| # taz.de -- Leaks bei Onlyfans: Wenn Bilder zur Beute werden | |
| > Für Erotikbilder bei Onlyfans muss man eigentlich bezahlen, doch es | |
| > werden systematisch Inhalte geklaut. Davon betroffen sind Models wie | |
| > Bonny Lang. | |
| Bonny Lang wirkt wie eine Frau, die genau weiß, was sie will. Auf jedem | |
| ihrer Instagram-Fotos blickt die 29-jährige Kölnerin stolz und | |
| selbstbewusst in die Kamera. „Ich liebe es einfach, Fotos zu machen“, sagt | |
| sie. | |
| Auf Social Media könne sie sich in verschiedenen Posen und Outfits zeigen. | |
| Abwechselnd trägt sie auf Fotos für ihre Instagram-Seite dunkelrote, | |
| blonde, blaue oder grüne Haare, zeigt sich sexy und verspielt in | |
| Unterwäsche vor bunten Luftballons oder im Bikini am Strand. | |
| Bonny Lang ist das, was man in der Vergangenheit [1][als Erotikmodel | |
| bezeichnet hätte]. Nur dass ihre Fotos nicht in Magazinen an der Tankstelle | |
| zu finden sind, sondern im Internet – auch auf der Plattform Onlyfans. | |
| Sichtbar für jeden, der dafür bezahlt. Im Internet viel nackte Haut zu | |
| zeigen, ist Langs Job. Ihre Fans bewundern und begehren sie dafür. | |
| Eigentlich ist sie gelernte Zerspanungsmechanikerin. Früher war es ihr Job, | |
| Bauteile für Maschinen und Motoren herzustellen. Glücklich habe sie das | |
| nicht gemacht, erzählt sie bei einem Gespräch am Telefon. Im Jahr 2019, mit | |
| 23, fängt sie an, sich in den sozialen Netzwerken eine Karriere aufzubauen | |
| – zunächst bei den öffentlichen Plattformen. Im Jahr 2020 [2][stößt sie a… | |
| die Website Onlyfans], lädt dort ihren Content hoch und verdient schnell | |
| viel Geld. „Schon im ersten Monat habe ich mir gedacht: Das ist etwas, was | |
| ich hauptberuflich machen will.“ | |
| Seit 2021 ist Bonny Lang – das ist ihr bürgerlicher Name – ein Unternehmen: | |
| „Bonnytagesbrise“. 28.500 Abonnent:innen hat sie auf Onlyfans, monatlich | |
| verdient sie zwischen 15.000 und 20.000 Euro. Websites wie Onlyfans sind | |
| ihre Haupteinnahmequelle. Als Berufsbezeichnung wählt sie Content-Creatorin | |
| – wie viele Frauen auf Onlyfans. Manche Creator:innen auf der Plattform | |
| sehen sich auch als Sexarbeiter:innen, andere als Künstler:innen. Onlyfans | |
| funktioniert wie viele andere soziale Netzwerke, aber mit dem Unterschied, | |
| dass man für die Inhalte zahlen muss. Auch ist hier mehr Nacktheit erlaubt | |
| als auf den gängigen Social-Media-Plattformen. | |
| Weil Onlyfans ein Geschäftsmodell ist, bei dem es um sensible Inhalte geht, | |
| werden Fotos und Videos besonders geschützt, Onlyfans gibt vor, „die | |
| sicherste Plattform der Welt“ zu sein. In der Theorie verhindert | |
| beispielsweise eine Funktion, dass Bildschirmaufnahmen angefertigt werden, | |
| in den Nutzungsbedingungen gibt die Plattform an, dass jeglicher Diebstahl | |
| verboten ist. | |
| ## Durchschnittsverdienst 170 Euro | |
| In der Praxis jedoch wird massenhaft Content geklaut und weiterverkauft. | |
| Für Betroffene ein großer finanzieller Schaden – und ein emotionaler. | |
| Expert:innen sprechen gar von „bildbasierter sexualisierter Gewalt“. | |
| Auch Bonny Lang und viele weitere Creatorinnen, mit denen wir für diesen | |
| Text gesprochen haben, sind vom Daten- und Bilddiebstahl betroffen. Ihr | |
| Content, nur für zahlende Fans bestimmt, wurde und wird ohne ihre | |
| Zustimmung weiterverbreitet. Sie kursieren als Leaks – auf Seiten, von | |
