| # taz.de -- Kunst über Fotoarchive: „Sich nicht dem Blick verfügbar machen�… | |
| > Die Leipziger Künstlerin Ramona Schacht spricht über ihre Forschung in | |
| > Fotoarchiven zur Bildpolitik bei Textilarbeit in der DDR und im | |
| > Ruhrgebiet. | |
| Bild: Ramona Schacht, Sanfte Hände „o. T.“ (2023). Aus der Serie „PICTUR… | |
| taz: Frau Schacht, Sie machen in Archiven historische Fotodokumentationen | |
| über die Bedingungen von Textilarbeiterinnen in einst sozialistischen | |
| Ländern ausfindig. In Ihren Ausstellungen zeigen Sie dann Ausschnitte der | |
| Archivbilder. Die harte Arbeit der Frauen stellen Sie darauf nicht mehr | |
| dar. Warum gehen Sie so vor? | |
| Ramona Schacht: Es soll eine Irritation ausgelöst werden. Bei den | |
| originalen Fotografien hat mich anfangs verwundert, dass die Frauen so | |
| sanft dargestellt wurden und sehr sensibel mit dem Material umgingen. Das | |
| steht in einem starken Widerspruch zur Realität in den Fabriken. Dort war | |
| es laut, heiß und das Verletzungsrisiko sehr hoch. Die Bilder waren dazu | |
| gedacht, die Produktionskraft der sozialistischen Gesellschaft nicht nur zu | |
| dokumentieren, sondern zu propagieren. | |
| taz: Sie zeigen mit Ihren Bildausschnitten wiederkehrende Gesten der Frauen | |
| in den Fabriken. Welche Bedeutung haben die sich wiederholenden Motive? | |
| Schacht: Als ich angefangen habe, mit den Bildern zu arbeiten, war ich | |
| merkwürdig vertraut mit den Gesten, der Körperhaltung, wie die Frauen | |
| zusammenstanden und agierten. In meinen Bildanalysen geht es um eine | |
| Visualisierung eines typischen weiblichen Habitus im Arbeitskontext. Je | |
| länger ich mich damit beschäftige, desto mehr sah ich aber auch männliche | |
| Blicke auf die abgebildeten Frauenkörper. Die Bilder sind nicht nur | |
| Dokumentationen der Arbeit in der Textilindustrie, es sind Inszenierungen. | |
| Sie dirigieren und verweisen die Protagonistinnen. | |
| taz: Warum haben Sie sich entschieden, die historischen Fotografien | |
| zuzuschneiden und die Arbeiterinnen dadurch zu anonymisieren? | |
| Schacht: Das zielt nicht darauf ab, die Frauen unsichtbar zu machen. | |
| Gesichter dominieren oft unsere Wahrnehmung von Bildern. Indem ich den | |
| Fokus bewusst auf Körperhaltung, Kleidung und Gestik verschiebe, verlagert | |
| sich auch die Wahrnehmung weg von individuellen Biografien und hin zu den | |
| strukturellen Bedingungen, unter denen diese Frauen gearbeitet haben. Es | |
| geht um ein kollektives Erbe weiblicher Erfahrungen und Erinnerungen, das | |
| bis heute unsichtbar geblieben ist. Die Bilder stammen aus institutionellen | |
| und patriarchalen Archiven. Sich nicht dem Blick verfügbar zu machen und | |
| keine lesbare Identität zu haben, kann auch eine Form der Ermächtigung | |
| sein. | |
| taz: Ist auf den Archivfotografien auch sichtbar, dass der | |
| Bekleidungssektor einer der wichtigsten Arbeitgeber für Frauen in der DDR | |
| war? | |
| Schacht: Schon, aber oft als Randnotiz. Ich würde bei jedem Bild immer | |
| fragen, wozu es genutzt wurde. In der Sektion Körper und Produkt sind die | |
| Arbeiterinnen nicht nur Trägerinnen von Produkten, sondern auch Trägerinnen | |
| einer Ideologie. Letztes Jahr habe ich mich mit der Textilindustrie im | |
| Ruhrgebiet auseinandergesetzt. Dort waren fast eine Million Frauen | |
| beschäftigt. [1][Aber in den Archiven sind die Hallen nicht zu sehen,] in | |
| denen sie gearbeitet haben. In den Archiven der ehemaligen sozialistischen | |
| Staaten ist die weibliche Sichtbarkeit dagegen gegeben. | |
| taz: Den Fotografien fügen Sie auch einen Holzkasten mit | |
| überdimensionierten Dias und Glasvitrinen mit Recherchematerial hinzu. | |
| Welche Bedeutung hat das? | |
| Schacht: Während der Archivbesuche, die oft tage- oder wochenlang | |
| andauerten, habe ich einen Handlungsakt wahrgenommen. Die | |
| Archivar*innen stellten mir Boxen auf den Tisch, ich habe die Bilder | |
| durchgesehen und die Archivboxen wieder zurückgestellt. Das hat etwas | |
| Performatives. Ich habe mich nach einiger Zeit gefragt, wer schaut sich die | |
| Geschichten der Frauen nach mir an und wann passiert das? Der | |
| überdimensionierte Diakasten verkörpert die Arbeitsweisen im Archiv, das | |
| Herausholen und das Neuentdecken. Da entsteht immer ein schöner, spannender | |
| Moment. | |
| 11 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Pauline Barnhusen | |
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