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# taz.de -- Die Wahrheit: Faustrecht des Hörsaals
> Kürzlich verstarb der große Germanist Albrecht Schöne. Eine bislang
> unbekannte Schnurre erinnert an die versuchte Störung einer seiner
> Vorlesungen.
Nachdem er erfahren habe, so erzählte K., dass kürzlich der weit über die
Grenzen der Branche hinaus renommierte Germanist Albrecht Schöne haarscharf
vor seinem 100. Geburtstag gestorben sei, habe er noch mal die
„Erinnerungen“ betitelten Erinnerungen des Professors gelesen. Darin
erzähle dieser von allem möglichen, verliere aber kein Wort über die
Vorkommnisse an der Uni Göttingen im Wintersemester 78/79, in die er, K.,
involviert gewesen sei.
Er sei damals als linksromantisch eingestellter Germanistik-Student bald
nach Beginn seines ersten Semesters von einem marxistisch-leninistischen
Studentenbund rekrutiert und flugs in den aktiven Kampf beordert worden.
Die Altgenossen hätten in ihrem Stammlokal, dem Sorbas, gehockt und von
dort aus die Nachwuchsaktivisten in die Welt gesandt. Ihm, K., sei zusammen
mit einem Mitstreiter die Aufgabe zuteilgeworden, die montagabendliche
„Faust“-Vorlesung des Professors, die nicht nur die Studentenschaft,
sondern auch das Bildungsbürgertum angelockt habe, zu sprengen.
Sie seien also in den Hörsaal spaziert, in dem der Prof soeben seine
neuesten „Faust“-Erkenntnisse dem Auditorium vermittelt habe. Beeindruckt
von des Professors Brillanz hätten sie erst innegehalten, sich dann aber
bemerkbar gemacht. Der Professor habe sich durch die Störung seines
Vortrags zunächst nicht aufhalten lassen, dann aber doch seine Ausführungen
unterbrochen, die Eindringlinge streng gemustert und gefragt, was es gebe.
Es gebe, habe K. geantwortet, das sofortige Ende der Vorlesung und
stattdessen eine Diskussion über die Verschärfung der Regelstudien… Weiter
sei er nicht gekommen, denn der Professor habe barsch gerufen: „Raus!“
Was, fragte mich K., hätte man einem solchen donnernden Machtwort
entgegensetzen können? Nichts. Zu dem Schluss seien er und sein
Co-Kommunarde jedenfalls ohne lange Beratschlagung gekommen und hätten sich
umgehend aus dem Hörsaal zurückgezogen. Sie seien dann zum Sorbas
marschiert, wo man ihnen nicht die befürchtete Kritik, sondern aufmunternde
Worte und einen Ouzo habe angedeihen lassen. Die freundliche Behandlung
seitens der väterlichen Veteranen habe jedoch nicht verhindern können, dass
er, K., bereits im Sommersemester nicht mehr zu deren Kader gezählt habe.
Über all diese Dinge verliere der Professor in seinen Erinnerungen kein
Wort! Sollte er, K., sich eines Tages daranmachen und seine Memoiren
schreiben, werde er die Göttinger Ereignisse nicht übergehen. Im Übrigen
sei deren Totschweigen durch den Professor allein deshalb zu bedauern, weil
ihm, K., so die Möglichkeit genommen worden sei, seine Erinnerungen mit
denen des Professors abzugleichen und zu überprüfen, ob ihn die seinen
nicht trögen und das, was er mir soeben erzählt habe, überhaupt den
Tatsachen entspreche. Denn diesbezüglich sei er sich leider eigentlich gar
nicht mehr so sicher.
3 Jun 2025
## AUTOREN
Thomas Schaefer
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Universität
Studierende
Protest
Kolumne Die Wahrheit
Thomas Mann
Schwerpunkt Syrien
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