# taz.de -- Kulturkürzungen in NRW: Die vollmundigen Versprechen waren leer | |
> Bei der Unterstützung der freien Theaterszene hatte Nordrhein-Westfalen | |
> bisher Vorbildfunktion. Das könnte sich jetzt ändern. | |
Bild: Schauspieler:innen des Ensembles pulk fiktion auf der Bühne | |
Das Stück „Der Riss“, mit dem das Kölner Kinder- und Jugendtheaterensemble | |
pulk fiktion im Oktober, zum Tag der Deutschen Einheit, Premiere feiern | |
wird, könnte aktueller nicht sein. „Es geht um Ost-West-Biografien, um das | |
Aufwachsen in verschiedenen Systemen – und um den Ausgang der letzten | |
Wahlen“, erzählt Lisa Zehetner, eine von zwei künstlerischen Leiterinnen | |
der seit 2007 bestehenden freien Theatergruppe, die ihrem jungen Publikum | |
immer wieder die Frage stellt, wie ein gemeinsames Zusammenleben von | |
Generationen, Nationen und Kulturen aussehen kann. | |
„,Der Riss' “, sagt Zehetner angesichts des größer werdenden [1][Einfluss… | |
von Rechtsextremist:innen], „bringt das Verlassen von demokratischen | |
Positionen auf die Bühne.“ Doch die Arbeit des Ensembles ist ungewiss. „Wie | |
es ab dem 1. November weitergeht, wissen wir nicht“, erklärt | |
Kulturpädagogin Zehetner. | |
Derzeit erhält pulk fiktion jährlich 80.000 Euro über die sogenannte | |
Spitzenförderung des nordrhein-westfälischen Kulturministeriums – eine | |
Unterstützung, die laut CDU-Kulturministerin Ina Brandes nun drastisch | |
gekürzt werden soll. Dabei zählt das Ensemble zu den renommiertesten der | |
freien Szene: vielfach ausgezeichnet und auf internationalen Festivals | |
vertreten. | |
## Im Koalitionsvertrag wurden noch Erhöhungen versprochen | |
„Damit ist unser Projekt zumindest mittelfristig existenziell bedroht“, | |
sagt die Dramaturgin – „und damit auch Kunst, Kultur und Mitbeteiligung | |
junger Menschen“. Zwar haben Christdemokraten und Grüne, die | |
Nordrhein-Westfalen seit 2022 gemeinsam regieren, in ihrem | |
Koalitionsvertrag noch vollmundig versprochen, „den Kulturetat bis zum Ende | |
der Legislaturperiode schrittweise um 50 Prozent erhöhen“ zu wollen. | |
Doch jetzt droht gerade der freien Theaterszene eine Kürzung um 50 Prozent, | |
zunächst in der jeweils für drei Jahre gewährten Exzellenz- und | |
Spitzenförderung. Die deutsche Wirtschaft sei bereits „drei Jahre in Folge | |
in einer Rezession“, klagte Kulturministerin Brandes in einer | |
Kulturausschuss-Sitzung des Düsseldorfer Landtags zur Begründung – und | |
daher wisse sie schlicht nicht, „wo sprudelnde Steuermehreinnahmen | |
herkommen sollen“, die „weitere Spielräume eröffnen“ könnten. | |
Angesichts der Haushaltslage müsse sie schlicht „auf Sicht fahren“, glaubt | |
die Ministerin. Auch Angebote der [2][Freien Szene] für Erwachsene sollen | |
deshalb zusammengestrichen werden. Konkret will Brandes hier nur noch vier | |
statt bisher acht Ensembles eine Spitzenförderung gewähren. Eine | |
Exzellenzförderung sollen nur noch zwei statt bisher drei Gruppen erhalten. | |
## Ein Kompromiss verhinderte noch größere Einsparungen | |
Beim Kindertheater, wo es nur die Spitzenförderung gibt, sollen nur noch | |
vier statt bisher sechs Theaterkollektive Geld bekommen – und auch nur noch | |