| denen überwiegend Männer profitieren. | |
| Einige haben daraus ein Geschäftsmodell entwickelt. Sie verbreiten die | |
| gestohlenen Inhalte so systematisch, dass den Creator:innen oft nichts | |
| anderes übrig bleibt, als selbst aktiv zu werden – und dabei auf Firmen | |
| zurückzugreifen, die sich darauf spezialisiert haben, solche Leaks wieder | |
| aus dem Netz zu entfernen. Es ist ein ständiges Tauziehen um Content, der | |
| eigentlich nur ihren Urheber:innen gehört. | |
| Onlyfans hatte seinen Durchbruch im Jahr 2020, als viele | |
| Sexarbeiter:innen nach kontaktlosen Verdienstmöglichkeiten suchten – | |
| und viele Menschen im Lockdown nach Intimität. Stars und Privatpersonen | |
| können sich auf der Website ihre eigenen Kanäle einrichten, individuelle | |
| Inhalte hochladen, mit Fans chatten und vor allem: einen eigenen Preis für | |
| all das festlegen. | |
| Die Einnahmen variieren stark. Während Prominente wie die Schauspielerin | |
| Bella Thorne Millionen mit Onlyfans machen, [3][liegt der | |
| Durchschnittsverdienst bei nur etwa 170 Euro im Monat]. | |
| Die Plattform selbst finanziert sich über eine Provision. 20 Prozent ihrer | |
| Einnahmen müssen Creator:innen abdrücken. 2023 flossen fast 6,4 | |
| Milliarden Euro in Abonnements – [4][davon gingen rund 1,2 Milliarden Euro | |
| an die Plattform selbst]. Onlyfans ist Marktführer in seinem Segment. | |
| Nach nur wenigen Monaten auf der Plattform hört Bonny von einem zahlenden | |
| Fan, dass er ein erotisches Bild von ihr anderweitig im Internet gefunden | |
| habe. „Da ist mir erst bewusst geworden: Die Leute, die Geld für meine | |
| Bilder ausgeben, die können ja das Bild auch gegen meinen Willen | |
| veröffentlichen“, erzählt sie. Das habe bei ihr große Ängste ausgelöst. | |
| Insbesondere, was mögliche finanzielle Verluste angeht. | |
| „Es gibt viele Leute, die mich und meinen Job wirklich sehr hassen. Die | |
| mich in sozialen Netzwerken beleidigen und beschimpfen“, erzählt sie. | |
| „Viele sagen auch, dass wir Creatorinnen die ‚armen Männer ausnutzen‘; | |
| viele finden es unfair, dass wir ihrer Meinung nach mit so wenig Aufwand | |
| ‚so viel Geld‘ machen, dass wir es ‚verdienen‘, dass unser Content ande… | |
| veröffentlicht wird.“ | |
| Die Leaks nehmen den Frauen die Kontrolle über ihre Inhalte. Ohne ihr | |
| Einverständnis zerren sie sie in die Online-Öffentlichkeit, gefährden ihre | |
| Einnahmen und verletzen ihre Privatsphäre massiv. Diese Erfahrungen teilen | |
| viele aus der Branche. | |
| Charlotte, eine dänische Creatorin, sagt über die Folgen: „Ich fühle mich | |
| verletzt. Die Veröffentlichung meiner Inhalte zwang mich, meinen Lieben von | |
| Onlyfans zu erzählen, lange bevor ich dazu bereit war“, sagt sie. „Und ich | |
| denke oft darüber nach, was das für meine Zukunft bedeutet. Wenn ich eines | |
| Tages wieder einen ‚normalen‘ Job haben möchte … Was passiert, wenn meine | |
| Arbeitgeber meinen Namen googeln?“, sagt sie. Charlotte hat ihren echten | |
| Namen im Netz oft an ihren Künstlernamen gebunden. | |
| ## „Bildbasierte sexualisierte Gewalt“ | |
| Die deutsche Creatorin Leyla, auf Instagram als leyla.heart.xx bekannt, | |
| geht offen mit ihrem Job um, ihre Familie kennt ihre Karriere bei Onlyfans. | |
| Trotzdem will sie nicht, dass Bekannte ihren Künstlernamen googeln und | |
