# taz.de -- 80 Jahre Kriegsende: Wie konnte die Bombardierung Hamburgs richtig … | |
> Beim Luftangriff auf Hamburg 1943 starben 40.000 Menschen. Bis heute | |
> streiten britische Historiker über das ethische Dilemma der „Operation | |
> Gomorrha“. | |
Bild: Arbeiterviertel in Trümmern: Hamburg-Hammerbrook nach dem Bombenangriff … | |
Es ist ja keineswegs so, dass [1][acht Jahrzehnte nach dem Ende des Kriegs] | |
gegen das nationalsozialistische Deutschland nicht noch [2][größere Wunden | |
in vielen Stadtbildern] zu sehen wären. Dass diese gewisse Hässlichkeit | |
deutscher Städte nicht einen historischen Grund hätte. Pforzheim, Dessau, | |
Chemnitz, [3][Berlin], Kiel, Kassel, Köln oder auch Hamburg waren | |
wesentlich durch britische und amerikanische Bomben planiert worden. Sie | |
alle waren mit Fliegergeschwadern heimgesucht worden, weil es dort um | |
kriegswichtige Industrien ging, sie sollten planiert, unwirksam gemacht | |
werden. Großzügige Straßennetze waren in vielen dieser deutschen Städte | |
nach 1945 angelegt worden. | |
In Hamburg ist die einst – und schon während der NS-Zeit – als | |
Ost-West-Straße als zweieinhalb Kilometer lange und sechs Autospuren breite | |
Achse mitten durch die Innenstadt gelegt worden. Was bis heute dazu führt, | |
dass der Kern der Stadt wie durch eine Autobahn von der Elbe getrennt | |
geblieben ist – auch dies: eine Kriegswunde, deren Untertunnelung seit | |
jeher an der Autolobby scheitert. Aus der einstigen Hauptkirche St. | |
Nikolai, ist inzwischen ein Mahnmal im Gedenken an den Zweiten Weltkrieg | |
geworden, der beschädigte Bau politisch bewusst nie zu einstiger Pracht | |
wieder gebracht worden. | |
Hamburg hat allerdings noch ein anderes Areal, einen ganzen Stadtteil, | |
Hammerbrook und Hamm-Süd, zu bestaunen, [4][dem in der Geschichte des | |
Kriegs gegen den Nationalsozialismus ein besonderer Rang zukommt]. Vom 24. | |
Juli bis 3. August 1943 bombierten Fliegerstaffeln der Royal Air Force in | |
der von ihnen [5][so genannten „Operation Gomorrha“] die führertreue | |
Millionenstadt. | |
Bis in jüngste Zeit wird in der britischen Geschichts- und | |
Militärwissenschaft erörtert, ob diese Bombardement nicht | |
völkerrechtswidrig waren. Mehr als 40.000 Menschen kamen bei diesen | |
Angriffen ums Leben, der Dichter [6][Wolf Biermann hat die Grauen des | |
sommerlichen Infernos beschrieben], andere Autoren nicht minder, manche, | |
wie Hans-Erich Nossack aus weiter Ferne, Feuerbrünste des Nachts im Dunkeln | |
sehend, eine gewisse Faszination, ja Angstlust empfindend: Das Alte | |
verschwindet, Neues kann kommen. | |
Was den britischen Diskurs immer wieder bewegt, ist der Umstand, dass diese | |
militärische Aktion, auch damals völkerrechtswidrig, sich gezielt gegen die | |
Zivilbevölkerung richtete. Arthur Harris, Kommandant der Operation, sagte: | |
„Die Nazis sind in diesen Krieg mit der ziemlich kindischen Illusion | |
eingetreten, dass sie alle anderen bombardieren würden und niemand sie | |
bombardieren würde. In Rotterdam, London, Warschau und einem halben Hundert | |
anderen Orten haben sie ihre ziemlich naive Theorie in die Tat umgesetzt. | |
Sie haben Wind gesät, und jetzt werden sie den Sturm ernten.“ | |
## SPD und KPD waren die Parteien des Arbeiterviertels | |
Das infernalische Bombardement setzte ausgerechnet ein Viertel in Brand, | |
das wie kein anderes in Hamburg dem Nationalsozialismus kaum zugeneigt war. | |
1933 erzielte die NSDAP dort vergleichsweise geringen Zuspruch, SPD und KPD | |
waren die Parteien des Quartiers, ein Arbeiterviertel im Wachsen mit | |
trockenen Neubauten und sanitären Einrichtungen, begehrt bei ArbeiterInnen, | |
die im nahen Hafen ihren Jobs nachgingen. Der britische Angriff aber hatte | |
genau dies im Sinn: durch Bombardierungen und viele Tote die Bevölkerung | |
Hamburgs insgesamt zu demoralisieren. | |
Der britische Historiker Richard Overy nannte 2023 [7][seinen Vortrag zu | |
den Voraussetzungen und Verläufen] dieser „Feuerstürmen“: „How to kill a | |
city“ – wie man eine Stadt tötet. Für ihn zählt nicht, dass die | |
nationalsozialistische Wehrmacht und die SS den halben Kontinent verwüstet | |
hatten, dass sie Osteuropa, vor allem die Ukraine zu „Bloodlands“ (Timothy | |
Snyder) machten. Für Overy wie für andere HistorikerInnen zählt, dass die | |
