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# taz.de -- K.-o.-Tropfen: „Genauso gefährlich wie die Verwendung einer Waff…
> Der Bundesrat will eine Strafverschärfung bei K.-o.-Tropfen. Anja
> Schmidt, Expertin des Deutschen Juristinnenbunds, erklärt, was es damit
> auf sich hat.
Bild: Da K.o.-Tropfen nicht lange nachweisbar sind, müssen betroffene Personen…
taz: Frau Schmidt, das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) hat kürzlich einen
Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht, der härtere Strafen für den
Einsatz von K.-o.-Tropfen vorsieht. Warum?
Anja Schmidt: Der Bundesrat hatte die Bundesregierung im März aufgefordert,
einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Nun hat NRW selbst einen
Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht. Den kann der Bundesrat als
Gesetzentwurf dann dem Bundestag vorlegen.
taz: Aber warum das alles?
Schmidt: Hintergrund ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2024,
die besagt: K.o.-Mittel, ob sie nun als Tropfen oder in Form von Tabletten
verabreicht werden, sind kein gefährliches Werkzeug. Das wiederum heißt,
dass beim Straftatbestand des sexuellen Übergriffs bestimmte
Qualifikationsstufen nicht greifen.
taz: Was heißt das für die Strafbarkeit von K.-o.-Mitteln?
Schmidt: Es ist schon jetzt strafbar, K.-o.-Mittel zum Ermöglichen eines
sexuellen Übergriffs anzuwenden. Das K.-o.-Mittel stellt zudem ein Mittel
zur Überwindung eines Widerstandes dar, so dass Freiheitsstrafen von drei
bis zu 15 Jahren verhängt werden können. Würden K.o.-Mittel aber als
gefährliches Werkzeug gelten, wäre bei ihrer Verwendung der
Mindeststrafrahmen höher: er würde bei fünf und nicht bei drei Jahren
liegen.
taz: Was wäre denn ein gefährliches Werkzeug?
Schmidt: Was wir gewöhnlich unter einem Werkzeug verstehen, ist ein fester
Gegenstand, zum Beispiel ein Hammer. Es muss kein Werkzeug in dem Sinn
sein, dass es in einer Werkstatt zu finden ist – aber es muss fest sein.
Selbst wenn man argumentieren würde, dass K.o-Tabletten fest sind, sagt der
Bundesgerichtshof (BGH): Sie wirken aber aufgrund von Stoffwechselprozessen
innerhalb des Körpers – und nicht von außen. Sie sind deshalb weder Waffe
noch Werkzeug.
taz: Was halten Sie von der Entscheidung des BGH?
Schmidt: Dessen Definition von Werkzeug ist vielleicht nicht zwingend, aber
sie ist nachvollziehbar und sehr gut vertretbar. Das Problem der
Gleichstellung von K.o.-Mitteln mit einem gefährlichen Werkzeug ließe sich
aber über eine Änderung des Paragrafen 177 im Strafgesetzbuch lösen, der
sexuelle Übergriffe, Nötigung und Vergewaltigung unter Strafe stellt – so,
wie es der Gesetzesantrag aus NRW vorschlägt.
taz: Was genau will NRW?
Schmidt: Der Antrag sieht vor, dass Paragraf 177 so ergänzt wird, dass ein
sexueller Übergriff durch die Beibringung von Gift oder anderen
gesundheitsschädlichen Stoffen genauso bestraft wird wie die Verwendung
einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat. Dann würde auch
bei der Gabe von K.o.-Mitteln und anderen betäubenden Substanzen der
Strafrahmen von 5 bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe gelten.
taz: Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Schmidt: Der djb begrüßt diesen Vorschlag. Die Verwendung von K.o.-Mitteln
ist genauso gefährlich wie die Verwendung einer Waffe oder eines
gefährlichen Werkzeugs. Sie werden gezielt eingesetzt, um sexuelle
Übergriffe zu ermöglichen.
taz: Haben K.o.-Mittel eine geschlechtsspezifische Komponente?
Schmidt: Es gibt wenig gesichertes empirisches Wissen zu K.o.-Mitteln. Das
liegt vor allem daran, dass die Personen, die die Mittel verabreicht
bekommen, das oft nicht merken. Oft kommen Fälle zufällig ans Licht oder
dies beruht auf intensiven journalistischen Recherchen, wie bei der
Recherche von Strg F zu Vergewaltigernetzwerken, die sich über den
Messengerdienst Telegram organisieren. Letztere deuten ein erhebliches
Ausmaß des Phänomens an. Wir müssen deshalb vermuten, dass es ein sehr
großes Dunkelfeld gibt. In vielen Fällen, die ans Licht kommen, haben
Männer Frauen vergewaltigt.
taz: Dazu gehört auch der Fall Gisèle Pelicots, die in Frankreich von ihrem
eigenen Mann betäubt und anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten
wurde.
Schmidt: Ja, die Aufdeckung des Falles beruhte aber auf einem Zufallsfund
der Polizei. Für den Nachweis entscheidend waren dort Fotos und Videos, die
ihr Mann von den Vergewaltigungen gemacht hat. Solche Aufnahmen erleichtern
die Nachweisbarkeit immens, sie haben eine Beweiskraft, der man sich nur
schwer entziehen kann. Andererseits handelt es sich gleichzeitig um
bildbasierte sexualisierte Gewalt in ihrer schwerwiegendsten Form. Es ist
wichtig zu sehen, dass die Aufnahmen nicht nur ein gutes Beweismittel sind,
sondern zugleich eine massive Rechtsverletzung. Was Frau Pelicot gemacht
hat – zu sagen, ich will, dass das alle sehen, weil die Scham die Seiten
wechseln muss – ist sehr mutig und hat geradezu etwas Revolutionäres im
Hinblick auf die Umkehr der Scham. Aber natürlich hat jedes Gewaltopfer das
Recht zu sagen: Das kann und will ich so nicht.
taz: Was, wenn eine Person in Deutschland merkt, dass ihr K.o.-Tropfen
verabreicht wurden?
Schmidt: Tatsächlich gibt es ein Problem mit der Beweislage. Die Mittel
sind nicht lange nachweisbar, die betroffenen Personen müssen also recht
schnell merken, dass etwas nicht stimmt und zur Polizei, ins Krankenhaus
oder zur anonymen Spurensicherung gehen. Die wird noch nicht in allen
Bundesländern durch die gesetzliche Krankenversicherung bezahlt. Dann
braucht es Personen bei den Ermittlungsbehörden, die für das Problem
sensibilisiert sind. Die Strafverschärfung ist also wichtig. Genauso
wichtig sind aber Aufklärung und bessere Strukturen.
taz: Was passiert nun mit dem Gesetzesantrag? Wie schätzen Sie die Chancen
ein?
Schmidt: Wenn der Bundesrat ihn als Gesetzesentwurf beschließt, geht er
zunächst an die Bundesregierung, danach mit einer Stellungnahme der
Bundesregierung in das für Gesetzgebungsprozesse vorgesehene
parlamentarische Verfahren im Bundestag. Wie es schon in der Entschließung
des Bundesrates im März zum Ausdruck kam, stimmt mich dabei optimistisch,
dass die Länder hier Handlungsbedarf sehen.
24 Apr 2025
## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
Vergewaltigung
Gewalt gegen Frauen
Frauen
Bundesrat
NRW
Pelicot-Prozess
Vergewaltigung
Hamburg
Schwerpunkt #metoo
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