| Nacktbilder von ihr finden können: „Dass meine Familie, mein Vater, mein | |
| Bruder das direkt als Erstes bei Google finden, das ist für mich schon eine | |
| harte Nummer“, sagt sie. | |
| Für manche dringt ihre Tätigkeit auf Onlyfans durch die Leaks in ihr reales | |
| Leben ein: „Wenn ich etwas trinken gehe, habe ich wirklich Angst, dass mich | |
| jemand an meinen Onlyfans-Leaks erkennt“, sagt Natasha, eine Creatorin aus | |
| einer dänischen Kleinstadt. „Ich bin schon von Männern angemacht worden, | |
| nur weil sie meine Inhalte gesehen haben. Sie denken, dass ich leicht ins | |
| Bett zu kriegen bin, weil ich explizite Sachen mache.“ Ohne die Leaks hätte | |
| Natasha selbst entschieden, was sie zeigt und wem. | |
| Wer zahlt schon für etwas, das er umsonst haben kann? „Viele entdecken zum | |
| Beispiel eine Creatorin auf Instagram, sehen den Link zu Onlyfans oder | |
| Maloum und überlegen, ein Abo zu kaufen“, erklärt der Geschäftsführer von | |
| Maloum, einer österreichischen Plattform, die ähnlich wie Onlyfans | |
| funktioniert, aber kleiner ist. „Eigentlich würden sie das Abo bezahlen, | |
| aber wenn sie den Inhalt auch woanders finden, konsumieren sie ihn so“, | |
| sagt er. | |
| Onlyfans beteuert, man nehme Piraterie „sehr ernst“. „Wir wollen deutlich | |
| machen, dass alle Nutzer unsere Nutzungsbedingungen akzeptieren. Sie müssen | |
| sich innerhalb der grundlegenden Grenzen des internationalen Urheberrechts | |
| bewegen“, heißt es in der Stellungnahme weiter. Laut seinen | |
| Transparenzberichten fordert das Unternehmen jedes Jahr die Entfernung | |
| Tausender gestohlener Inhalte – aber das reicht nicht aus. | |
| Seit Mai 2024 verpflichtet das deutsche Digitale-Dienste-Gesetz | |
| Plattformen, rechtsverletzende Inhalte zu entfernen. Damit setzt | |
| Deutschland die EU-Regelungen zu digitalen Diensten um. Ähnliche Gesetze | |
| gibt es weltweit, darunter das bekannte US-amerikanische Digital Millennium | |
| Copyright Act (DMCA). | |
| Doch trotz dieser gesetzlichen Regelungen bleibt der Schutz der Betroffenen | |
| oft unzureichend, besonders im Bereich des digitalen Missbrauchs. Miriam | |
| Michaelsen, eine dänische Rechtsanwältin und Expertin [5][auf dem Gebiet | |
| der digitalen Gewalt] und Belästigung, bezeichnet | |
| Onlyfans-Content-Diebstahl als „bildbasierte sexualisierte Gewalt“. | |
| Die Anwältin sagt: „Meiner Meinung nach haben die Creator:innen von | |
| Onlyfans Anspruch auf den gleichen Schutz wie die Opfer von sexualisierter | |
| Gewalt durch Bilder. Aber das ist im wirklichen Leben nicht der Fall.“ | |
| Denn: „Wenn ich mit der Polizei darüber spreche, sehen sie diese Art von | |
| Fällen anders. Sie prüfen, ob das Opfer das Risiko kannte und dieses Risiko | |
| in Kauf genommen hat“, erklärt sie. | |
| Aber wie ist es trotz Schutzmaßnahmen möglich, dass Content in so großem | |
| Umfang weiterverbreitet wird? | |
| Auf der Suche nach Antworten stößt man schnell auf detaillierte | |
| Anleitungen, die beschreiben, wie die Schutzmechanismen von Onlyfans | |
| umgangen werden können. Und Hinweise zu spezieller Software, mithilfe derer | |
| sich große Datenmengen unter Umgehung des Diebstahlschutzes herunterladen | |
| lassen. | |
| Die durchgesickerten Bilder haben in Internetforen einen regelrechten | |
| Tauschrausch ausgelöst. Bei Reddit etwa postet ein User das Bild einer | |
