# taz.de -- Nachruf auf Eva von Eva und Adele: Das Glück am Rockzipfel berühr… | |
> Die lebenslange Performance von Eva, Gesamtkunstwerk aus der Zukunft und | |
> Hälfte des Künstlerinnenpaars Eva & Adele, ist zu Ende. Ein Nachruf. | |
Bild: Rosa Kleid und breites Lächeln: Künstlerpaar Eva (r.) und Adele in Berl… | |
Als Kind verbrachte ich viel Zeit auf Ausstellungseröffnungen, | |
hauptsächlich in Berlin, meistens in Kreuzberg. Ich fand absolut nichts | |
langweiliger als zeitgenössische Kunst, vor allem da ich meistens das | |
einzige Kind war und früh gelernt hatte, dass man Kunstwerke nicht anfassen | |
darf, dass sie sich also nicht zum Spielen eignen. | |
Das Einzige, was mich auf diesen Eröffnungen interessierte, waren EVA und | |
ADELE. Das Künstler:innenpaar, das sich als Gesamtkunstwerk verstand und, | |
in einer Art nie endender allumfassender Lebensperformance, in | |
ambitionierten, identischen Outfits auf allen Openings auftauchte. Im | |
Gegenteil zu allen anderen Erwachsenen repräsentierten EVA und ADELE alles, | |
was mir gefiel: Sie waren glänzend und rosa. | |
Auch für Doppelgänger:innen hatte ich, wie für eineiige Zwillinge, | |
einen sweet spot, Eva und Adele kamen mir vor wie ein Wunder der Natur. | |
Dass sie beide Glatzen hatten, irritierte mich aus irgendeinem Grund kein | |
bisschen – genauso wenig, wie ich mich fragte, welchem Gender sie | |
angehörten. | |
## Die Rockzipfel berühren brachte Glück | |
Für mich als Vier- oder Fünfjährige gehörten [1][EVA und ADELE zu ihrer | |
eigenen Spezies], deren Anmutung sich weder einordnen noch kritisch | |
betrachten ließ. Sie erstaunten mich nicht, im Gegenteil: Sie waren immer | |
da, als Konstanten im Raum, wiedererkennbar. Auf EVA und ADELE war Verlass. | |
Um mich zu beschäftigen, behauptete meine Mutter, EVA und ADELEs Rockzipfel | |
zu berühren brächte Glück, ebenso wie man die weißen Kleider von Bräuten | |
oder die langen Gewänder von Nonnen berühren sollte. | |
EVA und ADELE wurden auf diese Weise also zu Kunstwerken, die man nicht nur | |
anfassen durfte, sondern die man sogar anfassen sollte. Ich verbrachte | |
ganze Abende damit, den beiden buchstäblich hinterherzurennen, um sie, mehr | |
oder weniger auffällig, am Rockzipfel zu berühren. Sie behandelten mich | |
freundlich und angenehm unaufdringlich, niemals wie ein Kind, das sich in | |
ihrer Wertigkeit von ihnen unterschied. Es gab nichts Betuliches oder | |
Sentimentales in ihrer Umgangsweise mit mir. | |
Wie es sich anfühlt, ein echter „Fan“ zu sein, lernte ich also von EVA und | |
ADELE. Und eigentlich war ich seitdem selten ein Fan von einer anderen | |
Person des öffentlichen Lebens. Es half auch, dass die beiden als Paar | |
auftraten, also zu zweit – das fühlte sich weniger übergriffig oder | |
aufdringlich an, als nur von einer einzigen Person ein Fan zu sein. Es gibt | |
zahlreiche analoge Fotos von mir als Kind, wie ich stolz mit Eva und Adele | |
posiere. | |
Meinen besten Freund im Kindergarten überredete ich, gemeinsam mit mir | |
dasselbe, hellblaue Spitzenkleid aus Plastik zu tragen. Als der | |
Kindergärtner uns auf das eher unangenehme Kleidungsstück ansprach, sagte | |
