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# taz.de -- Jäger:innen beklagen Inzucht im Wald: Verbotene Liebe zwischen Rot…
> Die Landesjägerschaft Schleswig-Holstein schlägt Alarm, weil die
> genetische Vielfalt beim Rotwild sinkt. Helfen soll die Vernetzung der
> Lebensräume.
Bild: Schwierige Partnerinnenwahl: mit Glück hat dieser Rothirsch genügend Ra…
Hamburg taz | Bislang sieht man den Tieren selten etwas an. Ganz
gelegentlich melden Jäger:innen, dass sie Rothirsche mit verkürztem
Unterkiefer geschossen haben oder Rothirschkälber, die keine Augen haben.
Aber glaubt man dem Landesjagdverband, dann steht es schlecht um die
Rothirsche in Schleswig-Holstein. Alarmierend schlecht. Und was es nicht
besser macht: In den anderen Bundesländern sieht es nicht besser aus.
Die genetische Vielfalt der Rothirsche wird immer geringer. Oder anders
gesagt: Es gibt immer mehr Inzucht bei den Rothirschen, weil sich die Rudel
durch die vielen Straßen und die Zersiedelung der Landschaft nicht mehr
begegnen. Der Zusammenhang leuchtet ein, seit einiger Zeit ist er auch
wissenschaftlich bestätigt. Zuletzt hat ihn die [1][Wildbiologin Katharina
Westekemper in ihrer Doktorarbeit an der Uni Göttingen] anhand von rund
1.100 genetischen Proben nachgewiesen: Je geringer die Bewegungsmöglichkeit
der Tiere, desto geringer die genetische Vielfalt.
In Fachkreisen diskutiert man seit den 90er-Jahren darüber, nun hat der
Landesjagdverband Schleswig-Holstein öffentlichkeitswirksam Alarm
geschlagen. „Der Rothirsch braucht Hilfe“ heißt die dazugehörige
Pressemitteilung und dass die genetischen Werte in vielen Populationen
bundesweit so hoch seien, „als würden sich Halbgeschwister paaren – nach
menschlichen Maßstäben illegal“. Auf einem [2][Zukunftsforum in Neumünster
Anfang Mai wollte man nach Lösungen suchen]. Organisiert hat das Forum der
Wildbiologe und Jäger Frank Zabel, und fragt man ihn nach den Erfolgen,
dann klingt er eher verhalten.
Zwar [3][arbeitet das Land Schleswig-Holstein bereits an einem
Wildwegeplan], der „eine nachhaltige Koexistenz zwischen Wildtieren und
Menschen“ ermöglichen soll. Die Idee ist, die zerschnittenen Lebensräume
der Rothirsche – aber auch anderer Wildarten – wieder zu vernetzen, etwa
durch Wanderkorridore oder durch Querungen über Straßen.
## Ein Transitland – aber nur für Autos
„Ein schöner Anfang“, sagt Frank Zabel. „Aber es mangelt an finalem Schu…
Die Wanderkorridore müssen rechtlich vor weiterer Bebauung geschützt
werden.“ Für den Landesjagdverband hat Zabel federführend einen
Rotwildwegeplan erstellt, um die Wanderkorridore der Rothirsche zu
bestimmen. Demzufolge verlaufen 27 Prozent der Strecke durch Schutzgebiete,
Teile führen durch den Wald, es bleiben 56 Prozent komplett ohne
Schutzstatus.
„Das Rotwild will eigentlich von Norden nach Süden ziehen“, sagt René
Hartwig vom Landesjagdverband. „Deswegen ist Schleswig-Holstein eigentlich
ein Transitland.“ Und dann fügt er hinzu: „Heute eher für Autos.“ Im
Rotwildwegeplan heißt es mit durchaus kritischem Unterton, dass die
Gesamtlänge der Rotwildwechsel theoretisch bei knapp 1.600 Kilometer liege,
in der Praxis aber deutlich geringer, da dort mehrere Querungsmöglichkeiten
addiert wurden. Und dann: „Zum Vergleich, derzeit wird Schleswig-Holstein
von gut 500 km Autobahnen, 1.428 km Bundesstraßen und 1.060 km Bahntrassen
zerschnitten.“ René Hartwig sieht in der Jägerschaft ganz grundsätzlich
„Anwältinnen und Anwälte des Wildes. Nicht nur für die, die wir aktiv
bejagen“.
Finden sich gerade ganz neue Allianzen zwischen Jägerschaft und
Naturschützer:innen aus anderen Milieus? Matthias Goerres, Referent
für Naturschutz beim BUND, ist sich einig mit der Jägerschaft, dass es
darum gehe, Lebensräume stärker zu vernetzen. Er setzt dabei auch auf das
europäische „Restoration Law“, nach dem Deutschland bis 2030 mindestens 20
Prozent der Land- und Meeresflächen wiederherstellen muss. Aber: „Wir gehen
grundsätzlich davon aus, dass die neue Regierung Straßenbau bevorzugen
wird“, sagt Goerres. Und in Richtung Jäger:innen: „Die Jägerschaft erreic…
ihre Reviere selten mit Bus und ÖPNV.“
## Kaserniert in Rotwildgebieten
Bislang war die Landesjägerschaft nicht besonders prominent im Widerstand
etwa gegen die geplante Küstenautobahn. Dabei hört man, dass ihre Stimme
Gewicht hat in der Politik. Derzeit scheint in den Behörden aber umgedacht
zu werden. Deutschland ist europaweit das einzige Land, in dem es in
einigen Bundesländern feste Rotwildgebiete gibt. Sobald die Tiere diese
Gebiete verlassen, gilt ein Abschussgebot. Die Regelung wurde in den
1950er-Jahren eingeführt, um die Tiere von landwirtschaftlichen Flächen
fernzuhalten. De facto bedeutet es, dass Tiere, die eigentlich das
Offenland suchen, in den Wald gedrängt werden, [4][wo sie notgedrungen auch
Baumknospen fressen]. Das wiederum ruft die Forstwirtschaft auf den Plan.
In Baden-Württemberg hat jüngst der zuständige CDU-Minister angedeutet,
dass er die Rotwildgebiete für eine schlechte Idee hält. „Nicht die
Rotwildgebiete sind das Problem, sondern die Besiedlungsbarrieren, die den
physischen Austausch behindern“, sagte er der Zeitschrift „Pirsch. Respekt
vor dem Wilden“.
Katharina Westekemper hat am Ende ihrer Dissertation Forderungen
aufgelistet, um die Zukunft des Rotwilds zu sichern. Eine davon hat die
Jägerschaft Schleswig-Holstein schon im Rotwildwegeplan übernommen: die
Jagd auf Rotwild entlang der Wanderkorridore zu verbieten. Westekemper hat
noch weitere Vorschläge. Einer davon: den öffentlichen Nahverkehr
auszubauen.
24 May 2025
## LINKS
[1] https://dr-schmidt-stiftung.de/auswirkungen-der-landschaftszerschneidung-au…
[2] https://ljv-sh.de/zukunftsforum-rotwild-geht-in-die-2-runde/
[3] https://opendata.schleswig-holstein.de/dataset/rotwildwegeplan-fur-schleswi…
[4] /Waldsterben-in-Deutschland/!5920226
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Naturschutz
Jagd
Ökologie
Schleswig-Holstein
Wald
Fortpflanzung
Hirsche
Wild
Schwerpunkt USA unter Trump
Biodiversität
Jagd
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