| Creatorin. Darauf sitzt diese, leicht bekleidet mit Netzstrumpfhose und | |
| Lederstiefeln, die Haare zu zwei verspielten Zöpfen gebunden, mit | |
| gespreizten Beinen auf dem Boden und blickt verlegen nach unten. In der | |
| rechten unteren Ecke steht ihre Onlyfans-URL. | |
| Dazu fragt der User, der mehr Inhalte der Creatorin abseits der | |
| Onlyfans-Paywall sehen will, die Community: „Hat wer was von ihr?“ Darunter | |
| sammeln sich Antworten, es meldet sich jemand mit dem Nutzernamen Creepy | |
| **: „Moin, habe viele Nudes von ihr. Würde sie tauschen.“ | |
| Bonny Lang berichtet uns außerdem, wie auf der Internetplattform Discord | |
| Geld mit ihren Bildern gemacht wird. Dort habe sie entsprechende „Server“ �… | |
| so etwas wie Gruppen – gefunden. „Wenn man dem Serverbesitzer erst mal fünf | |
| oder zehn Euro per Paypal schickt, kann man Inhalte verschiedener | |
| Creator:innen freischalten.“ | |
| Bei unserer Recherche haben wir zudem Telegram-Gruppen gefunden, in denen | |
| man nach ähnlichem Prinzip wie auf Discord Onlyfans-Inhalte kaufen kann. | |
| Manche werben sogar damit, dass man sich Creator:innen „wünschen“ kann. | |
| In einem Forum stoßen wir auf Bonny Langs Inhalte. Wir finden sieben ihrer | |
| Bilder, einige in Unterwäsche, andere in knappen Oberteilen. Das Ganze | |
| trägt den Titel „Best OnlyFans Leaks“. Veröffentlicht im März 2023. | |
| Darunter steht: „[OnlyFans.com] Bonny Lang Collection – Pack“. Und ein | |
| Link, um es gegen eine kleine Gebühr herunterzuladen. | |
| Das „Pack“ verspricht 39 Clips und 778 Bilder – fast die Hälfte der Foto… | |
| die Bonny auf ihrer Onlyfans-Seite veröffentlicht hat. Die angeblichen | |
| Leaks konnten allerdings nicht mehr aufgerufen werden – offenbar wurden sie | |
| wieder gelöscht. | |
| Doch der Nutzer ist weiterhin sehr aktiv. An einem Tag macht er bis zu zehn | |
| Posts – meistens betitelt als „Onlyfans Leaks“. Die neueren Links führen | |
| zu offenbar existierenden Dateien, die sich hinter einer Paywall verbergen | |
| – allerdings nicht der von Onlyfans. | |
| Stattdessen schützt die Paywall den Zugang zu einem sogenannten Filehoster. | |
| Solche Systeme begegnen uns oft bei Leaks auf Telegram oder in Foren. | |
| Filehoster funktionieren ähnlich wie Dropbox: Nutzer laden Dateien hoch und | |
| teilen sie mit anderen. Der Unterschied: Wer größere Dateien herunterladen | |
| oder auf alle Inhalte zugreifen will, muss zahlen. Hat man einmal ein Abo, | |
| erhält man über weitere Links Zugriff auf noch mehr Inhalte im | |
| Onlinespeicher. | |
| Die Links zu Bonny Langs Inhalten sind ein Beispiel für eine Masche; ein | |
| gut organisiertes Netzwerk von Leakern, ein stabiles Geschäft, das mit | |
| gestohlenen, illegalen und teilweise gewalttätigen Inhalten aller Art Geld | |
| verdient – und nun das für sein tägliches Brot systematisch vom | |
| Onlyfans-Content abzapft. | |
| „1. Lade alle Videos des Models von ihrer Onlyfans-Seite herunter. 2. | |
| Erstelle eine Mini-Übersicht ihrer Videos. 3. Poste diese Übersicht in | |
| deinem Telegram-Kanal und verlinke den Ordner mit allen ihren Videos.“ – | |
| Das ist eine Anleitung aus einem Telegram-Kanal einer dubiosen | |
| Internetfirma. Wie man die Schutzmechanismen von Onlyfans umgeht, lässt | |
| sich zusätzlich leicht ergoogeln. | |
| Unter der Anleitung findet man die unkonkrete Andeutung, dass man auf diese | |
