# taz.de -- LGBTQIA+ und die neue Bundesregierung: Queere Community fürchtet B… | |
> Vor dem Amtsantritt von Friedrich Merz als Bundeskanzler wächst in der | |
> queeren Community die Verunsicherung. Eins ist klar: Queere Belange haben | |
> keine Priorität. | |
Bild: Es braucht ein deutliches Bekenntnis für die Akzeptanz von queeren Perso… | |
BERLIN taz | „Ufff!“, entfährt es Cami, die in Berlin als Dragqueen | |
auftritt, auf die Frage, wie es um das Sicherheitsgefühl von Queers of | |
Color in ihrem Umfeld steht. „Rassismus und Diskriminierung waren vor der | |
Wahl auch schon präsent“, erzählt sie. „Aber jetzt gehen wir mit dem Gef�… | |
auf die Straße: Bekomme ich Unterstützung, [1][wenn mir etwas passiert]? | |
Und wenn ja, von wem?“ | |
Cami und ihr Umfeld sind mit diesem Gefühl nicht allein. Seit der | |
Koalitionsvertrag von Union und SPD vorliegt, machen sich viele queere | |
Menschen in Deutschland Sorgen. Besonders der zukünftige Kanzler Friedrich | |
Merz wird in der Community mit Argwohn betrachtet. Bei einem TV-Duell vor | |
der Wahl hatte dieser gesagt, die Entscheidung des US-Präsidenten Donald | |
Trump, nur [2][noch zwei Geschlechter anzuerkennen], könne er | |
nachvollziehen. | |
Seit dem 1. November vergangenen Jahres können in Deutschland Menschen | |
ihren Geschlechtseintrag beim Standesamt relativ unkompliziert ändern | |
lassen. Auch die Union hatte im Wahlkampf, ähnlich wie Donald Trump, | |
angekündigt, das [3][Selbstbestimmungsgesetz] wieder abschaffen zu wollen. | |
Ganz so weit kommt es nun nicht. Im Koalitionsvertrag steht nur, man wolle | |
das Gesetz evaluieren. | |
## Im Koalitionsvertrag kommt das Wort Queer nicht mal vor | |
„Der Koalitionsvertrag äußert sich nur vage zu queerpolitischen Themen und | |
vermeidet die Vereinbarung von klaren Vorhaben“, sagt Kalle Hümpfner vom | |
[4][Bundesverband Trans*] auf Anfrage der taz. „Im aktuellen | |
gesellschaftlichen Klima ist das ein falsches Signal. Wir brauchen ein | |
deutliches Bekenntnis für die Akzeptanz von queeren Personen und konkrete | |
Maßnahmen, die Diskriminierung abbauen.“ | |
Auch wenn das Selbstbestimmungsgesetz vorerst erhalten bleibt: Weitere | |
Verbesserungen, die trans Menschen seit Jahren einfordern und von der | |
Ampelkoalition teils angekündigt worden waren, wird es mit der kommenden | |
Regierung wohl nicht geben. | |
So hatte die Ampelkoalition geplant, den Artikel 3 des Grundgesetzes zu | |
ändern und das Verbot von Diskriminierung aufgrund [5][sexueller Identität | |
ins Grundgesetz aufzunehmen]. Die Ampel hätte für diese Grundgesetzänderung | |
aber die Stimmen der Union gebraucht, die das ablehnte. | |
Unklar ist auch, ob es das Amt des:der Queer-Beauftragten, welches unter | |
der Ampel erstmalig eingeführt wurde, weiterhin geben wird. Bisher gibt es | |
zwar keine konkreten Pläne, allerdings hat die CDU angekündigt, einige | |
Beauftragte zu streichen, weil es aktuell zu viele gebe. Der | |
Queer-Beauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann (Grüne) selbst hatte die | |
Befürchtung in einem Interview mit der [6][Siegessäule] geäußert: „Dieses | |
Amt ersatzlos wieder abzuschaffen, wäre eine Kampfansage an die | |
LGBTIQ*-Community.“ | |
## Queere Belange haben wohl keine Priorität | |
Clara Thoms vom Vorstand der Lesbenberatung in Berlin sagt: „Wenn es das | |
Amt nicht mehr geben sollte, wäre das ein klares symbolisches Signal, dass | |
queere Anliegen in der Agenda der neuen Bundesregierung keine Priorität | |
haben.“ Unklar sei daher auch, ob und wie queere Verbände und Vereine in | |
Zukunft gefördert werden. Im vergangenen Jahr gab es vor allem in Berlin, | |
wo viele Verbände angesiedelt sind, Kürzungen im kulturellen und sozialen | |
Bereich. | |
„[7][Queeren Initiativen und Vereinen Gelder zu streichen,] trocknet der | |
Zivilgesellschaft den Boden aus“, warnt Kalle Hümpfner vom Bundesverband | |
Trans*. Und Thoms warnt: „Besonders besorgniserregend ist für uns, dass vor | |
allem Organisationen, die sich für marginalisierte Gruppen einsetzen – wie | |
zum Beispiel queere Menschen of Color, die gleichzeitig mit Rassismus und | |
intersektionaler Diskriminierung konfrontiert sind – als Erste von | |
Kürzungen betroffen sein könnten.“ | |
Vereine hingegen, die größer sind und länger etabliert, müssten sich um | |
ihre Finanzierung weniger Gedanken machen. Queere Personen, die von | |
Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, seien daher aktuell besonders | |
gefährdet. | |
Das spürt auch Dragqueen Cami und ihr Umfeld: „Auch der Umgang der Polizei | |
mit uns ist härter geworden. Auf Demonstrationen kam es schon vor, dass wir | |
unsere Meinung kundtun und Repression erleben. Das macht uns Angst.“ | |
