# taz.de -- Feministische Außenpolitik: Kein Abriss ohne Gutachten | |
> Die feministische Außenpolitik ist so nötig wie polarisierend. Jetzt, | |
> unter einem CDU-Minister, wird sie zurückgefahren. Zeit für ein Resümee. | |
Bild: Feministische Außenpolitik tritt Diskriminierung und Marginalisierung en… | |
Kaum hatte die feministische Außenpolitik 2023 das Startfeld passiert, | |
zieht das Auswärtige Amt nun die Ereigniskarte: Zurück auf Los und ab nun | |
Fokus auf die großen Konflikte – so lautet die Botschaft des neuen | |
[1][CDU-Außenministers Johann Wadephul. Doch statt „Zurück auf Los]“ | |
braucht es zunächst einmal eine kritische Bestandsaufnahme. Denn die | |
halbherzige Einführung der feministischen Außenpolitik hat doppelt | |
Vertrauen gekostet: Feministische Partner*innen vermissten im Laufe der | |
Zeit echte [2][Kurskorrekturen, etwa zu Gaza]. Für konservative | |
Gegner*innen und all jene, die von der feministischen Außenpolitik | |
ohnehin nicht überzeugt waren, wirkte sie wie ideologische Symbolpolitik. | |
Die Gefahr, dass die Bilanzierung der feministischen Außenpolitik ebenfalls | |
zur Glaubenssache wird, ist real. Dies hätte zur Folge, dass zentrale, | |
zukunftsleitende Fragen unbeantwortet blieben: Welche Erfolge wurden | |
erreicht und welche Widerstände gab es? Welche positiven Veränderungen | |
lassen sich – ohne den polarisierenden Namen – weiterführen? Gibt es | |
positive Nebenwirkungen der feministischen Außenpolitik, die für eine | |
CDU-geführte Bundesregierung strategisch relevant sein können? Wissenschaft | |
und Zivilgesellschaft haben die feministische Außenpolitik zwar kritisch | |
begleitet, eine umfassende Evaluation mit Einblick in den Maschinenraum des | |
Auswärtigen Amtes fehlt jedoch. Die ist aber so nötig wie sinnvoll. | |
Die [3][deutsche feministische Außenpolitik hat hehre Ziele formuliert:] | |
Das Auswärtige Amt soll diverser, gleichberechtigter, offener werden. Trotz | |
des Anspruchs, die deutsche Gesellschaft abzubilden, bleiben queere, | |
Schwarze Menschen sowie People of Colour, Frauen, Ostdeutsche, Menschen mit | |
Behinderung unterrepräsentiert. Gleichzeitig nehmen Bewerbungen für den | |
Auswärtigen Dienst ab: Der Fachkräftemangel ist im Ministerium angekommen. | |
Das liegt unter anderem daran, dass sich immer weniger Menschen vorstellen | |
können, Teil einer verkrusteten Organisation zu sein. Anders gesagt: Das | |
Auswärtige Amt kann es sich auch ohne feministische Außenpolitik nicht | |
leisten, seine Arbeitsstrukturen nicht zu modernisieren. Diverse Teams sind | |
nicht nur effektiver, sondern würden auch die außenpolitische | |
Glaubwürdigkeit Deutschlands stärken, wenn Deutschland seine jetzige | |
Führungsrolle in der internationalen Förderung von Gleichberechtigung | |
behalten möchte. | |
Andere Staaten haben ihre feministischen Außenpolitiken längst evaluiert. | |
Eine schwedische Studie etwa hat wichtige Erkenntnisse für die aktuelle | |
Politik geliefert: So hat die feministische Außenpolitik den Einfluss | |
Schwedens in der internationalen Förderung der Gleichberechtigung deutlich | |
gestärkt. Nachdem [4][Schweden ihre feministische Außenpolitik 2022 | |
zurückgezogen] hatte, übernahm Deutschland die schwedische Führungsrolle | |
und damit auch deren Einfluss und Verantwortung, gerade im Kontext der | |