| Weise „nicht nur 200 Dollar und auch nicht 2.000 Dollar“ verdienen könne, | |
| sondern offenbar mehr. Solche Anleitungen wiederholen sie in den von ihnen | |
| erstellten Youtube-„Kursen“, in denen sie andere anleiten, erotische | |
| Inhalte zu stehlen, und zeigen, wie sich damit Geld verdienen lässt. | |
| Diese Gruppe beobachtet aktuell der dänische Ermittler für | |
| Cyberkriminalität und Digitalanalyst Christian Skettrup. Der Ermittler | |
| arbeitet in einer Anwaltskanzlei, die Opfern von sexualisierter Cybergewalt | |
| hilft, zu denen manchmal auch Onlyfans-Creator:innen gehören. | |
| ## Tauschbörse Telegram | |
| Er ist auch Mitglied der Sondergruppe der EU-Kommission, die einen | |
| Verhaltenskodex für die sichere Gestaltung des Internets für Kinder | |
| erarbeitet. Skettrup warnt uns davor, den Firmennamen zu erwähnen, um | |
| Nachahmer zu verhindern. Auf diese Bedenken stoßen wir bei der Recherche | |
| öfter. Deshalb nennen wir das Unternehmen „Firma P“. | |
| Die 2012 gegründete Firma P. arbeitet mit Hunderten Leakern, genannt | |
| „Partnern“, sowie mit den Online-Speicherdiensten, den Filehostern, | |
| zusammen. Die „Partner“ laden das illegal erworbene Material auf die | |
| Filehoster und verbreiten die Links zu diesen Dateien im Netz. Jedes | |
| abgeschlossene Abo bringt der Firma P. regelmäßige Einkünfte und den | |
| „Partnern“ eine Gewinnbeteiligung. | |
| Je mehr gestohlene Inhalte sie verbreiten, desto höher der Verdienst der | |
| „Partner“. Firma P. bietet den Leakern für ihre „Partnerschaft“ | |
| Speicherplatz, technischen Support und vor allem: Anonymität. Denn die | |
| Leaker können auf Wunsch in Kryptowährungen bezahlt werden. Und für die | |
| Teilnahme am System reicht eine einfache E-Mail-Adresse. | |
| Die Methode von Firma P. funktioniert so: Zwischen dem Hochladen und jenem | |
| Moment, in dem die Fotos als illegaler Content gemeldet werden, entsteht | |
| ein Zeitraum, in dem die „Partner“ die Bilder verkaufen können. | |
| Sie stellen massenhaft gestohlenes Material online und kassieren ab, bis | |
| die Urheber:innen es entdecken und entfernen lassen – manchmal werden | |
| die gestohlenen Inhalte auch gar nicht gemeldet. Indem Firma P. aber auf | |
| Beschwerden wegen Missachtung des Urheberrechts reagiert, umgeht das | |
| Unternehmen rechtliche Konsequenzen. Wie am Fließband laden die „Partner“ | |
| ständig einfach neues gestohlenes Material hoch. | |
| Zum Austauschen und Vernetzen haben die „Partner“ der Firma P. zwei offene, | |
| russischsprachige Telegram-Chatgruppen mit je 400 und 1.000 Teilnehmern und | |
| ein englischsprachiges Forum. Die Teilnehmer der Chatgruppen tragen – mit | |
| wenigen Ausnahmen – meist männliche Vornamen wie Dimitry oder Alexander | |
| oder maskulin klingende Spitznamen wie „Poseidon“ oder „Mister Black“. | |
| In einem der Chats teilt einer der Leaker einen Screenshot, der angeblich | |
| seinen Telegram-Kanal zeigt – einen, auf dem man gegen Geld Content von | |
| Creatorinnen „anfordern“ kann. Der Kanal hat über 16.000 Mitglieder. Und | |
| die Anfragen kommen im Minutentakt: | |
| 01:14 Uhr: „/request Annabellaz | |
| 01:15 Uhr: „/request Yogagirlxx | |
| 01:17 Uhr: „/request Amorehh (Nutzernamen geändert, d. Red.) | |
| Die anderen im Chat reagieren sofort mit Feuer-Emojis. | |
| In der Telegram-Gruppe tauschen sich die Mitglieder lebhaft über den Aufbau | |
