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# taz.de -- Swing in der NS-Zeit: Tanz statt Gleichschritt
> Der Schellack-DJ Stephan Wuthe schildert in seinem Buch den Alltag von
> Swing-Fans während der Nazi-Diktatur. Die Musik war dem Regime von Anfang
> an suspekt.
Bild: Bekommt 1941 den „Doktor des Swing“ verliehen: Louis Armstrong auf ei…
An heißen Sommertagen im öffentlichen Raum auf kleine Gruppen Jugendlicher
zu stoßen, die sich die neueste Musik vorspielen und ungezwungen dazu
tanzen – heute mag so ein Bild alltäglich erscheinen, in der Nazizeit war
dies ein lebensgefährliches Abenteuer. In „Swingtime“ schildert der
Schellack-DJ Stephan Wuthe den Alltag meist junger Menschen, die sich
zwischen 1933 und 1945 der verpönten Swingmusik verschrieben hatten und
dafür Razzien, Verhaftungen und Denunziationen riskierten.
Wuthes Buch fördert viele individuelle Geschichten zu Tage, die vor allem
das Überleben einer speziellen freiheitlichen Idee dokumentieren und sich
in der Liebe zum Jazz und zum Tanz manifestierten. Denn Swing war von
Anfang an freigeistige und befreiende Tanzmusik und deshalb dem Nazi-Regime
suspekt.
Nicht wenige der Musikfans, im Anklang an die HJ als „Swing-Jugend“, oder
abfällig als „Swing-Heinis“ bezeichnet, bezahlten ihre Leidenschaft später
mit bizarren Spionageanklagen vor NS-Gerichten und fanden sich im Gefängnis
wieder oder sogar im KZ. Der Swingsammler Günter Discher und der
Jazzgitarrist Coco Schumann überlebten letzteres Schicksal
glücklicherweise, viele andere nicht. Von Schumann stammt auch das
bedeutende Zitat: „Wer den Swing in sich hat, kann nicht mehr im
Gleichschritt marschieren.“
Anhand von Interviews, zeitgenössischen Reportagen und Tanzanleitungen,
schildert Wuthe die Ratlosigkeit und generelle Ablehnung der neuen
Musikrichtung beim deutschen Publikum schon vor 1933.
Er widmet sich auch der Rolle der damals neuen Medien: Swing auf
Schallplatte, im Spielfilm und im sogenannten „Feind“-Radiosender. Wir
erfahren so von absurden Versuchen der Nazi-Behörden, etwa ausländische
Filme mit Swingeinlagen durch Rezensionsverbot totzuschweigen, dann jedoch
die deutschen Versionen dieser Songs nicht zu erkennen und zu billigen.
## Inspiration für die eigene Garderobe
Erfreulicherweise schlüpften auch viele im Ausland lebende jüdische
Künstler und ihre Kompositionen durch das Netz der Zensur und konnten
zumindest eine Zeit lang weiter beworben, verkauft, gesendet und aufgeführt
werden. Es waren vor allem die Tanz-, Schlager- und Revuefilme, aus denen
die Swingfans ihre Inspiration für die eigene Garderobe bezogen; und die
seltenen, innig herbeigesehnten kurzen Tanzszenen, oft einziger
Anhaltspunkt für die „richtige“ Art zu tanzen.
Die Geschichte des Swing wird parallel zur Geschichte der
Hauptstadt-Unterhaltungskultur bis in die Nachkriegszeit erzählt und es
wird intensiv auf Stars aus der Schlager-, Film-, und traditionellen
Tanzorchester-Szene eingegangen. So finden sich im Buch neben bekannten
Namen wie Louis Armstrong, Paul Whiteman und Josephine Baker viele
unbekannte ungarische, deutsche, österreichische und tschechische Musiker.
Einige der beliebtesten Spielorte der Swingmusiker in Berlin, etwa der
Admiralspalast, blieben vom Krieg verschont. Von legendären Auftritten in
anderen, durch Luftangriff, Abriss oder Umfunktionierung verschwundenen
Tanzsälen (Delphi Palast, Nelson Theater) berichtet „Swingtime“ ebenfalls.
Es entsteht nicht der Eindruck, dass die Swingfans der 1930er-und
1940er-Jahre keine anderen Sorgen gehabt hätten, als die aktuellste
Tanzaufnahme zu erstehen: Doch war auch in diesem „kleinen“ und subtilen
Bekenntnis zum Jazz, zum Swing, das Streben nach Freiheit, Individualität
und Opposition sehr deutlich.
Wuthes Chronik setzt sich fort bis in die 1990er-Jahre und das große
internationale Swing-Revival. Auf der Suche nach den Ursachen dieses neuen
Interesses hierzulande ist sein Buch eine Fundgrube.
Stephan Wuthe. „[1][Swingtime in Deutschland]“. Transit Verlag, Berlin
2012, 152 S., 96 Abbildungen, 16,80 Euro.
25 Dec 2012
## LINKS
[1] http://www.amazon.de/Swingtime-Deutschland-Stephan-Wuthe/dp/3887472713/ref=…
## AUTOREN
Alexander Ebert
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Buch
Widerstand
Jazz
KZ
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