Es ist also nicht nur die neue Bundesregierung, die queeren Menschen Sorgen | |
bereitet, sondern auch das gesellschaftliche Klima. Der aktuell hohe Druck | |
auf queere Menschen wächst auch, weil „Transfeindlichkeit als | |
Brückenideologie fungiert“, konstatiert Utan Schirmer. Als Soziologe | |
forscht er schon lange im Bereich der Trans Studies. | |
## Trans Menschen entscheiden sich, weniger sichtbar zu sein | |
Autoritär-rechte, fundamentalistisch-christliche sowie sich selbst als | |
„gender-kritisch“-feministisch verstehende Gruppen (auch bekannt als trans | |
excluding radical feminists oder TERFs) hätten sowohl auf Social Media als | |
auch offline dazu beigetragen, dass „nicht nur die konkrete Gewalt gegen | |
sie gestiegen ist, sondern auch die Sichtbarkeit von trans Lebensweisen | |
abnimmt“, so Schirmer weiter. Es sei jetzt schon zu beobachten, dass mehr | |
und mehr trans Personen sich entscheiden, weniger offen mit ihrem trans | |
Sein umzugehen. | |
„Das hat unter anderem den Effekt, dass Kinder weniger trans Vorbilder | |
haben.“ Trans Menschen würden als Ausnahme von der Norm betrachtet, als | |
kleine Minderheit, die gesetzliche Regelungen benötigt, um ihre Identität | |
anerkennen zu lassen. Schirmer schlägt vor, den Geschlechtseintrag für alle | |
Menschen bei der Geburt zunächst offenzulassen oder ihn ganz abzuschaffen. | |
Auch im Selbstbestimmungsgesetz der Ampelkoalition erkennt Schirmer die | |
Logik, trans Menschen als Ausnahme von der Norm zu begreifen: „In den | |
Begründungen und Erläuterungen des Gesetzes wird immer wieder betont, dass | |
sich damit lediglich für eine sehr kleine Minderheit etwas ändert, während | |
die grundsätzliche Verfasstheit von Geschlecht vollkommen unberührt | |
bleibt.“ | |
Der als cis geschlechtlich vorgestellten Mehrheit werde versichert: „Für | |
euch ändert sich rein gar nichts.“ Diese Botschaft würde durch verschiedene | |
Gesetzesparagrafen, wie etwa den zum Hausrecht, verstärkt. Der dort | |
enthaltene Hinweis, dass das Hausrecht beim Zugang zu Einrichtungen und | |
Räumen unberührt bleibe, sei eigentlich überflüssig. | |
Damit würde aber signalisiert, dass die vermeintlichen Sorgen von cis | |
Menschen ernst genommen würden und ihre Entscheidungsmacht bekräftigt | |
werde. Die berechtigten Sorgen von trans Menschen, bei Zugängen | |
diskriminiert zu werden, würden hingegen nicht adressiert. | |
## Das Selbstbestimmungsgesetz: ein Erfolg, aber ausbaufähig | |
Trotz aller Kritik: Für das Selbstbestimmungsgesetz haben queere | |
Initiativen lange gekämpft, auch gegen Desinformationskampagnen. Etwa sechs | |
Monate nach der Einführung gebe es für das Gesetz große Zustimmung in der | |
Zivilgesellschaft, so Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans. Doch auch | |
Hümpfner mahnt weitere notwendige Verbesserungen an. So müsse das | |
Abstammungsgesetz reformiert werden. | |
Bisher wird beispielsweise bei lesbischen Paaren nur die Person als Mutter | |
in die Geburtsurkunde eingetragen, die das Kind geboren hat. Die zweite | |
Person muss eine Adoption durchlaufen, um rechtlich anerkannt zu werden. | |
Aus trans Perspektive sei das Abstammungsrecht doppelt belastend, erklärt | |
Kalle Hümpfner. Trans Männer und nichtbinäre Personen, die ein Kind | |
gebären, werden trotz geändertem Geschlechtseintrag als Mutter eingetragen. | |
Umgekehrt verhält es sich auch bei trans Frauen oder nichtbinären Personen, | |
die ein Kind gezeugt haben. Dies würde auch im Alltag immer wieder zu | |
Problemen führen, so Hümpfner. Auch bei dem Thema Gesundheitsversorgung | |
gibt es Nachholbedarf. | |
## Deutschland ist kein sicherer Hafen mehr für Queers | |
Noch immer ist die Kostenübernahme für medizinische Behandlungen bei | |
nichtbinären Personen nicht geregelt. Binären trans Personen droht oft ein | |
langer juristischer Weg, bis Kosten übernommen werden. | |
Pessimistisch schaut auch Cami in die Zukunft: „Vor ein paar Monaten haben | |
wir besorgt in die USA geschaut, aber mittlerweile sage ich zu queeren | |
Freund:innen, die nach Deutschland kommen wollen, tut es besser nicht …“ | |
16 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Gewalt-gegen-queere-Personen-bleibt-hoch/!6052033 | |
[2] https://www.rnd.de/politik/friedrich-merz-und-das-dritte-geschlecht-wo-die-… | |
[3] /Selbstbestimmungsgesetz-tritt-in-Kraft/!6046447 | |
[4] https://www.bundesverband-trans.de/ | |
[5] https://www.lsvd.de/de/ct/1825-Ergaenzung-von-Artikel-3-im-Grundgesetz-um-q… | |
[6] https://www.siegessaeule.de/magazin/sven-lehmann-der-aktionsplan-queer-lebe… | |
[7] https://schwulissimo.de/neuigkeiten/queere-budgetkuerzungen-verbaende-entse… | |
## AUTOREN | |
Raweel Nasir | |
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