte können sich verwandeln. Das Ballhaus Ost etwa, seit
knapp 20 Jahren ein Pfeiler der Berliner freien Szene, war ursprünglich der
Festsaal einer freikirchlichen Gemeinde. Momentan findet hier eine
neuerliche Transformation statt: Basketballkörbe hängen an den Wänden,
Linien für Spielfelder diverser Mannschaftssportarten sind aufs Parkett
gezogen, statt der klassischen Tribünenbestuhlung sind bunte Turnmatten
verteilt, auf denen sich die einen dekorativ lagern und die anderen sich an
diversen Leibesübungen versuchen können.
Die Bar wurde von einer Dartpfeile werfenden Jungsgruppe in Beschlag
genommen. Und auf dem Hof strampelt ein einsamer Radler auf einem
Hometrainer.
[1][Im Ballhaus] ist „Sportfest“ angesagt, ein Festival über fast den
gesamten Monat Juni, das athletische mit künstlerischer Performance
verknüpft. Ein zunächst ungewöhnlicher Zugriff – und zugleich einer, der
sofort Resultate zeigt: Das Publikum mischt sich. Jurorinnen vom
Theatertreffen sind zu sehen. Aber auch ein vollzähliges Volleyballteam
kommt im lockeren Sportoutfit an, eine Volleyballerin sogar mit Krücken:
klassischer Sportunfall, Bänderanriss durch Umknicken des Fußes.
Eine der Performances des Eröffnungswochenendes hat dann auch ganz passend
das Leiden im Sport als Thema. Norwin Tharayil (aka elfrid the third), der
in der Jugend davon träumte, Basketballprofi in der NBA zu werden, wirft in
„Growing Pains“ künstlerisch bearbeitet anatomische Bilder von menschlichen
Körpern an die Wände und singt und spricht sich dabei durch seine
Sportlerbiografie. Von Schmerzen ist dabei die Rede, vom Überwinden von
Grenzen. Auch davon, wie sich Leistungsdruck und Wettkampfmentalität in die
Seele wie in die Eingeweide schreiben.
Zu den Schmerzen, die bei sportlicher Betätigung wachsen, gesellt sich bei
„Growing Pains“ noch der wachsende Schmerz Tharayils, trotz gewisser
Wachstumsanzeichen wie großer Füße doch nicht derart in die Höhe zu
schießen, um es mit Recken wie Shaquille O’ Neal aufnehmen zu können.
Außerdem spielt Tharayil weiterhin ziemlich gekonnt Basketball und lädt ein
paar sehr unterschiedlich gewachsene Kids aus Berlins Amateursportvereinen
dazu ein. Bei den fünfminütigen Spielsequenzen erwacht dann auch bei dem
locker auf Matten lungernden Publikum so etwas wie Sportsgeist.
Adrenalin schießt durch den Körper, das Herz pumpt schneller, die Lungen
weiten sich, um mehr Sauerstoff in die Blutbahn zu bringen. Manches Bein,
mancher Arm zuckt in der Andeutung der Nachahmung einer Wurf- oder
Meidbewegung auf dem Feld. Und Korberfolge dort werden auch auf den Matten
lautstark gefeiert.
Weniger gut springt der Funke beim „Fat Camp“ über. Jil Dreyer und Joey
Mehling lassen sich zwar ein paar Regeln aus herkömmlichen Drill Camps und
Mentalcoach-Workshops einfallen, um Rekruten für eine antikapitalistische
Revolution auszubilden, verharren dabei aber zu oft im karikaturenhaft
überzeichneten Brüllmodus. Ausgesprochen hübsch ist jedoch das Bild, wenn
die Poolnudeln ins Spiel kommen. Dann entsteht eine schön anzusehende
kollektive Skulptur, der sogar eigenes Leben innezuwohnen scheint, als im
Moment des kollektiven Loslassens der Nudelenden, die Biegekräfte der in
rundliche Formen gepressten langen Schaumstoffstangen für immer neue
Bewegungen sorgen.
In der Bar im ersten Stock erzählen unter dem Motto „Dartista, Dartista,
Antifascista“ Spieler des antifaschistischen [2][Dartvereins] Zebras von
ihrem Pfeilesport und auch von ihrem Kampf gegen rassistische und homophobe
Stereotypen in den davon leider nicht selten heimgesuchten Eckkneipen, in
denen sonst Pfeile auf Scheiben fliegen.
Im Erdgeschoss füttert das Sportmuseum Berlin aus seinem reichen Bestand
aus Pokalen, Wimpeln, Sportabzeichen und anderen Devotionalien eine kleine
Ausstellung. Auch einen gemeinsam mit Schweizer Olympiaausbildern
entwickelten Leistungstest kann man im Projekt „Das Laktat“ von Yves
Regenass am eigenen Körper ausprobieren.
Anne Brammen, die vom Ballhaus Ost aus das Sportfest gemeinsam mit den
Ideengebern Kristofer Gudmundsson und Hieu Hoang organisiert, freut sich
noch besonders auf die Turniertanzperformance „Fake Diamonds“ von René*e
Reith (20. und 21. 6.) sowie auf einen Frauenselbstverteidigungskurs von
Natasha Borenko und Lidiia Golovanova („Self Defence – No Offence“, 19. u…
21. 6.). Athletik und Dialektik dürften auch hier auf feine Art und Weise
zusammenkommen.
Das Sportfest ist ein origineller Versuch, durchaus verwandte, meist aber
doch sehr getrennt voneinander betrachtete menschliche Aktivitäten wieder
näher zusammenzubringen.
12 Jun 2025
## LINKS
[1] /Disability--Performance-Festival-Berlin/!6047084
[2] /Neu-an-der-Dartscheibe/!6071722
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Performance
Festival
Sport
Freie Szene
Berlin
Performance
Berlin Ausstellung
Hollywood
## ARTIKEL ZUM THEMA
Disability & Performance Festival Berlin: Die „Cripolution“
Das „No Limits“-Festival setzt auf Neurodivergenz und die Wertschätzung
individueller Bedürfnisse. Die Performances finden über Berlin verteilt
statt.
Videoinstallation von Marianna Simnett: Die Dämonen des Fußballs
Alternativ zum Public Viewing: Marianna Simnett erkundet in der
Videoinstallation „Winner“ im Hamburger Bahnhof Gewaltmomente im Fußball.
Männliche Schönheitsideale: Der eigene Körper als Trophäe
Brad Pitt und Til Schweiger feiern 60. Geburtstag. Sie stehen für das
männliche Schönheitsideal der 90er. Heute sind Sixpacks nicht mehr so
wichtig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.