ich selbstbewusst: „Wer schön sein will, muss leiden“. Der Kindergärtner | |
lachte Tränen, ich verstand nicht, warum. | |
## Die Namen umzudrehen gleicht Gotteslästerung | |
Wenn ich Schluckauf hatte, sagte meine Mutter, ich solle an „fünf | |
Glatzköpfe denken“, dann ginge der Schluckauf weg. Immer dachte ich als | |
Erstes an Adele und Eva. Es kommt mir fast gotteslästerlich vor, die | |
Reihenfolge der Namen umzudrehen. | |
Dass ich maßgeblich von dem Künstler:innenduo geprägt war – und dass | |
sie es längst in den historischen Kanon geschafft haben –, zeigte sich | |
spätestens, als ich einmal in der Gemäldegalerie auf eine | |
Renaissancemalerei von Adam und Eva zeigte und laut ausrief: „[2][Schau | |
mal, Eva und Adele!]“. Meine Mutter war leicht geschockt, in erster Linie | |
aber stolz, dass die zeitgenössische Bildung über die historische gesiegt | |
hatte. Heutzutage ist das Duo natürlich längst historisch anerkannt. | |
Wenn man [3][EVA und ADELE] im Internet recherchiert, findet man in ihrem | |
Wikipedia-Eintrag keine privaten Namen, sie sind dort ausschließlich mit | |
ihren Künstler:innennamen verzeichnet. Stattdessen findet man als | |
Biografie ihre Körpermaße, Größe, Taille, Hüfte. Vielleicht gibt es nichts, | |
was hinter der Fassade zu finden ist, vielleicht ist jene Fassade, jene | |
Kostümierung selbst tief genug. Und vielleicht zeigen sie damit uns | |
Menschen, die wir uns im Alltag nicht für „kostümiert“ halten, dass wir in | |
Wahrheit immer ein wenig in drag sind, auch unbewusst. | |
Ich wusste nie, welche von beiden Eva und welche Adele ist. Es schien mir | |
nicht wichtig. Die Vorstellung, dass Adele nun ohne Eva unterwegs ist, | |
kommt mir fast unmöglich vor. Eigentlich hatte ich beide, als Paar, ohnehin | |
für unsterblich gehalten. Auf den Fotos, die man von ihnen kennt, sieht | |
man, dass sie keinen Tag gealtert scheinen – solch weltliche Probleme waren | |
ihnen fremd. | |
## Immerwährende Grandezza | |
Erst letztes Jahr, auf der Art Basel, gestand ich den beiden, wie sehr ich | |
sie, zeit meines Lebens, verehrt hatte. Es war eine freundliche und | |
angenehm distanzierte Begegnung, sie behandelten mich, das Fangirl, mit | |
ebensolcher professioneller Grandezza, wie sie es schon fünfundzwanzig | |
Jahre früher getan hatten. | |
Sie gaben mir zutraulich ihre Adresse und ich schickte ihnen mein Buch, in | |
dem sie, als Protagonist:innen, immer wieder auftauchten – als | |
Künstler:innen, die sich selbst ihre eigene unabhängige Institution sind, | |
die einem Prinzip von „Ten Points for Passion“ folgten, volle Punktzahl für | |
die Leidenschaft, für radikale Direktheit. Ein paar Wochen später bekam ich | |
eine Postkarte als Antwort – an ihr war nichts Artifizielles, sie war nicht | |
pink, sondern einfach eine Postkarte von der Ostsee, auf der stand, dass | |
sie mein Buch, im Strandkorb liegend, gelesen hatten. Selten fühlte ich | |
solchen Stolz. | |
Farewell, Eva. Ich bin mir sicher, dass ich nur deshalb so viel Glück im | |
Leben habe, weil ich als Kind so häufig deinen Rockzipfel berührt habe. | |
23 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Olga Hohmann | |
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