| von Websites, die Erstellung von Telegram-Kanälen, VPNs, neue Trends wie | |
| Onlyfans und technische Herausforderungen aus. | |
| Sie teilen How-tos, klagen über die Beschwerden der Rechteinhaber:innen, | |
| motivieren sich gegenseitig oder streiten auch mal. Immer wieder fällt das | |
| Wort „Piraten“ als Selbstbezeichnung. | |
| Die Firma Rulta aus Estland, die solche Leaks im Auftrag von | |
| Creator:innen entfernt, kennt die Firma P. sehr gut. „Wir haben sie | |
| schon oft gemeldet“, heißt es von dort. „Sie gehen auf Beschwerden nach dem | |
| Urheberrechtsgesetz ein“, deshalb würden sie wahrscheinlich nicht verklagt | |
| und abgeschaltet. | |
| Und die „Partner“ kennen Rulta: Als Kommentar auf den beschriebenen | |
| Telegram-Kanal mit den 16.000 Followern schreibt ein Nutzer: „Wenn man so | |
| was sieht, begreift man, dass Rulta keine Chance hat.“ | |
| Dass viele Inhalte irgendwann gelöscht werden, ist einkalkuliert – so auch | |
| die Bußgelder, die das Verbreiten illegaler Inhalte gelegentlich nach sich | |
| zieht. Die Firma P. hat dafür sogar ein Absicherungssystem, bei dem alle | |
| Partner einen Teil ihrer Verkäufe in einen gemeinsamen Topf einzahlen, den | |
| die Firma P. bei größeren Strafen anzapft. | |
| Um mehr über das Unternehmen P. zu erfahren, kontaktieren wir verdeckt den | |
| russischsprachigen Support. Der Mann am anderen Ende hat eine | |
| Anonymous-Maske als Profilbild. Wir stellen ihm allgemeine Fragen zum | |
| Ablauf. | |
| ## Die Methode der Firma P. | |
| Dabei erzählt uns „Anonymous“ zum Beispiel, dass wir je nach Inhalt den | |
| richtigen Filehosting-Dienst benutzen sollen. Emotionslos teilt er uns | |
| außerdem mit, wo wir am besten die Onlyfans-Leaks „in Packs“ hochladen | |
| sollen und wo „Inzest“ hingehört. Was „Inzest“ umfasst, verrät er nic… | |
| Auch gibt es keine Rechtfertigung für die Kategorien. Nur zwei | |
| Informationen zählen: Manche Plattformen zahlen schneller als andere, | |
| manche erlauben härteren Content. | |
| Außerdem schickt er uns ein ganzes DIN-A4-Blatt mit meist pornografischen | |
| Foren – als Empfehlungen für die Weitergabe von Links zu den Filehostern. | |
| Eine URL enthält das Wort „Vergewaltigung“. Einige der Videos und Bilder | |
| auf der Website sehen wie echte Vergewaltigungen aus. | |
| Onlyfans-Inhalte zu leaken, ist nicht das einzige Ziel dieser Gruppen. Sie | |
| sind Teil eines Systems illegaler Downloads, in dem alles erlaubt ist, | |
| solange das Geld stimmt. Manchmal verstößt Firma P. gegen das Urheberrecht. | |
| Manche Inhalte gehen darüber hinaus. So ermittelt die dänische Polizei | |
| derzeit gegen die Firma P. wegen Kinderpornografie. Die Ermittlungen wurden | |
| eingeleitet, weil in diesem Fall – untypisch für P. – die Inhalte nach | |
| einer Meldung nicht entfernt wurden. | |
| Wir haben die Firma P. mit unseren Recherchen konfrontiert, aber bis heute | |
| keine Antwort erhalten. Unter der estnischen Telefonnummer auf der Website | |
| ist niemand erreichbar. Als Geschäftsführer der Firma P. ist in den | |
| offiziellen Unterlagen seit 2021 ein Mann angegeben, der in der Ukraine | |
| leben soll. Und die Firmenadressen in Schottland ändern sich ständig. | |
| Die Firma P. hat es sich in einem juristischen Niemandsland bequem gemacht. | |
| Solange sie die Inhalte auf Anfrage entfernt, bleiben die Verantwortlichen | |