60.000 statt bisher 80.000 Euro jährlich. Dabei ist schon dies ein | |
Kompromiss, erzwungen durch heftige Proteste der Szene: Ursprünglich sollte | |
es sogar nur noch 30.000 Euro im Jahr geben. | |
„Insgesamt sollen so 540.000 Euro eingespart werden“, rechnet Ulrike | |
Seybold, Geschäftsführerin des Landesbüros freie darstellende Künste, das | |
in NRW rund 410 Mitglieder der freien Szene vertritt, vor. „Damit saniert | |
man keinen 107 Milliarden schweren Landeshaushalt, gefährdet aber Ensembles | |
in ihrer Existenz“, warnt die Kulturmanagerin. Heftige Kritik hagelt es | |
auch von der Landtagsopposition. | |
Brandes’ Kürzungen seien „ein Angriff auf die kulturelle Vielfalt“, find… | |
nicht nur die Abgeordnete Yvonne Gebauer von der FDP. „Tun Sie es nicht“, | |
fordert auch der Kulturpolitiker Andreas Bialas von der SPD. Schließlich | |
seien die Steuereinnahmen des Landes trotz schwächelnder Wirtschaft noch | |
gar nicht geschrumpft – stattdessen rechnet NRW-Finanzminister Marcus | |
Optendrenk für 2025 und 2026 mit „geringen Mehreinnahmen“ von jeweils rund | |
300 Millionen Euro. | |
„Künstler:innen und Künstler werden seit Monaten hingehalten“, kritisiert | |
Gebauer außerdem – schließlich endet die aktuelle Förderperiode Ende Juni. | |
Theatermacher hatten deshalb monatelang keine Planungssicherheit für 2025 – | |
und erst auf Druck der Szene habe Brandes überhaupt eine | |
Übergangsfinanzierung bis Ende Oktober angeboten. „So geht man mit der | |
Kultur nicht um, das ist kulturlos“, hielt die Liberale der Ministerin im | |
Landtagsausschuss vor. | |
## Auch auf Bundesebene beobachtet man die Situation mit Sorge | |
Dabei könnten die jetzt verkündeten Einschnitte erst der Anfang sein. | |
Treffen könnte es auch die breiter angelegte Konzeptionsförderungen, mit | |
denen 35 weitere Gruppen mit jeweils bis zu 50.000 Euro jährlich | |
unterstützt werden und deren reguläre Förderperiode Endes des Jahres endet | |
– insgesamt unterstützt das Land die Tausende freien Theatermacher in NRW | |
mit 14,2 Millionen Euro. | |
„Wir befürchten, dass bei der [3][Freien Szene] noch viel stärker gekürzt | |
werden soll“, sagt Landesbüro-Geschäftsführerin Seybold: „Jedenfalls gibt | |
es noch keinerlei Entscheidung, wann, ob und falls ja, in welcher Höhe ab | |
Januar 2026 überhaupt noch Konzeptionsförderungen ausgezahlt werden | |
sollen.“ | |
Mit Sorge beobachtet wird die Situation in NRW auch auf Bundesebene. „Bei | |
der Unterstützung der freien Szene hatte NRW immer eine Vorbildfunktion“, | |
sagt Helge-Björn Meyer vom Bundesverband freie darstellende Künste. Jetzt | |
fürchtet der Verbands-Geschäftsführer, dass sich das größte Bundesland mit | |
seinen 18 Millionen Menschen zu einem weiteren Negativbeispiel entwickeln | |
könnte – [4][etwa so wie Berlin], wo der Gesamt-Kulturetat schon in diesem | |
Jahr um 130 Millionen Euro gekürzt wurde, oder Sachsen, wo die | |
Kulturförderung für zwei Jahre um 38 Millionen Euro gekürzt wird. „Im | |
Bundesverband“, sagt Meyer mit Blick auf Nordrhein-Westfalen, „stehen wir | |
unter Schock.“ | |
28 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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