# taz.de -- Terrorismusvorwurf gegen Kurden: PKK-nah, aber legal | |
> Die Bundesanwaltschaft hat Yüksel Koç verhaften lassen. Sie wirft ihm | |
> Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor – kurz, nachdem | |
> die PKK sich aufgelöst hat. | |
Bild: Yüksel Koç im Jahr 2021 auf einer Demo in Napoli für die Befreiung von… | |
Berlin taz | Völlig überraschend hat die Bundesanwaltschaft den kurdischen | |
Funktionär Yüksel Koç am Dienstag in Bremen durch das BKA verhaften lassen. | |
[1][Sie wirft Koç vor], von Juni 2016 bis Juli 2023 als „hauptamtlicher | |
Kader der PKK“ tätig und dabei für „Öffentlichkeitsarbeit“ und | |
„Propagandaaktivitäten in Europa“ zuständig gewesen zu sein. Koç wurde am | |
Mittwoch einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt. | |
Anschließend wurde er für die Untersuchungshaft nach Bremen zurückgebracht. | |
Der Zeitraum, auf den sich die Vorwürfe beziehen, deckt sich exakt mit | |
jenem, in dem Koç Vize-Vorsitzender des Kongress der kurdischen | |
demokratischen Gesellschaft in Europa (KCDK-E) war. Koçs Bremer Anwältin | |
Fatma Sayın sagte [2][gegenüber dem Portal ANF Deutsch], Grundlage der | |
Vorwürfe sei der Paragraf 129b StGB („Mitgliedschaft in einer ausländischen | |
terroristischen Vereinigung“) und sie beträfen seine Tätigkeit für den | |
KCDK-E. | |
Dabei handelt es sich um einem PKK-nahen, aber seit der Gründung vor vielen | |
Jahren europaweit legalen kurdischen Dachverband. Außer Koç wurde soweit | |
bekannt bisher kein Funktionär des KCDK-E für diese Tätigkeit juristisch | |
verfolgt. Koç war 2023 turnusgemäß aus dem KCDK-E-Vorstand ausgeschieden. | |
Zuvor war er lange beim deutschen kurdischen Dachverband Yek-Kom, heute | |
NAV-DEM, aktiv. [3][2016 nahm das BKA einen Türken fest, der Koç für ein | |
Mordkomplott des türkischen Geheimdienstes ausgespäht haben soll]. 2019 | |
beteiligte sich Koç [4][in Straßburg an einem monatelangen Hungerstreik für | |
die Freilassung des PKK-Führers Abdullah Öcalan]. | |
## Signale Richtung Dialog mit den Kurd:innen | |
Wie so oft bei Verfahren gegen politisch aktive Kurd:innen werfen die | |
Behörden dem heute 61-jährigen Gabelstaplerfahrer Koç keine eigentliche | |
terroristische Aktivität vor. Stattedessen geht es um so genannte | |
Organisationsdelikte – an sich legale Tätigkeiten, die nur strafbar sind, | |
weil es das PKK-Betätigungsverbot gibt. Anwältin Sayın nennt Koçs | |
Tätigkeiten „legal, öffentlich und politischer Natur“. | |
Verwunderlich ist der Schritt der Verfolgungsbehörden angesichts der | |
jüngeren politischen Entwicklung: Am 12. Mai löste sich die seit 1978 | |
bestehende PKK auf, um Raum für zivile Wege zur Lösung der kurdischen Frage | |
zu schaffen. Sowohl rechte Kräfte in der Türkei als auch die AKP-geführte | |
Regierung hatten zuletzt deutliche Signale Richtung Dialog mit den | |
Kurd:innen ausgesandt. | |
Deutschland hatte die Verfolgung der PKK seit dem Verbot 1993 stets auch | |
mit dem Verhältnis zum türkischen Staat begründet. Am Mittwoch reichte die | |
PKK in Berlin eine Klage gegen die Bundesregierung ein, weil diese die | |
bereits 2022 beantragte Aufhebung des Betätigungsverbots abgelehnt hatte. | |
Es sei rätselhaft, weshalb die Festnahme ausgerechnet jetzt erfolge, sagte | |
der taz ein Vertreter der kurdischen Gemeinde in Bremen, der seit | |
Jahrzehnten mit Koç zusammenarbeitete: Drei Jahre nach Ende von Koçs | |
Vorstandstätigkeit und in einer Phase der Entspannung in der Türkei. | |
„Natürlich gibt es Kräfte, die gegen den Friedensprozess sind. Aber ob das | |