| unbehelligt. Dabei sind Fälle von Leaks rechtlich oft eindeutig – | |
| vorausgesetzt, die Täter können identifiziert und zur Rechenschaft gezogen | |
| werden. | |
| ## Der Fall Leyla Heart | |
| So hat das zumindest die Creatorin Leyla Heart erlebt. „Einmal hat jemand | |
| eine Homepage von mir gemacht, das waren eins zu eins meine Bilder!“ Sie | |
| meldete die Seite bei der Polizei. Mit Erfolg: „Es wurden Ermittlungen | |
| wegen eines Verdachts des Vergehens nach dem Kunsturheberrechtsgesetz | |
| aufgenommen“, bestätigt das Polizeipräsidium Oberbayern Süd. Die Beamten | |
| fanden den in Deutschland lebenden Mann. | |
| Am Ende konnte sich Leyla mit dem Leaker außergerichtlich einigen. Was er | |
| mit der Aktion erreichen wollte, weiß sie bis heute nicht so genau. Die | |
| Polizei in Oberbayern hält mit Blick auf Leylas Fall die geltende | |
| Rechtslage für ausreichend – weil beide, Täter und Opfer, sich in | |
| Deutschland befanden. Das ändert sich, wenn die Straftat, wie bei Firma P., | |
| die Landesgrenzen überschreitet. | |
| Auch wenn eine Website zum Beispiel in Russland gehostet wird, gilt | |
| deutsches oder EU-Urheberrecht, sobald sie sich an die Nutzer in der EU | |
| richtet. Entscheidend ist, wo die Inhalte abrufbar sind und wem sie | |
| angeboten werden. Doch in der Umsetzung wird es schwierig. „Meiner | |
| Erfahrung nach gehört diese Art von Verbrechen nicht in die Kategorie, in | |
| der die Polizeibehörden wirklich zusammenarbeiten“, erklärt die dänische | |
| Anwältin Michaelsen. | |
| „In Dänemark habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Polizei die Täter | |
| zwar identifizieren kann, aber sobald sie herausfindet, dass sie sich im | |
| Ausland aufhalten, wird das Verfahren oft eingestellt. Diese Verbrechen | |
| überschreiten nationale Grenzen, wir brauchen eine europäische und globale | |
| Perspektive.“ | |
| Hinzu kommt, dass die Betroffenen nicht immer ernst genommen werden. So | |
| berichtete das slowakische Nachrichtenmedium Denník N kürzlich, dass eine | |
| slowakische Creatorin beleidigt und lächerlich gemacht wurde, nachdem ihre | |
| Inhalte auf Telegram geleakt worden waren. Als sie den Diebstahl bei der | |
| Polizei meldete, wurde ihre Anzeige zunächst abgelehnt – obwohl sie eine | |
| Spur zum Täter hatte. Statt die Meldung als Verstoß gegen das Urheberrecht | |
| zu werten, fragte die Polizei sie, was sie dagegen unternehmen wolle, | |
| schließlich sei der Telegram-Geschäftsführer „sowieso im Gefängnis“. | |
| ## „Exklusivität sorgt für mehr Traffic“ | |
| Später nahm die Polizei die Anzeige zwar auf, aber nur wegen „Verstoß gegen | |
| das bürgerliche Zusammenleben“, was rechtlich gesehen ein Bagatelldelikt | |
| ist. Die Creatorin war am Boden zerstört, ihre Kolleginnen wütend, dass sie | |
| es überhaupt versucht hatte. Sie befürchteten, dass es noch mehr Leaks und | |
| wüste Beschimpfungen geben wird – während die Polizei desinteressiert | |
| wegschaut. | |
| „Der Realität ‚Ist es einmal im Internet, ist es verloren‘ muss | |
| entgegengetreten werden. Wenn wir das so akzeptieren, kommen wir nicht | |
| weit“, sagt Jacqueline Sittig vom Deutschen Juristinnenbund. Die Juristin | |
| sieht eine Schlüsselrolle in der Bekämpfung solcher Verbrechen bei den | |
| Plattformen: Sie müssten viel mehr in die Verantwortung genommen werden, | |
| damit sie gestohlene Inhalte frühzeitig erkennen und entfernen. Dass sie | |