Angriffe nicht in erster Linie Fabriken und Militäranlagen galten, sondern | |
der Auslöschung von ZivilistInnen, Frauen vor allem, Kindern, alten | |
Menschen. | |
## Mäßiges Interesse der Stadtplanung | |
In die Landschaft links oberhalb der Elbbrücken ist inzwischen [8][die | |
sogenannte Hafencity gebaut worden], auf der anderen Seite, rechts von der | |
Querung des Stroms, getrennt durch Bahngleise und vielspurige Straßen, | |
liegen die Stadtteile Rothenburgsort, Hammerbrook und Hamm-Süd – und fanden | |
bis heute nur mäßiges Interesse der Stadtplanung, aus ihnen die gleichen | |
pulsierenden Teile wiederherzustellen, die sie einst, städtisch durch und | |
durch, waren. Immer noch aussätzig, an den Rändern hier und da hippe Clubs, | |
Speditionen, Reifenlager, Kleinbetriebe, wenige Wohnbauten. | |
Geschichtsanklagende, [9][revisionistische Bewegungen] wie [10][in | |
Dresden], wo Demonstrationen zum angeblichen „Bombocaust“ registriert | |
werden mussten, gab es in Hamburg nie. Trauer um die Toten musste es, | |
konnte es, auch stadtoffiziell in den Jahren nach 1945, geben. Darf man als | |
Nachkomme einer bei der „Operation Gomorrha“ fast vollständig getöteten | |
Familie zwar auch trauern, aber ebenso sagen: Das biblisch („eine | |
Operation, bei der Pech und Schwefel vom Himmel fallen“) inspirierte | |
Geschehen geschah recht? | |
Im britischen Diskurs wird mit dieser Frage gehadert. Kris Hendrix, | |
Forscher am Royal Airforce Museum in London, schrieb 2022 zur „Operation | |
Gomorrha und das ethische Dilemma“: „Hatte Arthur Harris Recht, als er | |
sagte, dass Arbeiter legitime militärische Ziele seien? Hatten die Männer | |
und Frauen des Dritten Reiches in dieser Frage wirklich eine Wahl? Oder die | |
alten Menschen und Kinder, die unter den Bomben starben? War das deutsche | |
Volk der Feind? Ich kann nicht umhin, eine Parallele zu der Behandlung von | |
Zivilisten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis zu | |
ziehen.“ | |
Und zieht zugleich, wie sollte es in einer geschichtswissenschaftlichen | |
Erörterung auch anders sein?, Parallelen zu zeitlich näheren Fällen: „Es | |
ist interessant, dass Dresden in der Regel als Beispiel für ein | |
Kriegsverbrechen angeführt wird. Die Zerstörung der Stadt nur wenige Wochen | |
vor Kriegsende zeigte, dass die Theorie, Zivilisten zu töten, um einen | |
Krieg zu gewinnen, zu einer Farce geworden war. Allen war klar, dass dies | |
in den drei Jahren zuvor nicht funktioniert hatte, und Dresden wurde als | |
‚Bombardierung zu weit‘ angesehen. | |
## Wie lässt sich irgendetwas davon rechtfertigen? | |
Aber wenn Dresden falsch war, wie konnte dann Hamburg richtig sein? Oder | |
wie konnte [11][Rotterdam (das die Wehrmacht dem Erdboden gleich machten], | |
d.Red.) richtig sein? Oder der [12][Völkermord an den Armeniern] oder das | |
[13][Massaker von My Lai]? Wie lässt sich irgendetwas davon rechtfertigen?“ | |
Wie die gezielten russischen Bombardements gegen nichtmilitärische Ziele in | |
der Ukraine, gegen Schulen, Kindergärten, Wohnhäuser ohne militärischen | |
Belang? Wie die offenbar nicht nur den Hamas-TerroristInnen gewidmete | |
Zerstörung des Gazastreifens durch die israelische Armee? | |
Kris Hendrix, der das militärische Dilemma aufblättert, lässt in seinen | |
Ausführungen keinen Zweifel daran, dass der Krieg gegen das | |
nationalsozialistische Deutschland in jeder Hinsicht berechtigt war: 1943 | |
war keineswegs sicher, dass die Alliierten den deutschen NS-Horror besiegen | |
würden. | |
Was aus jüngeren Quellen auch hervorgeht, ist, dass die britische | |
Bevölkerung, die die Nazis durch die Bombardements von London und Coventry | |
1940/1941 – mit Zehntausendend Toten – zu fürchten hatten, „Bomber“ Ar… | |
Harris nach wie vor für einen anständigen Mann hält, einer, der ein | |
gerechtes Projekt ins Werk setzte. Und zugleich doch, so ermittelt durch | |
Umfragen, nur sehr begrenzt Schadenfreude empfanden, als sie von den | |
Luftschlachten über Deutschland erfuhren: Man sorgte sich um die | |
ZivilistInnen, so hörten es geheimdienstliche wie zivilgesellschaftliche | |
Demoskopen, nicht jedoch um Nazideutschland. | |
8 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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