Vereinten Nationen. Nun stellt sich die Frage: Verlieren wir diese | |
Führungsrolle wieder? Eine Evaluation könnte darauf eine Antwort geben – | |
und grundsätzlicher untersuchen, welche positiven Auswirkungen die | |
feministische Außenpolitik für Deutschland hatte. | |
Zu unerwarteten Nebenwirkungen gehören vertiefte Beziehungen zu Ländern, | |
die traditionell nicht im Fokus deutscher Außenpolitik stehen. Dazu zählen | |
etwa die Mongolei, Kolumbien, Panama. So akzeptierte die Mongolei erstmals | |
einen Satz zum „Krieg gegen die Ukraine“ in der Ulaanbaatar-Deklaration, | |
nachdem sich das Land vorher bei Abstimmungen den Vereinten Nationen stets | |
enthalten hatte. | |
## Spannungen mit konservativen Gruppen | |
Neben den positiven Effekten sollten allerdings auch die Schwierigkeiten | |
evaluiert werden. Die bereits erwähnte Studie zeigt, dass die schwedische | |
feministische Außenpolitik zu größeren Spannungen mit konservativen Gruppen | |
im Land und weltweit geführt hat. Auch in Deutschland ließen sich diese | |
Spannungen beobachten. Hat dies die Umsetzung der feministischen | |
Außenpolitik ausgebremst? Und wie hat das Auswärtige Amt Entscheidungen bei | |
Zielkonflikten zwischen feministischen und anderen außenpolitischen | |
Interessen gefällt? Ob und welche Instrumente die feministische | |
Außenpolitik entwickelte, um diese Spannungsfelder zu navigieren, sollte | |
dringend bilanziert werden. | |
Denn es gilt weiterhin: Wadephuls Rückbesinnung auf „die großen Konflikte“ | |
verkennt, dass gerade dort Machtverhältnisse Teil der Konfliktlogik sind. | |
So rechtfertigt Moskau seinen Angriff auf die Ukraine als Abwehrkampf gegen | |
das vermeintlich dekadente „Gayropa“, Trumps antifeministische Entourage | |
demontiert die regelbasierte Weltordnung, chauvinistische Kräfte in der | |
gesamten EU planen strategisch deren Demontage. Wer das Label der | |
feministischen Außenpolitik abschaffen will, kann das tun – doch die | |
analytische und politische Auseinandersetzung mit Gender-Dynamiken bleibt | |
unverzichtbar. | |
In Teilen des Auswärtigen Amts wurde das Problem längst erkannt: Einzelne | |
Referate haben ein externes Gutachten beauftragt, um Wirkung und Kosten der | |
feministischen Außenpolitik im eigenen Zuständigkeitsbereich, nämlich in | |
der Rüstungskontrolle, zu überprüfen. Diese Initiative ist begrüßenswert, | |
doch sie droht zum Symptom eines typisch deutschen, außenpolitischen | |
Defizits zu werden: Wenn jede Abteilung individuell bilanziert, bleibt | |
offen, wie die Versatzstücke der feministischen Außenpolitik | |
zusammenwirkten, welche Zielkonflikte entstanden und welche Synergien | |
ungenutzt geblieben sind. Gerade die vielbeschworene Strategiefähigkeit der | |
deutschen Außenpolitik leidet an einer solchen Fragmentierung. | |
Eine ganzheitliche Evaluation der deutschen feministischen Außenpolitik | |
wäre daher mehr als interne Erfolgskontrolle: Sie wäre die Chance, besser | |
zu verstehen, wie ressortweite Transformationsprozesse funktionieren und | |
woran sie scheitern. Das ist kein ideologischer Luxus, sondern strategische | |
Notwendigkeit. | |
26 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Niklas Balbon | |
Karoline Färber | |
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