| das nicht schnell genug könnten, wie das oft in der Rechtsprechung | |
| argumentiert wird, hält Sittig für eine Ausrede: „Durch technische | |
| Fortschritte lässt sich immer besser erkennen, was verbreitet wird“, sagt | |
| sie. Aber Plattformen, die illegalen Inhalt hosten, profitieren von | |
| polarisierendem Material – „Exklusivität sorgt für mehr Traffic“, so | |
| Sittig. | |
| Viele Creator:innen, mit denen wir gesprochen haben, meiden den Rechtsweg. | |
| Das Vertrauen scheint gering zu sein. Bonny Lang hat ihn zum Beispiel nie | |
| erst in Erwägung gezogen. „Ich glaub’, der Aufwand lohnt sich nicht und | |
| nachher bleibe ich auf den Anwaltskosten sitzen“, sagt sie. „Da ist das, | |
| wie ich das jetzt mache, die schnellste Möglichkeit, teilweise ist das Bild | |
| am selben Tag raus.“ | |
| Manche Creator:innen nutzen die Dienste von Unternehmen, die für | |
| zahlende Kund:innen das Internet nach gestohlenen Inhalten durchforsten, | |
| Urheberrechtsverletzungen melden und rechtliche Mittel einsetzen, um diese | |
| gestohlenen Inhalte zu entfernen. Die Leaks sind so ein großes Problem, | |
| dass eine ganze Gegenindustrie entstanden ist. | |
| „Manchmal löschen wir heute eine Website, und fünf Tage später ist sie | |
| wieder da. Das ist wie ein Lauffeuer“, erzählt Lily Kix, CEO von einer | |
| solchen Firma mit dem Namen „Leak Content Removal“. Kix betreibt ihr | |
| Unternehmen in Singapur und lebt in Spanien. Ihr Team von sechs | |
| Mitarbeitern hilft Youtubern, Filmemachern und Onlyfans-Creator:innen | |
| weltweit, deren Inhalte unerlaubt online verbreitet wurden. | |
| Ein Monatsabonnement bei Kix kostet 380 Dollar und beinhaltet die | |
| regelmäßige Durchsuchung des Internets nach Leaks. Und doch kann keines der | |
| Unternehmen garantieren, dass alle Inhalte verschwinden. „Die Erfolgsquote | |
| liegt bei 75 bis 85 Prozent“, sagt Kix. | |
| Der Kampf um Kontrolle ist mühsam und kostspielig. Auch mit professioneller | |
| Hilfe können Creator:innen nicht sicher sein, dass ihre Inhalte wirklich | |
| aus dem Internet verschwinden. Leaker, die aus diesen Inhalten ein Geschäft | |
| machen, zwingen Creator:innen dazu, entweder ständig im Kampfmodus zu | |
| sein, wenn sie ihre Privatsphäre dauerhaft schützen wollen – oder diese | |
| ganz aufzugeben. | |
| Was den Creator:innen widerfährt, ist kein isoliertes Problem der | |
| Pornografie. Vielmehr zeigt sich darin das Mindset der Onlinepiraten, die | |
| Creator:innen zusammen mit illegalen Inhalten wie Inzest- und | |
| Vergewaltigungsvideos als Geschäftsmodell betrachten: Sie setzen auf | |
| Rechtsbruch zum eigenen Profit – und die gegenwärtig bestehenden | |
| rechtlichen Voraussetzungen machen es ihnen erschreckend einfach. | |
| Diese Recherche wurde vom Journalismfund Europe unterstützt. | |
| Mitarbeit: Kristina Böhmer, Apolena Rychlíková, Vânia Maia. | |
| 6 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Model-ueber-KI-in-der-Sexindustrie/!5997391 | |
| [2] /Pornografie-bei-Onlineplattform-OnlyFans/!5796378 | |
| [3] https://praxistipps.chip.de/geld-verdienen-mit-onlyfans-das-sollten-sie-wis… | |
| [4] https://www.theguardian.com/technology/article/2024/sep/06/onlyfans-owner-p… | |
| [5] /Digitale-Gewalt/!5988991 | |
| ## AUTOREN | |
| Mayya Chernobylskaya | |
| Polina Bachlakova | |
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