# taz.de -- Spritzen-Attacken bei Fête de la Musique: Im Stich gelassen | |
> Bei der Fête de la Musique wurden Frauen in Frankreich mit Spritzen | |
> gestochen. Männer riefen online dazu auf. Dass sich Täter sicher fühlen, | |
> hat System. | |
Bild: „Needle-Spiking“: die Opfer sind hauptsächlich Frauen | |
Sexuelle Gewalttäter wähnen sich zu sicher. Nur ein Bruchteil der von ihnen | |
begangenen Straftaten wird zur Anzeige gebracht. Ein noch kleinerer Teil | |
landet vor Gericht. Ein wiederum noch kleinerer Teil der Täter wird | |
verurteilt. Ihre Sicherheit hat System. Der Glaube von Tätern, unantastbar | |
zu sein, manifestiert sich so weit, dass sie ihr Vorhaben sogar öffentlich | |
ankündigen. Zuletzt vergangenes Wochenende in Frankreich. | |
Nach der Fête de la Musique, einem Musikfestival zum Sommerbeginn, haben | |
[1][Mädchen und Frauen landesweit gemeldet, mit Spritzen attackiert worden | |
zu sein]. 145 davon erstatteten deswegen Anzeige. | |
Im Vorfeld hatte es in verschiedenen sozialen Medien Posts von Männern | |
gegeben, in denen sie ankündigten und dazu aufriefen, Frauen bei den Feiern | |
in der Stadt mit Spritzen zu stechen. Welche Substanzen sich in den | |
Spritzen befanden, wird derzeit durch toxikologische Gutachten ausgewertet | |
und ist bisher noch unbekannt. Die Betroffenen litten unter Schwindel, | |
Übelkeit und schmerzhaften Einstichlöchern. | |
Sogenanntes „Needle-Spiking“ gibt es nicht zum ersten Mal in Frankreich – | |
[2][2022 gab es die erste Welle im Land]. Bei einigen Frauen konnte danach | |
GHB, eine Vergewaltigungsdroge, im Blut nachgewiesen werden. Auch in | |
Deutschland meldeten Frauen [3][2022 in einem Berliner Club von | |
Needle-Spiking] betroffen gewesen zu sein. [4][Ausreichende Beweise dazu | |
konnte man nicht feststellen] – was auch daran liegen könnte, dass es | |
schwer ist, GHB nach gewisser verstrichener Zeit im Blut festzustellen. | |
## Vergewaltigungen an Gisèle Pelicot waren online bekannt | |
Die Angriffe bei der Fête de la Musique lassen einen sprachlos zurück. Wie | |
konnte es so weit kommen, obwohl sich potenzielle Täter im Internet zuvor | |
zu erkennen gegeben und ihre Absichten offengelegt hatten? Die Antwort | |
darauf ist: Es konnte sehr leicht so weit kommen. Denn es hat schon | |
gravierendere Gewaltverbrechen an Frauen gegeben, die über die versuchte | |
Betäubung hinausgingen, bei denen sie sich im Internet systematisch selbst | |
überlassen wurden. | |
Der wohl bekannteste Fall ist [5][Gisèle Pelicot]. Auf der Webseite coco.fr | |
– mittlerweile ist die Seite offline – wurde die Französin von ihrem | |
damaligen Ehemann auf seinem offenen Kanal „À son insu“, also „Ohne ihr | |
Wissen“ Männern zum Sex angeboten. Er betäubte sie, vergewaltigte sie und | |
ließ die fremden Männer dasselbe tun. Den Behörden war die Seite bekannt: | |
Drogen- und Waffenhandel, Pädokriminalität, Prostitution und homophobe | |
Gewalttaten organisierten Nutzer auf der Seite. | |
[6][Eine Auswertung von Polizeidaten] ergab, dass zwischen dem 1. Januar | |
2021 und dem 7. Mai 2024 etwa 23.000 Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit | |
der Plattform eingeleitet wurden. Ihre Abschaltung erfolgte im Übrigen | |
nicht durch den Pelicot-Fall, der den Behörden ab 2020 bekannt war, sondern | |
wegen eines [7][homophoben Mordes, der 2024 mithilfe der Seite geschah]. | |
Die hundertfache Vergewaltigung einer Frau war nicht Grund genug. | |
Natürlich ist das kein französisches Problem. „[8][STRG_F“, ein | |
Rechercheformat des NDR, deckte kürzlich ein weltweites | |
Vergewaltigungsnetzwerk auf]. In Gruppen auf der Messengerplattform | |
Telegram gaben sich Männer Tipps darüber, mit welchen Mitteln sie ihre | |
Partnerinnen am erfolgreichsten betäuben können. Danach teilten sie Bilder | |
und Videos der schlafenden Frauen und ihrer Vergewaltigungen. | |
## Weltweites Vergewaltigernetzwerk – für alle zugänglich | |
In einer der Gruppen waren knapp 73.000 Mitglieder, auch aus Deutschland. | |
Auch auf einer Pornografieseite fand „STRG_F“ Täter aus Deutschland, die | |
sich dort vernetzten, Anweisungen und Vergewaltigungsvideos teilten und | |
sich gegenseitig feierten. | |
Den Fall eines Mannes aus Niedersachsen, der seine Frau über 15 Jahre | |
betäubte, die Vergewaltigungen filmte und auf der Seite hochlud, machte das | |
Rechercheteam im Juli 2023 dem Bundeskriminalamt bekannt. Mehr als ein Jahr | |
später und nur auf Nachfrage, nachdem ein neues Video auf seinem Profil | |
erschienen war, begann die Polizei die Ermittlungen. In der Zwischenzeit | |
wurde die Frau etwa alle zwei Wochen von ihrem Mann betäubt und | |
vergewaltigt. Ihr Leid war nicht dringend genug. | |
Alle, die dabei zusahen, haben ohnehin nichts zu befürchten. In Deutschland | |
ist es nicht strafbar, Vergewaltigungsaufnahmen von Erwachsenen zu besitzen | |
oder zu downloaden. Das Bundesjustizministerium sieht auch nicht vor, dies | |
zu ändern. Die Frauen, die darauf abgebildet sind, sind eine | |
Gesetzesänderung nicht wert. Auch die Porno-Seite darf in Deutschland | |
online bleiben. | |
Für Frauen bleibt die Realität grausam: Täter fühlen sich nicht nur sicher. | |
Sie sind es auch. | |
23 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.lemonde.fr/societe/article/2025/06/22/fete-de-la-musique-apres-… | |
[2] https://www.leparisien.fr/faits-divers/piqures-au-ghb-en-soirees-vrai-pheno… | |
[3] https://www.tip-berlin.de/konzerte-party/clubs/needle-spiking-berlin-bergha… | |
[4] https://groove.de/2022/07/14/needle-spiking-in-berliner-clubs/ | |
[5] /Vergewaltigungsprozess-in-Frankreich/!6032713 | |
[6] https://www.tf1info.fr/justice-faits-divers/pedocriminalite-guets-apens-hom… | |
[7] https://www.lemonde.fr/societe/article/2024/04/24/meurtre-de-philippe-coopm… | |
[8] https://www.ndr.de/der_ndr/presse/mitteilungen/STRGF-Undercover-Recherche-u… | |
## AUTOREN | |
Valérie Catil | |
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