# taz.de -- Linder-Retrospektive in London: Das Montierte unterbricht den Zusam… | |
> Gründerin der Post-Punk-Band Ludus: Linder, der Künstlerin der | |
> radikalfeministischen Fotomontage, gilt eine Retrospektive in der | |
> Londoner Hayward Gallery. | |
Bild: Aus Lindners Serie She/She von 1981 | |
Wenn „Orgasm Addict“, die Debutsingle der englischen „Buzzcocks“ von 19… | |
bis heute im subkulturellen Gedächtnis haftet, dann nicht wegen des eher | |
gängigen Punksounds oder weil die BBC den Song sexueller Eindeutigkeiten | |
halber nicht spielte – sondern wegen des Covers. | |
Erst letztes Jahr in der großen „Postmoderne“-Ausstellung der Bonner | |
Bundeskunsthalle gezeigt, ist auf dem Cover ein Motiv zu sehen, das | |
aufgrund seiner Fotomontage-Machart auf dem Höhepunkt der (britischen) | |
Punkbewegung den Bogen nicht nur zurück zum Dadaismus spannte, sondern auch | |
ein so konsumkritisches wie radikalfeministisches Statement setzte. | |
Abgebildet ist ein nackter Frauenkörper von der Hüfte aufwärts, die | |
Brustwarzen durch lächelnde, als weiblich gelesene Münder ersetzt. Der | |
angedachte Blick auf die erogenen Zonen ist so einkassiert und eine | |
einfache Auflösung dieses Bildrätsels umso mehr verunmöglicht, als die | |
Person statt eines Kopfes ein Dampfbügeleisen auf dem Hals trägt. „Collage | |
– Linder“ ist klein neben dem Körper zu lesen. | |
Linda Sterling, die Urheberin des Bildes, war damals nicht nur mit dem | |
gerade aus den Buzzcocks ausgestiegenen Howard Devoto liiert, sondern | |
selbst kurz davor, ihre eigene, schroff, sperrig und jazzbeeinflusst | |
spielende Post-Punk-Band „Ludus“ (1978–84) zu gründen. Geboren 1954 in | |
Liverpool, begann Sterling 1976, nach drei Jahren an der Kunsthochschule in | |
Manchester, Pin-up-Fotomotive aus den seinerzeit notorischen | |
„Herrenmagazinen“ mit technischen Errungenschaften des Spätkapitalismus zu | |
kreuzen. | |
## Hommage an Fotomontage-Vorbilder | |
Statt Köpfen tragen die Nacktmodelle einen Staubsauger, einen E-Herd, eine | |
Wasch- oder eine Nähmaschine. Zu dieser Zeit hatte sich Sterling als | |
Hommage an ihre Fotomontage-Vorbilder wie Hannah Höch oder John Heartfield | |
bereits den zudem genderneutralen, deutsch klingenden Künstlerinnennamen | |
„Linder“ gegeben – für die englische Nachkriegszeit zwar untypisch, in d… | |
Post-Punkszene Manchesters aber durchaus trendy. | |
Seit dieser Zeit mit einem gewissem Kultstatus versehen, ist nun erstmals | |
in London eine Retrospektive der Künstlerin zu sehen. Dabei fällt auf, dass | |
die nach einem Ludus-Titel benannte Show „Linder: Danger Came Smiling“ in | |
der Hayward Gallery jeglichen Punk-Retro-Gestus vermeidet. Alles hängt gut | |
gerahmt und etwas zu ordentlich oder wird, wie die an Aubrey Beardsley | |
erinnernden Coverzeichnungen für Ludus, die Fotomontagen-Flyer für Joy | |
Division oder die surrealistisch wirkenden Monotypie-Köpfe für Devotos | |
spätere Band Magazine, museal in Vitrinen präsentiert. | |
Die Entwicklung von Linders Ideen und den damit verbundenen Werkreihen von | |
den 1970ern bis zu den Arbeiten von 2024 zeigt das chronologisch | |
konzipierte Ausstellungsformat dabei jedoch allemal. Da sind diese frühen | |
Fotomontagen, zusammengesampelt aus Pornografie-, Haushalt- und | |
Technikmotiven, damals gängige Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität, | |
gleichermaßen dekonstruierend wie transformierend. | |
Man denkt dabei an Walter Benjamins Satz, nach dem das Montierte den | |
Zusammenhang unterbricht, in welchen es montiert ist und erinnert sich | |
teils an feministische Fotomontagen von Martha Rosler, teils an spätere | |
[1][Fotoarbeiten von Lynn Hershman Leeson] wie auch an die jüngere | |
Collagewelle, bei der Künstlerinnen wie Riikka Fransila Ideen Linders | |
aufgriffen – und dabei oft entpolitisierten. Und da sind die Fotomontagen | |
der jüngsten Jahre, gefälliger, aber versierter und nicht „ungefährlicher�… | |
[2][das Florale] und Tierische hat das Technische ersetzt. | |
## Legendärer Ludus-Auftritt | |
Dazwischen einige Fotoreihen: [3][Man sieht Morrissey] backstage – mit dem | |
späteren The-Smiths-Sänger ist Linder seit 1976 befreundet (in „Cemetry | |
Gates“ singt Morrissey von ihr). Man sieht geradezu anrührende Fotos, die | |
die Künstlerin in den 1970ern in Drag-Clubs in und um Manchester | |
aufgenommen hat, oder die ikonische Text- und Bildserie „She/She“ von 1981, | |
in der Linder ihr eigenes Gesicht mit einem Zeitschriftenausriss | |
collagierte. Das ist auch als Performance ihrer Aussage zu verstehen, nach | |
der sie sich immer selbst wie ein gefundenes Objekt behandelt habe. | |
Und da ist dann noch das Video von dem legendären Ludus-Auftritt 1982 im | |
Hacienda-Club in Manchester, bei dem Linder, aus Protest gegen | |
Pornoscreenings am selben Ort, ein Kleid aus rohem Fleisch und darunter | |
einen großen Dildo trug. Das war nur ein paar Monate, bevor sich Cath | |
Johnson für ein LP-Cover der „Undertones“ ebenfalls in einem Dress aus | |
rohem Fleisch ablichten ließ, aber 28 Jahre bevor es Lady Gaga mit der | |
gleichen Idee in die Weltpresse schaffte. | |
31 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Martin Conrads | |
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