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# taz.de -- Jugendlicher Widerstand gegen Hitler: Leipziger Meuten und Duisburg…
> Am Schauspiel Duisburg inszeniert Schorsch Kamerun das Stück „House of
> Resistance“. Es handelt von jugendlichem Widerstand gegen das NS-Regime.
Bild: In ihrem Geschichtsunterricht waren die antifaschistischen Leipziger Meut…
„Hauen gehörte zu unserem Geschäft“, hallt es am Mittwoch durch Foyer des
Schauspiels Duisburg. Es ist ein Zitat von Bruno Bachler über seine Jugend
im Nationalsozialismus. Die Haue abbekommen hat die Hitlerjugend, die
Bachler verachtete. Er und seine Freund:innen trugen lieber Wanderstiefel
und Skihemden statt Uniformen und zogen Wanderungen der Marschformation
vor.
Sie verweigerten die Zwangsmitgliedschaft in der HJ, teilweise waren sie
aktiv im organisierten Widerstand. Als „Edelweißpiraten“ wurden Jugendliche
wie sie im Rheinland oder Ruhrgebiet von den Nazis verspottet, eine
Bezeichnung, die sie später mit Stolz trugen. Jugendwiderstand wie ihren
gab es auch in anderen Städten Nazideutschlands: in Hamburg die
Swing-Jugend oder in Leipzig die Meuten.
„Ich hatte keine Ahnung davon“, erzählt die 16-jährige Luca aus Leipzig. …
ihrem Geschichtsunterricht waren die Meuten kein Thema. „Das ist eine
Geschichte, die komplett ausgelöscht wurde.“ [1][Dabei gehörten bis zu
1.500 Jugendliche einer der Meuten an, die sich auf den Plätzen der Stadt
getroffen haben.] Ab Ende der 1930er-Jahre wurden sie systematisch
verfolgt, aber in der DDR-Geschichtsschreibung waren die Meuten kein Thema.
Die DDR-Führung hatte ein tiefes Unbehagen gegenüber non-konformistischen
Jugendlichen, was sich etwa in der Überwachung der ostdeutschen Punkszene
durch die Stasi zeigte. Ähnlich wie die Punks waren auch die Meuten
ideologisch schwer zu greifen. Sie stammten aus der Arbeiter:innenschicht,
aber ihr einziges Flugblatt endet mit den Worten „Es lebe der Broadway“.
Die New Yorker Theaterwelt als Sehnsuchtsort der Arbeiterklasse? Das durfte
in der DDR nicht sein.
## Jugendliche wollen Widerstand gegen rechte Parteien
Auch Schorsch Kamerun hatte bis vor zwei Jahren nicht von den Meuten
gehört. Im April inszenierte der Punksänger und Theaterregisseur am
Lindenauer Markt gemeinsam mit Leipziger Jugendlichen den ersten Teil des
Projekts „Sounds of Resistance“, um an den Jugendwiderstand zu erinnern.
Das „Meuten Memorial Movement“ war ein Happening aus Tanz und Songs, das
Kamerun mit den Jugendlichen selbst entwickelt hat. „Im Zentrum steht die
Frage, was für sie heute Protest ist“, meint er.
„Gegen rechte Parteien muss man Widerstand leisten und gegen sexistische,
rassistische Menschen“, meint Helene aus Leipzig. „Gegen queerfeindliche
Menschen“, wirft Luca ein. Beide waren schon bei der Leipziger Performance
dabei, jetzt sind sie in Duisburg Teil der Performance „House of
Resistance“. Gleich nach dem Interview beginnt ihre erste und einzige Probe
vor der Premiere am 8. Mai, dem Tag der Befreiung.
## Flugblätter in Broten versteckt
Der erste Akt spielt sich in den Foyers und Treppenaufgängen des
Schauspielhauses ab. Per Funkkopfhörer wird der Sound von der Bühne und den
verschiedenen Räumen zugespielt, man kann sich frei bewegen. Luca und
Helene und die anderen Leipziger Jugendlichen tragen Jacketts und übergroße
Hosen – eine Referenz auf die Swing-Jugend, die frühen Punks und den
Baggy-Retro-Style der Gen Z zugleich. So hüpfen sie durch das
Schauspielhaus und tanzen den Twist.
An manchen Stellen versammeln sie sich zum Chor und tragen Flugblätter
der Meuten oder Edelweißpiraten vor. Eins davon wird mir in die Hand
gedrückt – es war in einem Brot versteckt, so wie es die Duisburger
Edelweißpiraten auch gemacht haben.
Ihre Geschichte ist nicht unbekannt. Die noch überlebenden Mitglieder der
Edelweißpiraten an Rhein und Ruhr haben sie seit den 1980er-Jahren selbst
erzählt. Auch Cana vom interkulturellen Kulturprojekt Bahtalo aus Duisburg
hat in der Schule davon gehört.
Bei der Generalprobe streift sie als „Alice im Almanland“ auf der Suche
nach ihrem Kaninchen durch die Räume des Schauspielhauses. Zwerge in
Uniform machen ihr das Leben schwer. Sie wollen ihren Pass sehen, sind
nicht im Dienst oder „dafür nicht zuständig“ – echte Almans halt. „Es…
zu keiner Lösung“, erzählt Cana. „Was soll Alice auch dagegen machen?“ …
sie selbst fühlt sich im Alltag manchmal hilflos. „Wenn jemand in der
Öffentlichkeit was Rassistisches sagt, habe ich schon Angst“, erzählt Cana.
## Polizeiakten über die Edelweißpiraten
Im ersten Akt von „House of Resistance“ ist dennoch Freude das bestimmende
Gefühl. Immer wieder wird man beim Streifzug durch die Räume angenehm
irritiert: Spielt die Balkan Band da wirklich gerade „Lambada“? Und wo hat
sich die Operndiva versteckt, die ein Duett mit Schorsch Kamerun singt?
Schließlich taucht noch ein Chor auf, ein Schauspieler liest aus
Polizeiakten über die Edelweißpiraten und, und, und – ein Happening der
Vielfalt.
Dann kündigen die Streicher der Duisburger Philharmoniker aus dem
Orchestergraben den zweiten Akt an, das Geschehen verlagert sich auf die
Bühne und „House of Resistance“ wird zu einer Revue. Damit verliert es ein
wenig von seinem egalitären Glanz, zu deutlich treten die Unterschiede
zwischen den professionellen Musiker:innen und den engagierten
Amateur:innen hervor.
Tolle Momente gibt es: das Lied „1944“ über den Verlust eines geliebten
Menschen im Krieg, vorgetragen von einem Ensemble aus Laienchören. Oder
eine kurze Szene, in der sich Jugendliche aus Leipzig und Duisburg in die
Rollen von linksliberalem Bürgertum und AfD-Schwurbler-Fans schlüpfen und
sich genau die Klischees als Beleidigungen an den Kopf werfen, die seit
einem Jahrzehnt die schlechter informierten Kommentarspalten bestimmen.
Dazu singt Schorsch Kamerun davon, dass „die einfachen Ideen“ nicht „die
einzige Möglichkeit sind, gemeinsam abzugehen“. Und darin steckt vielleicht
dann doch so etwas wie eine Botschaft von „House of Resistance“: Wenn
Widerstand zum Klischee wird, ist der Widerstand gegen das Klischee die
erste Bürgerpflicht.
8 May 2025
## LINKS
[1] /Premiere-im-Leipziger-Schauspiel/!5563876
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
Widerstand
Duisburg
Theater
Schwerpunkt Nationalsozialismus
8. Mai 1945
Klangkunst
Arnin Petras
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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