der Grund für die Festnahme ist, wissen wir nicht“, sagte der Mann, dessen | |
Name aus Sorge vor weiterer Repression nicht veröffentlicht werden soll. | |
## „Merkwürdiger Kriminalisierungsversuch“ | |
Koç habe nach dem Ausscheiden aus dem KCDK-E und dem Hungerstreik „ein | |
bisschen Ruhe und Zeit für sich“ gebraucht, sei aber trotzdem politisch | |
aktiv geblieben. „Nach über 35 Jahren kann man damit nicht einfach | |
aufhören.“ | |
Dass die Bundesanwaltschaft nun offenbar die legale KCDK-E mit der PKK | |
gleichsetze, um Kurd:innen verfolgen zu können, sei ein „merkwürdiger | |
Kriminalisierungsversuch“, so der Vertreter der Gemeinde. Angesichts des | |
Friedensprozesses sei das Signal Deutschlands an die Kurd:innen: „Ihr seid | |
für uns immer noch Terroristen“. | |
Dass die Verhaftung auf Betreiben des neuen CSU-Innenministers Dobrindt | |
erfolgt sei, glaubt der Vertreter nicht: „Sowas wird lange vorbereitet und | |
der Haftbefehl wurde schon am 4. April ausgestellt.“ | |
Die kurdische Gemeinde in Bremen rechnet mit Untersuchungshaft von ein bis | |
zwei Jahren. „Solange dauert sowas immer, egal, was am Ende beim | |
Gerichtsverfahren rauskommt.“ Immerhin sei Koç nach Bremen gebracht worden. | |
„So kann er wenigstens Besuch bekommen.“ | |
## Deutsches Signal an die Kurd:innen | |
Kerem Schamberger, der [5][2023 ein Buch über die politische Verfolgung der | |
Kurd:innen in Deutschland] geschrieben hat, nennt Koç einen der | |
„bekanntesten politischen Repräsentanten in Europa“. Der Terrorparagraf | |
129b sei das „krasseste Schwert der Strafandrohung“. Koç habe in legalen | |
Organisation über Jahre öffentlich agiert. „Wenn das Terrorismus sein soll | |
– warum wird er dann erst 10 Jahre später festgenommen?“ | |
Die kurdische Freiheitsbewegung durchlaufe eine Neuformierung, sagt | |
Schamberger: „Nach der Selbstauflösung kommt ein neues Paradigma: Die | |
Waffen schweigen, demokratische Elemente sollen in den Vordergrund rücken.“ | |
In dieser Zeit sende Deutschland mit der Verhaftung nun „das Signal, dass | |
es für die Fortsetzung des Krieges gegen die Kurd:innen steht“. | |
Schamberger verweist darauf, dass derzeit in der Türkei eine Reform des | |
Terrorismusparagrafen diskutiert werde, um zu verhindern, dass die | |
„Verhaftungen wegen vermeintlichem Terrorismus immer weiter gehen“. | |
Was in der Türkei passiert, sei „entweder in Deutschland noch nicht | |
angekommen, oder es gibt in der Justiz eine Torschlusspanik, noch schnell | |
Leute abzuurteilen, bevor es keine öffentliche Legitimation dafür mehr | |
gibt“, so Schamberger. Deutschland habe auch die nicht verbotenen | |
kurdischen Vereine „beständiger Repression ausgesetzt“. Unter anderem seien | |
die Namen der Vorstände regelmäßig an den türkischen Geheimdienst | |
weitergeleitet worden, Festnahmen seien die Folge gewesen. | |
Seit etwa drei Jahren habe Deutschland gehäuft Auslieferungsersuchen an | |
europäische Staaten gestellt, um Aktivist:innen, die zuvor in Deutschland | |
aktiv waren, vor Gericht stellen zu können. „Das kann die Türkei nicht | |
direkt machen.“ Derzeit gebe es in Deutschland so viele gefangene kurdische | |
Aktivist:innen wie seit langem nicht mehr. | |
22 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/Pr… | |
[2] https://anfdeutsch.com/aktuelles/kurdischer-politiker-yuksel-koc-in-untersu… | |
[3] /Ein-Kurde-als-Zielobjekt/!5391915 | |
[4] /Politische-Kampfmethode-Hungerstreik/!5572349 | |
[5] https://westendverlag.de/Geflohen.-Verboten.-Ausgeschlossen/1629 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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